LG Hagen – Az.: 8 O 213/19 – Beschluss vom 06.02.2020
In dem Verfahren wird der Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin vom 12.09.2019 zurückgewiesen.
Gründe
Prozesskostenhilfe konnte nicht bewilligt werden, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Zwar hält die Kammer den Wirtschaftsbetrieb W als Anstalt öffentlichen Rechts für den richtigen Antragsgegner. Im Hinblick auf die beabsichtigte Klage der Antragstellerin auf Zahlung von Schmerzensgeld, Feststellung umfassender Schadensersatzpflicht und Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten fehlt es nicht bereits an der Passivlegitimation.
Die Verkehrssicherungspflicht für öffentliche Verkehrswege stellt einen Unterfall der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht dar, die jedermann, der eine Gefahrenquelle eröffnet oder sie beherrscht, verpflichtet, Dritte vor den von ihr drohenden Gefahren zu schützen. Dementsprechend beruht die allgemeine Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich auf der durch Widmung bewirkten Zulassung des öffentlichen Verkehrs auf einem Weg und auf der Gefahrenlage, die mit der Benutzung dieses Weges entsteht (BeckOGK/Dörr, 1.12.2019, BGB § 839 Rn. 119). Etwaige Gefahren, welche vom Zustand der streitgegenständlichen Straßenbereiche ausgehen, hat vorliegend – jedenfalls auch – der Antragsgegner zu verantworten, denn ihm sind nicht lediglich im Innenverhältnis zu der Gemeinde Aufgaben der Unterhaltung für den streitgegenständlichen Bereich der Fußgängerzone übertragen worden. Er trägt diese Pflichten auch im Außenverhältnis gegenüber der Antragstellerin, wie es sich aus dem Inhalt der Satzung ergibt. So heißt es in der Präambel der Satzung des Antragsgegners ausdrücklich:
„Der Wirtschaftsbetrieb W – Anstalt öffentlichen Rechts (L) erfüllt die ihm obliegenden Aufgaben zum Wohle der Wer Bürgerinnen und Bürger. Er sorgt unter Beachtung wirtschaftlicher Grundsätze für Funktionsfähigkeit und Verkehrssicherheit in den eigenen Zuständigkeitsbereichen und Objekten […]“. [Unterstreichungen durch das Gericht]
Weshalb die ausdrücklich in der Satzung des Antragsgegners als Anstalt des öffentlichen Rechts – und damit grundsätzlich auch als Anspruchsgegner eines Amtshaftungsanspruch in Betracht kommend – vorgesehene Übernahme von Verkehrssicherungspflichten in den eigenen Zuständigkeitsbereichen (die sich aus § 2 Abs. 3 der Satzung ergeben dürften) gegenüber der Antragstellerin keine Wirkung entfalten sollte, ist der Kammer nicht ersichtlich.
Allerdings hat die beabsichtigte Klage auf Schadensersatz aus den §§ 839, 249, 253 BGB i.V.m. den §§ 9, 47 StrWG NRW, Art. 34 GG wegen der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht deshalb keine Aussicht auf Erfolg, da nach dem Vortrag der Antragstellerin bereits nicht von einer abhilfebedürftigen Gefahrenstelle auszugehen ist.
Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht bestimmt sich nach der Art und der Häufigkeit der Benutzung des Verkehrsweges und seiner Bedeutung und lässt sich nicht abstrakt, sondern nur anhand der konkreten Umstände im Einzelfall bestimmen (BGH, Urteil vom 01. Juli 1993, Az. III ZR 88/92). Von der Verkehrssicherungspflicht umfasst sind die erforderlichen Maßnahmen zur Herbeiführung eines sicheren und verkehrsgerechten Zustandes. Allerdings muss sich umgekehrt der Straßenbenutzer den gegebenen Verhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet (BGH, Urteil vom 21. Juni 1979 – III ZR 58/78; OLG Rostock, Urteil vom 22. März 2001 – 1 U 144/99).
Der Verkehrssicherungspflichtige muss in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer (hier die Klägerin), der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag. Art und Wichtigkeit des Verkehrswegs sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie die Stärke des zu erwartenden Verkehrs (BGH, Urteil vom 05. Juli 1990 – III ZR 217/89 = BGHZ 112, 74, 75 = NJW 1991, 33, 34; BGH, Urteil vom 05. Juli 2012 – III ZR 240/11; OLG Hamm, Urteil vom 19. Juli 1996 – 9 U 108/96).
Die Grenze zwischen abhilfebedürftigen Gefahren und von den Benutzern hinzunehmenden Erschwernissen wird maßgeblich durch die sich im Rahmen des Vernünftigen haltenden Sicherheitserwartungen des Verkehrs bestimmt, die sich wesentlich an dem äußeren Erscheinungsbild der Verkehrsfläche und der Verkehrsbedeutung orientieren (OLG Hamm, Urteil vom 13. Januar 2006 – 9 U 143/05). Die Benutzer dürfen somit nicht jegliche eigene Sorgfalt vermissen lassen und der Verkehrssicherungspflichtige braucht nicht von einem leichtsinnigen Verhalten auszugehen (OLG Celle, Urteil vom 17. August 2017 – 8 U 123/17 = OLG Celle, NJW-RR 2017, 1300). Dieser hat dafür zu sorgen, dass keine objektiv verkehrswidrigen und damit sicherungsbedürftigen Gefahrenquellen bestehen (OLG Hamm, Urteil vom 25. Mai 2004 – 9 U 43/04, NJW-RR 2005, 255, 256).
So wird allgemein in der Rechtsprechung davon ausgegangen, dass Unebenheiten auf den Laufflächen für den Fußgängerverkehr von bis zu 2 cm Höhenversatz keine abhilfebedürftige Gefahrenquelle darstellen, sondern hinzunehmen sind (OLG Hamm, Urteil vom 15. Dezember 1999 – 11 U 101/99). Gewisse Unebenheiten und Modulationen des Gehwegs hat der Fußgänger hinzunehmen und sich darauf einzustellen. Ein Fußgänger muss zwar nicht laufend nach unten schauen und den Weg auf etwaige unauffällige Hindernisse oder Schwellen absuchen, aber er muss jedenfalls dem vor ihm liegenden Bereich durch kurze, aber regelmäßige Blicke Beachtung schenken, um sich über die Beschaffenheit seiner Umgebung zu orientieren (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 14. Januar 2016 – 4 U 69/15).
Die streitgegenständliche Unebenheit von wie behauptet 3 cm überschreitet diese angenommene Grenze nur relativ geringfügig.
In der Rechtsprechung ist darüber hinaus anerkannt, dass diese Grundsätze lediglich für die eigentlichen Laufflächen von Gehwegen mit einheitlicher und durchgehender, für den Fußgängerverkehr bestimmter Pflasterung gelten, nicht jedoch für sogenannte Baumscheiben bzw. Baumschutzscheiben, die sich optisch von der angrenzenden Pflasterung abhebt. Diese dient in der Regel nicht als Gehfläche, weshalb ein Fußgänger, der eine solche Scheibe betritt, mit durch das Baumwachstum bedingten Unebenheiten, Verschiebungen und Niveauunterschieden zur Pflasterung rechnen muss (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 14. Januar 2016 – 4 U 69/15; OLG Hamm, Urteil vom 15. Dezember 1999 – 11 U 101/99).
Bei der streitgegenständlichen Fläche, auf welcher die Antragstellerin zu Fall gekommen sein will, handelt es sich zwar nicht um den inneren Bereich einer solchen Baumscheibe. Als eine solche Baumscheibe ist die metallene Abdeckung auf dem Lichtbild Anl. K 3.1 anzusehen. Der streitgegenständliche Bereich stellt allerdings einen äußeren Ring um die innere Baumscheibe dar, der aufgrund seiner von der übrigen Pflasterung der Fußgängerzone und aufgrund des unmittelbar angrenzenden Erdreichs um den zentral gepflanzten Baum für einen durchschnittlich aufmerksamen Fußgänger bereits aus großer Entfernung zu erkennen ist. Der streitgegenständliche Bereich ist mit roh behauenem, unebenem Natursteinpflaster von ca. 10cmx10cm Kantenlängen gepflastert, wobei die Pflastersteine keine einheitliche Form aufweisen und mit deutlich breiteren, unebenen Fugen versehen sind als der übrige Bereich der Fußgängerzone. Für einen aufmerksamen Fußgänger ist dann ohne weiteres ersichtlich, dass die kleinteilige Kopfsteinpflasterung die innere Baumscheibe in einem Bereich umgibt, der sich noch durch die darunterliegenden Baumwurzeln von der eigentlichen Lauffläche der Fußgängerzone unterscheidet und optisch deutlich abhebt.
Weder vermittelte der streitgegenständliche Bereich einen weitgehend ebenen noch einen makellosen Eindruck (so jedoch bei OLG Celle, Urteil vom 25. Januar 2007 – 8 U 161/06). So muss ein durchschnittlich aufmerksamer Fußgänger beim Betreten kleinteiligen, roh behauenen Natursteinpflasters grundsätzlich und insbesondere in unmittelbarer Umgebung größerer Bäume mit mehr und höheren Unebenheiten rechnen als auf den eigentlichen Laufflächen, die optisch hiervon deutlich unterscheidbar sind.
Darüber hinaus ist auf dem Lichtbild Anl. K1 gut erkennbar, dass der streitgegenständliche Bereich, in welchem die Antragstellerin zu Fall gekommen sein will (mit einem Pfeil gekennzeichnet), nicht die einzige Stelle ist, an der deutliche Unebenheiten und ein höhenmäßiger Versatz der Pflastersteine vorliegt. Vielmehr finden sich ähnliche Stellen z.B. im Bereich unmittelbar links hinter dem Baumstamm, im vorderen rechten Drittel des Lichtbildes und besonderes deutlich etwa in der Bildmitte, unmittelbar an das Erdreich links angrenzend. Für den durchschnittlich aufmerksamen Fußgänger ist hier – wie von der Antragstellerin selbst vorgetragen – bei trockenem Wetter und guten Sichtverhältnissen am Vormittag schon aus weiterer Entfernung ohne Schwierigkeiten erkennbar, dass das kleinteilige Kopfsteinpflaster um die Baumscheibe herum größere Unebenheiten aufweist als die übrigen Flächen der Fußgängerzone. Auf diese Unebenheiten von etwa 3 cm Höhenversatz kann und muss sich ein Fußgänger anstelle der Antragstellerin einstellen.