BUNDESFINANZHOF
Az.: X R 45/02
Urteil vom 08.11.2006
Leitsätze:
Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen sind in den Veranlagungszeiträumen vor 2005 nur als Sonderausgaben mit den sich aus § 10 Abs. 3 EStG a.F. ergebenden Höchstbeträgen abziehbar. Hieran hat sich durch das Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes (AltEinkG) vom 5. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1427) zum 1. Januar 2005 nichts geändert. Dies folgt aus der zeitlichen Geltungsanordnung des § 52 EStG i.d.F. des Art. 1 Nr. 25 AltEinkG.
Tatbestand:
A.
Die zusammen veranlagten Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind verheiratet und haben drei Kinder. Der Kläger war in den Streitjahren 1986 bis 1989 als Lektor nichtselbständig und zusätzlich im Rahmen einer Lehrtätigkeit selbständig tätig. Ihre Einsprüche gegen die Veranlagungen für die Streitjahre begründeten die Kläger u.a. mit der beschränkten Abziehbarkeit der Vorsorgeaufwendungen. Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung seien mit ihrem vollen Betrag als Werbungskosten abziehbar. Während des Einspruchsverfahrens erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) Änderungsbescheide, die jeweils im Hinblick „auf anhängige Verfassungsbeschwerden bzw. andere gerichtliche Verfahren“ u.a. hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG) vorläufig waren.
Das Finanzgericht (FG) hat die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage abgewiesen.
Mit der Revision rügen die Kläger die Rechtswidrigkeit der Beschränkung des Abzugs von Vorsorgeaufwendungen. Sie beantragen unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und in Abänderung der Einkommensteuerbescheide für 1986 bis 1989 die Berücksichtigung der Rentenversicherungsbeiträge in der geltend gemachten Höhe.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
B.
Die zulässige Revision ist unbegründet.
I.
Zwar ist die an das FG Hamburg als Vorinstanz und damit an das unzuständige Gericht adressierte Revision verspätet beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen. Jedoch ist den Klägern wegen der Versäumung der Revisionsfrist (§ 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Nach ständiger Rechtsprechung der Obersten Gerichtshöfe des Bundes trägt der Prozessbevollmächtigte die persönliche Verantwortung dafür, dass eine Rechtsmittelschrift bei dem richtigen Gericht eingeht (z.B. Beschluss des Bundesgerichtshofs –BGH– vom 3. September 1998 IX ZB 46/98, Versicherungsrecht –VersR– 1999, 1170; BFH-Beschluss vom 8. November 1996 VII R 89/96, BFH/NV 1997, 492). Wird indes ein fristgebundener Schriftsatz nicht an das Rechtsmittelgericht, sondern an das Gericht adressiert, das mit der Sache befasst war, so ist dem Beteiligten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Schriftsatz bei dem unzuständigen Gericht so rechtzeitig eingegangen ist, dass eine fristgerechte Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechtsmittelgericht ohne weiteres erwartet werden konnte (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG– vom 20. Juni 1995 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, 99;, BGH-Beschlüsse in VersR 1999, 1170; vom 12. November 1997 XII ZB 66/97, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report –NJW-RR– 1998, 1218).
Im Streitfall ist der Revisionsschriftsatz zwar nicht im vorgenannten Sinne rechtzeitig beim FG Hamburg eingegangen. Dies lag indes an der ungewöhnlich langen Laufzeit der in L aufgegebenen Sendung von zehn Tagen. Verzögerungen bei der Briefbeförderung oder Briefzustellung, die der Rechtsmittelführer nicht zu vertreten hat, sind nicht als dessen Verschulden zu werten. In seiner Verantwortung liegt nur, das zu befördernde Schriftstück den postalischen Bestimmungen entsprechend und so rechtzeitig zur Post zu geben, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Post bei regelmäßigem Betriebsablauf den Empfänger fristgerecht erreicht. Das Vorliegen dieser Voraussetzung haben die Kläger glaubhaft gemacht. Es ist davon auszugehen, dass bei einem regulären Postlauf der Schriftsatz rechtzeitig dem BFH übermittelt worden wäre.
II.
Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nur als Sonderausgaben mit den sich aus § 10 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der bis zum Ablauf des Jahres 2004 geltenden Fassung (EStG a.F.) ergebenden Höchstbeträgen abziehbar sind. Hieran hat sich durch das Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz –AltEinkG–) vom 5. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1427) zum 1. Januar 2005 nichts geändert. Dies folgt aus der zeitlichen Geltungsanordnung des § 52 EStG i.d.F. des Art. 1 Nr. 25 AltEinkG.
1.
Der erkennende Senat hat für Streitjahre vor Inkrafttreten des AltEinkG unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des BFH entschieden, dass Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus § 22 EStG, sondern als Sonderausgaben im Rahmen der Höchstbeträge des § 10 Abs. 3 EStG a.F. abziehbar sind (Urteil vom 21. Juli 2004 X R 72/01, BFH/NV 2005, 513; vgl. auch –zu im Jahre 1994 geleisteten Beiträgen an ein ärztliches Versorgungswerk– Senatsbeschluss vom 6. März 2006 X B 5/05, BFH/NV 2006, 1091). An dieser Auffassung hält der Senat fest. Diese Zuordnung zu den beschränkt abziehbaren Sonderausgaben wird durch das AltEinkG nicht rückwirkend für die Streitjahre 1986 bis 1989 in Frage gestellt.
a) Das bis zum Ablauf des Veranlagungszeitraums 2004 geltende Recht der Vorsorgeaufwendungen gilt mithin fort. Hiervon gehen jedenfalls im Ergebnis auch andere Senate des BFH aus (z.B. Urteil vom 19. Mai 2004 III R 55/03, BFHE 206, 260, BStBl II 2006, 291; Beschluss vom 14. März 2006 IV B 2/05, BFH/NV 2006, 1283). Die Mehrzahl der FG hat sich dieser Auffassung jedenfalls im Ergebnis angeschlossen (FG Düsseldorf, Urteil vom 17. März 2005 11 K 6920/02 E, Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2005, 943; Niedersächsisches FG, Urteil vom 26. August 2005 16 K 465/02, Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst –DStRE– 2006, 1094; FG Düsseldorf, Urteil vom 20. Oktober 2005 15 K 4546/03 E, EFG 2006, 240; Niedersächsisches FG, Urteil vom 16. November 2005 9 K 120/97, EFG 2006, 729; Hessisches FG, Urteil vom 24. November 2005 1 K 3274/05, EFG 2006, 791; FG Hamburg, Urteil vom 28. November 2005 VII 126/02, EFG 2006, 786; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 7. Dezember 2005 1 K 1940/04, EFG 2006, 493; FG Münster, Urteil vom 9. Februar 2006 5 K 1841/04 E, juris; FG Hamburg, Urteil vom 26. Juli 2006 2 K 105/05, EFG 2006, 1839; FG Köln, Urteil vom 16. August 2006 4 K 4544/01, juris). Das Bundesministerium der Finanzen –BMF– hat sich im Schreiben vom 16. Februar 2006 IV A 7 -S 0338- 14/06, (BStBl I 2006, 214) dieser Auffassung angeschlossen. Ein Teil der Literatur folgt dem (Blümich/Thürmer, § 9 EStG Rz. 600 Stichwort Arbeitnehmerbeiträge; Myßen, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10a Rdnr. A 33; Schmidt/Drenseck, EStG, 25. Aufl., § 9 Rz 38; a.A. z.B. Heidrich, Finanz-Rundschau –FR– 2004, 1321; derselbe in Deutsches Steuerrecht –DStR– 2005, 861; Kreft, Gestaltende Steuerberatung –GStB– 2005, 279; Schneider/Bahr, Die Information über Steuer und Wirtschaft –Inf– 2006, 386).
b) Der Streitfall ist nach dem bis zum Ablauf des Veranlagungszeitraums 2004 geltenden Recht zu entscheiden. Hiernach sind Aufwendungen für den Erwerb von Rentenrechten weder als –vorweggenommene– Werbungskosten sofort abziehbar noch können sie im Wege der Absetzungen für Abnutzung (AfA) berücksichtigt werden (BFH-Urteil vom 30. Oktober 2001 VIII R 29/00, BFHE 197, 114, BStBl II 2006, 223). Die Rechtsnatur der Beiträge zu den gesetzlichen Sozialversicherungen, Versorgungswerken usw. als „private“ Aufwendungen folgt aus der ausdrücklichen gesetzlichen Zuweisung zu den Vorsorgeaufwendungen des § 10 Abs. 2 und 3 EStG a.F. (z.B. BFH-Urteile vom 27. Juni 1996 IV R 4/84, BFHE 181, 31; vom 14. Mai 1998 X R 38/93, BFH/NV 1999, 163; in BFH/NV 2005, 513; Senatsbeschlüsse vom 3. November 2004 X B 121/03, BFH/NV 2005, 350; vom 15. Dezember 2004 X B 116/04, BFH/NV 2005, 715, jeweils m.w.N.).
c) Die hier zu beurteilende Rechtslage unterscheidet sich von derjenigen, bei der ein zum Versorgungsausgleich verpflichteter Ehegatte auf Grund einer Vereinbarung gemäß § 1587o des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) Ausgleichszahlungen an den anderen Ehegatten leistet, um Kürzungen seiner Versorgungsbezüge (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) zu vermeiden. Der IX. Senat hat in seinem Urteil vom 8. März 2006 IX R 107/00 (BFHE 212, 511, BStBl II 2006, 446; s. auch Heuermann, Der Betrieb –DB– 2006, 688) keine entscheidungserhebliche und daher den Senat bindende rechtliche Aussage getroffen, die im Widerspruch stehen würde zu der hier einschlägigen ständigen Rechtsprechung des BFH zu den Anschaffungs- und Anschaffungsnebenkosten von immateriellen Rechten.
2.
Für die Rechtslage nach Inkrafttreten des AltEinkG wird geltend gemacht, dass ein Veranlassungszusammenhang zwischen Vorsorgeaufwendungen und den ab 2005 beginnend mit 50 v.H. und sodann ansteigend bis zur Erfassung mit dem vollen Nennbetrag steuerbaren Alterseinkünften bestehe, was zwingend die Qualifizierung der Vorsorgeaufwendungen als Werbungskosten bewirke (z.B. Söhn, FR 2006, 905 ff.; vgl. die Darstellung des Streitstandes bei Myßen, Private Altersvorsorge – Soziale Absicherung contra selbstverantwortlicher Altersvorsorge, in R. Mellinghoff [Hrsg.], Steuern im Sozialstaat, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft –DStJG– Bd. 29, 2006, 249 ff., 270 ff., m.w.N.). Dies soll bereits für die Zeit vor 2005 zu Vorwirkungen des Inhalts führen, dass die Vorsorgeaufwendungen den Charakter von Werbungskosten haben, deren Abziehbarkeit angesichts des Einleitungssatzes des § 10 Abs. 1 EStG a.F. positivrechtlich vorrangig sei.
Der Senat hat in seinem im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschluss vom 1. Februar 2006 X B 166/05 (BFHE 212, 242, BStBl II 2006, 420) zur Rechtslage ab 2005 ausgeführt, nach der ausdrücklichen Anordnung des § 10 Abs. 3 Satz 5 EStG i.d.F. des AltEinkG (EStG n.F.) sei nicht ernstlich zweifelhaft, dass die fraglichen Vorsorgeaufwendungen lediglich als Sonderausgaben abziehbar sind. Er hat der Sache nach unterschieden zwischen der „Rechtsnatur“ einer Aufwendung und ihrer Abziehbarkeit (vgl. Söhn, FR 2006, 905, 909 ff.).
Eine Entscheidung über die „Rechtsnatur“ von Vorsorgeaufwendungen ist auch hier nicht zu treffen. Denn jedenfalls folgt aus der zeitlichen Geltungsanordnung des AltEinkG in Verbindung mit den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts, dass eine etwaige –für Zeiträume vor Inkrafttreten des § 10 Abs. 3 Satz 5 EStG n.F. anzunehmende– betragsmäßig unbegrenzte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen dem Gesetz nicht zu entnehmen ist. Das AltEinkG und eine ab dem Jahre 2005 etwa geltende Systemumstellung haben keine Vorwirkung in der Weise, dass für frühere Veranlagungszeiträume die Vorsorgeaufwendungen –ihre Rechtsnatur als Werbungskosten unterstellt– abziehbar wären.
a) Das AltEinkG ist nach seinem Art. 18 Abs. 3, soweit die hier entscheidungserheblichen Vorschriften betroffen sind, zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten. Durch Art. 1 Nr. 25 AltEinkG ist § 52 EStG dahin geändert worden, dass „diese Fassung des Gesetzes, soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist, erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden“ ist. Diese zeitliche Geltungsanordnung regelt nicht die Anwendung „im“ Veranlagungszeitraum 2005, was die –freilich wenig sinnvolle– Möglichkeit eröffnen würde, ab dem Jahr 2005 in früheren Veranlagungszeiträumen entstandene Steueransprüche nach dem neuen materiellen Sachrecht zu beurteilen. Die –erstmalige– Anwendung „für den Veranlagungszeitraum 2005“ verweist vielmehr auf die Befolgung des Rechts sowie auf die Beurteilung von steuerbegründenden Merkmalen, die in diesem Zeitraum vorliegen (vgl. –zur Regulierungsfunktion des Gesetzes mittels Verhaltenssteuerung und Sachverhaltsbeurteilung – Heß, Intertemporales Privatrecht, 1998, S. 37 ff.). „Veranlagungszeitraum“ ist derjenige Zeitabschnitt, in dem Sachverhalte vorliegen oder sich ereignen, die nach dem zu diesem Zeitpunkt geltenden Recht zu beurteilen sind. Hierauf hebt § 2 Abs. 7 Sätze 1 und 2 EStG ab, wonach die Grundlagen für die Festsetzung der Einkommensteuer, die eine Jahressteuer ist, „jeweils für ein Kalenderjahr zu ermitteln sind“. Gemäß § 25 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer „nach Ablauf des Kalenderjahrs (Veranlagungszeitraum) nach dem Einkommen veranlagt, das der Steuerpflichtige in diesem Veranlagungszeitraum bezogen hat“. Folgerichtig setzt § 36 Abs. 1 EStG voraus, dass die Einkommensteuer grundsätzlich mit Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraums entsteht. Für den abgelaufenen Veranlagungszeitraum hat der Steuerpflichtige eine Einkommensteuererklärung abzugeben (§ 25 Abs. 3 Satz 1 EStG). Dabei wird vorausgesetzt, dass der Steuerpflichtige die Rechtslage –grundsätzlich abschließend– beurteilen und die Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung befolgen kann.
b) Der Gesetzgeber hat zwar unmittelbar lediglich eine Bestimmung über die erstmalige Anwendung des neuen Rechts –einschließlich des verbesserten Sonderausgabenabzugs für Vorsorgeaufwendungen– „für“ den Veranlagungszeitraum 2005 getroffen (vgl. Kirchhof in Kirchhof, EStG, 6. Aufl., § 52 Rn 3). Hierin liegt aber zugleich die Aussage, dass in den Jahren vor 2005 die früher maßgebende(n) Fassung(en) des EStG weiterhin Geltung haben. Eine ausdrückliche Bestimmung des Inhalts, dass § 10 Abs. 3 EStG in der vor dem AltEinkG geltenden Fassung letztmalig für den Veranlagungszeitraum 2004 anzuwenden sei, war nicht erforderlich. Auch fehlt es an ausdrücklichen Regelungen etwa dahingehend, dass das neue Recht auf alle noch offenen Veranlagungen anwendbar sei, und erst recht des Inhalts, dass bestandskräftige Veranlagungen für frühere Veranlagungszeiträume zu ändern seien.
c) Die von einem Teil der Literatur befürwortete –nach Inkrafttreten des AltEinkG– rückbewirkende Umqualifizierung „für“ frühere Veranlagungszeiträume wäre mit dieser zeitlichen Geltungsanordnung nicht vereinbar. Das Überleitungsrecht des Art. 1 Nr. 25 AltEinkG i.V.m. § 52 EStG bestimmt zum Inkrafttreten der hier einschlägigen §§ 9, 10 und 22 EStG nachfolgend in § 52 Abs. 1 EStG „nichts anderes“. Die Normierung des zeitlichen Geltungsbereichs des AltEinkG misst sich keine Rückwirkung in dem Sinne bei, dass Rechtsfolgen für den vor dem Zeitpunkt seiner Verkündung liegenden Zeitraum angeordnet und damit die bis zum Veranlagungszeitraum 2004 einschließlich maßgebliche Korrespondenz zwischen § 10 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 einerseits und § 22 EStG a.F. abgeändert würde. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass mit dem Inkrafttreten des AltEinkG –in Abweichung von dem korrespondierend abgestimmten Modus des Übergangs in eine intertemporal korrespondierende Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen und Alterseinkünften– für die Jahre bis zum Ablauf des Veranlagungszeitraums 2004 eine betragsmäßig unbeschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen ungeachtet dessen hätte begründet werden sollen, dass zufließende Renteneinkünfte nur mit dem Ertragsanteil besteuert wurden. Durch eine andere Auslegung des Überleitungsrechts wären sowohl die Systematik des bis zum Jahre 2004 geltenden Rechts als auch der durch das AltEinkG systematisch, betragsmäßig und auch in zeitlicher Hinsicht abgestimmte Gleichlauf der Überleitung in die sog. nachgelagerte Besteuerung von Alterseinkünften gestört.
d) Diese Auslegung des gesetzlichen Überleitungsrechts stimmt mit den Grundsätzen des intertemporalen Rechts überein. Diese hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 18. Mai 1988 X R 63/82 (BFHE 154, 241, BStBl II 1988, 967; s. auch Senatsbeschluss vom 8. Mai 1995 X B 2/95, BFH/NV 1995, 968; Schuster in Hübschmann/Hepp/Spitaler –HHSp–, § 38 AO Rz. 34) wie folgt dargestellt:
aa) Der Umstand allein, dass eine neue Regelung zu einem bestimmten Zeitpunkt in Kraft getreten ist, lässt zwar keinen zwingenden Schluss auf den zeitlichen Geltungswillen des Gesetzes zu. Dieser Zeitpunkt ist aber ein geeignetes Indiz für diesen Geltungswillen. Die Vorschrift über das Inkrafttreten eines Gesetzes bestimmt grundsätzlich den zeitlichen Geltungsbereich der Norm, d.h. von welchem Zeitpunkt ab die angeordneten Rechtsfolgen für den Normadressaten eintreten und von den Behörden und Gerichten anzuwenden sind. Soll eine den Steuerpflichtigen begünstigende Steuernorm zu Beginn des auf die Verkündung folgenden Veranlagungszeitraums in Kraft treten, spricht dies gegen eine Einbeziehung früherer Veranlagungszeiträume in den zeitlichen Geltungswillen des Gesetzes. Dies ist insbesondere von Bedeutung für das Steuerrecht, denn die Steueransprüche früherer Jahre sind bereits –grundsätzlich unabänderbar (§ 38 der Abgabenordnung –AO 1977–)– entstanden.
bb) Materiell-rechtliche Rechtsverhältnisse unterliegen in Bezug auf Wirkung und Inhalt im Allgemeinen dem Recht, das zu der Zeit galt, als sich ihr Entstehungstatbestand verwirklichte („tempus regit actum“). Neues Recht will in der Regel nur diejenigen Tatbestände erfassen, die nach seinem Inkrafttreten entstanden sind. Aufgehobene Normen des materiellen Rechts bleiben auf Tatbestände und Rechtsverhältnisse anwendbar, die während der Geltung der Vorschrift bestanden haben oder entstanden sind (vgl. Kopp, Grundsätze des intertemporalen Verwaltungsrechts, in: Die Sozialgerichtsbarkeit 1993, 593 ff., 596; Wolff/Bachof/Stober Verwaltungsrecht, Bd. 1, 11. Aufl., § 27 Rdnr. 5; Kruse/Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 4 AO Tz. 30).
cc) Der Grundsatz, dass verwirklichte Tatbestände –hier: entstandene Steueransprüche– von Rechtsänderungen grundsätzlich nicht berührt werden (vgl. Urteile des Bundesverwaltungsgerichts –BVerwG– vom 22. August 1975 IV C 11.73, BVerwGE 49, 131, 136; vom 23. April 1993 8 C 35/91, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht –NVwZ– 1993, 1209), findet seine Rechtfertigung darin, dass die Normadressaten ihr Verhalten am jeweils geltenden Recht orientieren, dieses zur Grundlage ihrer Dispositionen machen und dass eine Anpassung an die neue materiell-rechtliche Rechtslage mit erheblichen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten verbunden sein kann. Berührt ist hier das schützenswerte Vertrauen der Staatsbürger in die Maßgeblichkeit des aktuell geltenden Rechts als des Inbegriffs von das Verhalten steuernden Befolgungsregeln sowie von Maßstäben für die Bewertung von Sachverhalten und für die Berechenbarkeit des Steueranspruchs (zu letzterem Gesichtspunkt vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 28. Februar 1973 2 BvL 19/70, BVerfGE 34, 348, 365, und vom 12. Oktober 1978 2 BvR 154/74, BVerfGE 49,343, 362; allgemein hierzu Papier, Der Bestimmheitsgrundsatz, in Friauf, Steuerrecht und Verfassungsrecht, DStJG Bd. 12, 1989, 61 ff.). Die Rechtssicherheit wird beeinträchtigt, wenn sich aus dem neuen Recht Auswirkungen ergeben, auf die sich der Steuerpflichtige nach altem Recht nicht hatte einrichten können. Zu berücksichtigen sind aber auch die Belange der mit dem Vollzug der geltenden Gesetze betrauten Verwaltung (Senatsurteil in BFHE 154, 241, BStBl II 1988, 967, m.w.N.).
Diese für steuerbegründende Tatbestände aufgestellten Grundsätze gelten nach Ansicht des erkennenden Senats auch für Entlastungstatbestände. Denn Besteuerungsgegenstand der Einkommensteuer ist das um Erwerbsaufwendungen geminderte Einkommen. Dementsprechend muss der jeweilige Steuerpflichtige spätestens am Ende des jeweiligen Veranlagungszeitraums verlässlich beurteilen können, ob von ihm in diesem Jahr geleistete Aufwendungen steuermindernd berücksichtigungsfähig sind.
dd) Beurteilt sich ein abgeschlossener Sachverhalt im Regelfall nach dem im Entstehungszeitraum geltenden Recht, so kann sich eine rückanknüpfende Geltung sowohl aus einer ausdrücklichen Übergangsregelung wie auch dem Sinn und Zweck der Regelung ergeben; sie muss aber immer eindeutig zum Ausdruck kommen (Senatsurteile in BStBl 154, 241, BStBl II 1988, 967; vom 15. Dezember 1999 X R 97/96, BFHE 190, 473, BStBl II 2000, 290; Schuster in HHSp, § 38 AO Rz. 34). Eine solche eindeutige rückanknüpfende Geltungsanordnung trifft Art. 1 Nr. 25 AltEinkG i.V.m. § 52 EStG wie dargelegt erkennbar nicht. Vielmehr trifft die Annahme, der Gesetzgeber habe als Folge einer „Systemumstellung“ für Jahre vor 2005 einen gegenständlich und betragsmäßig unbegrenzten Abzug von Vorsorgeaufwendungen regeln wollen, nicht zu.
e) Der Rechtswert dieser Grundsätze zeigt sich in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Kläger für Streitjahre von 1986 bis 1989 materielle Vorwirkungen einer im Jahre 2005 in Kraft getretenen Norm beanspruchen. In jenen Jahren war –abgesehen von allgemeinen Überlegungen zu einer intertemporalen Korrespondenz der steuerlichen Behandlung von Vorsorgeaufwendungen und Alterseinkünften (z.B. Söhn, Steuer und Wirtschaft –StuW– 1985, 395, Gröpl, FR 2001, 620)– nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber zu einer „nachgelagerten“ Besteuerung der Renten hätte übergehen wollen. Im Hinblick hierauf wäre eine andere als die auf den Veranlagungszeitraum bezogene Sichtweise nicht vereinbar mit dem Gebot der rechtsstaatlichen Bestimmtheit der Besteuerung und damit der Vorhersehbarkeit der im jeweiligen Veranlagungszeitraum anwendbaren steuerrechtlichen Folgen. Auch wäre der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung berührt, wenn Steuerpflichtige nur deswegen günstiger besteuert würden, weil eine Veranlagung noch offen ist. Wäre dies –was gängige Praxis bei der Überleitung begünstigender Normen ist– vom Gesetzgeber gewollt, müsste er dies ausdrücklich anordnen.
f) Diese nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts ermittelte Rechtslage entspricht der erkennbaren Regelungsabsicht des Gesetzgebers zur Einführung eines neuen sachrechtlichen Systems.
aa) Der Gesetzgeber hat bei der Bemessung des Besteuerungsanteils von Alterseinkünften den Gesichtpunkt der Vermeidung einer Doppelbesteuerung –d.h. einer doppelten Erfassung von Lebenseinkommen– berücksichtigen wollen (BTDrucks 15/2150, S. 2, 23, 40 f.). Er war sich deshalb bewusst, dass außerhalb des zeitlichen Geltungsbereichs des AltEinkG gezahlte Rentenversicherungsbeiträge als Sonderausgaben durch Höchstbeträge beschränkt abziehbar und deshalb teilweise aus dem versteuerten Einkommen zu leisten waren. Dies ist der Grund dafür, dass Alterseinkünfte nach näherer Maßgabe des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG i.d.F. des AltEinkG zu einem mit 50 v.H. beginnenden Prozentsatz besteuert werden. Hiervon ausgehend lag die Situation einer doppelten Begünstigung durch einen –vorgelagert– unbeschränkten Werbungskostenabzug und einer gleichwohl nur teilweisen Besteuerung der Alterseinkünfte außerhalb seines Regelungswillens.
bb) Diese Konzeption des Übergangs zu einer vollen Besteuerung von Alterseinkünften war erkennbar inspiriert durch das typisierende Ideal einer betragsmäßigen Symmetrie abziehbarer Vorsorgeaufwendungen und steuerbarer Einkünfte. Die zwecks Vermeidung „untragbarer Haushaltsrisiken“ (BTDrucks 15/2150 S. 2, 22, 37, 40) langfristige Überleitung in dieses System mittels eines betragsmäßig gestaffelten Abzugs von Sonderausgaben sollte aus haushaltswirtschaftlichen Gründen erst im Jahre 2005 beginnen. Die Zulassung eines betragsmäßig unbegrenzten Werbungskostenabzugs bereits für die Vorjahre würde diesem Regelungsziel der Umstellung auf das neue Besteuerungssystem widersprechen. Denn ein solcher Werbungskostenabzug hätte, wollte man den Klägern folgen, jedenfalls für den nach Verkündung des AltEinkG endenden Veranlagungszeitraum 2004 de facto allen Steuerpflichtigen offengestanden. „Für“ diesen Veranlagungszeitraum ist weder ein Einstieg in eine mit der erweiterten Abzugsmöglichkeit korrespondierende Besteuerung noch gar eine unbegrenzte sowie nicht auf bestimmte Altersvorsorgeprodukte begrenzte Berücksichtigung von Altersvorsorgeaufwendungen geregelt. Ohnehin würde –mutmaßlich (Senatsbeschluss in BFHE 212, 242, BStBl II 2006, 420)– von 2005 an wiederum die Zuweisung zum Sonderausgabenabzug durch § 10 Abs. 3 Satz 5 EStG n.F. und die dort angeordnete Beschränkung wirksam werden.
3.
Dieser Auffassung des Senats steht das sog. subjektive Nettoprinzip nicht entgegen.
a) Zwar ist die Rechtsfrage nach der Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen –jedenfalls für Veranlagungszeiträume vor 2005– nach wohl einhelliger Auffassung eine solche des subjektiven Nettoprinzips, d.h. des Grundsatzes der Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit. Dieser Grundsatz besagt, dass indisponible private Aufwendungen des Steuerpflichtigen die Steuerbemessungsgrundlage mindern müssen (Senatsbeschluss vom 14. Dezember 2005 X R 20/04, BFHE 211, 350, BStBl II 2006, 312 – Beiträge zu Krankenversicherungen). Die vor 2005 geltenden, „nie eigentlich begründeten“ (Söhn, StuW 1990, 356) gesetzlichen Höchstbeträge des § 10 Abs. 3 EStG a.F., in deren betragsmäßigem Rahmen weitere indisponible Aufwendungen wie vor allem Beiträge zu Krankenversicherungen enthalten waren, ermöglichten keinen realitätsgerechten und damit verfassungsmäßigen Abzug von Vorsorgeaufwendungen. Die Beschränkung auf die Höchstbeträge führte dazu, dass die von einem Arbeitnehmer zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge schon bei bescheidenen Arbeitsverdiensten ausgeschöpft waren (von Eichborn, DB 2000, 944).
b) Gleichwohl sieht sich der Senat daran gehindert, die vor 2005 maßgebende Rechtslage am Maßstab des subjektiven Nettoprinzips auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Das BVerfG hatte die betragsmäßige Beschränkung der Vorsorgeaufwendungen auf die Höchstbeträge des § 10 Abs. 3 EStG a.F. aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht beanstandet (BVerfG-Beschlüsse vom 20. August 1997 1 BvR 1523/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung –HFR– 1998, 397, 398, und 1 BvR 1300/89, HFR 1997, 937). Es hat dies damit begründet, dass die Frage, in welchem Umfang Vorsorgeaufwendungen zur gesetzlichen Rentenversicherung zum Abzug von der Bemessungsgrundlage zuzulassen sind, „den Regelungsbereich (betrifft), der vom Auftrag des BVerfG an den Gesetzgeber zur Neuordnung der Besteuerung von Alterseinkünften umfasst wird“. Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 26. März 1980 1 BvR 121, 122/76 (BVerfGE 54, 11) den Gesetzgeber angewiesen, eine Neuregelung der Besteuerung von Beamtenpensionen und Sozialversicherungsrenten zu schaffen; dies schließe auch die Neuregelung der steuerlichen Behandlung des Abzugs von Vorsorgeaufwendungen –soweit sie der Alterssicherung dienen– als einen wesentlichen Bestandteil des Rentenbesteuerungsrechtes ein. In dem sog. Renten-Urteil vom 6. März 2002 2 BvL 17/99 (BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618) hat das BVerfG dem Gesetzgeber eine Frist zur Neuregelung auch des Rechts der Altersvorsorge gesetzt. Diese Entscheidung enthält in ihrem Leitsatz 3 den Auftrag an den Gesetzgeber, im Rahmen der gebotenen Neuregelung der Besteuerung von Alterseinkünften „die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird“. Unter D. II. der Entscheidungsgründe schließt es das BVerfG aus, dass der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet ist, „die Rechtslage rückwirkend, bezogen auf das Veranlagungsjahr 1996, zu bereinigen“.
c) Der Senat hat das Urteil in BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618 dahingehend ausgelegt, dass der Gesetzgeber für Veranlagungszeiträume vor 2005 zu einer Nachbesserung des die Altersvorsorge betreffenden Sonderausgabenabzugs nicht verpflichtet war (Urteil in BFH/NV 2005, 513; vgl. auch Beschluss vom 18. März 2003 X B 144/99, BFH/NV 2003, 1048, unter 1. b). Mit diesem Verständnis der Rechtsprechung des BVerfG befindet sich der X. Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer Senate des BFH (z.B. Urteil in BFHE 206, 260, BStBl II 2006, 291; Beschluss in BFH/NV 2006, 1283). Hiergegen sind weder tragfähige Einwendungen vorgetragen worden noch anderweitig ersichtlich.
4.
Da das Urteil der Vorinstanz der Auffassung des Senats jedenfalls im Ergebnis entspricht, war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.