LG Koblenz, Az.: 6 S 86/15, Urteil vom 30.06.2015
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Mayen vom 23.02.2015, Az. 2d C 254/14, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 675,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.12.2013 zu zahlen sowie den Kläger von der Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 € gegenüber seinen Prozessbevollmächtigten freizustellen.
Die Widerbeklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Widerklägerin einen Betrag in Höhe von 821,07 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 24.02.2014 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Widerbeklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Widerklägerin 70 % des weiteren materiellen Schadens zu ersetzen, der aus dem Schadensereignis vorn 14.11.2013 in Mayen auf dem Parkplatzgelände ries H.-Verbrauchermarktes noch entstehen wird.
Im übrigen wird die Widerklage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
2. Von den Gerichtskosten erster Instanz tragen der Kläger und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner 44 %, die Beklagten als Gesamtschuldner 19 % und die Beklagte zu 1) weitere 37 %.
Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers erster Instanz tragen die Beklagten als Gesamtschuldner 19 % und die Beklagte zu 1) darüber hinaus weitere 37 %.
Von den außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten trägt die Beklagte zu 1) 46 %.
Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) tragen der Kläger und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner 44 %.
Von den Gerichtskosten zweiter Instanz sowie den außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren tragen der Kläger und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner 54 % und die Beklagte zu 1) 46 %.
Eine weitergehende Kostenerstattung findet nicht statt.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 14.11.2013 auf dem H.-Parkplatz in Mayen im Kreuzungsbereich von zwei Fahrbahnen ereignete.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 159 ff. d. GA) Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Das Amtsgericht hat den Straßencharakter der Fahrspuren verneint und aus diesem Grunde ein Vorfahrtsrecht der Berufungsklägerin nach der Grundregel „rechts vor links“ abgelehnt, so dass es auf Basis einer hälftigen Schadensteilung der Klage vollumfänglich stattgegeben und die Widerklage abgewiesen hat.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Widerklägerin ihre erstinstanzlichen Klageanträge weiter.
Sie ist der Ansicht, der sich von links dem Kreuzungsbereich nähernde Widerbeklagte zu 1) sei wartepflichtig gewesen und hafte zu 100 % wegen Verstoßes gegen die Vorfahrtsregel des § 8 Abs. 1 StVO oder jedenfalls wegen Verstoßes gegen das Gebot der allgemeinen Rücksichtnahme.
Sie beantragt, das am 22.01.2015 verkündete Urteil des Amtsgerichts Mayen – Az. 2d C 254/14 – abzuändern und die Widerbeklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Widerklägerin einen Betrag in Höhe von 2.052,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 24.02.2014 zu zahlen, festzustellen, dass die Widerbeklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Widerklägerin allen weiteren materiellen Schaden zu ersetzen, der aus dem Schadensereignis vom 14.11.2013 in Mayen auf dem Parkplatzgelände des H.-Verbrauchermarktes noch entstehen wird, die Widerbeklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Widerklägerin außergerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 157,79 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
Die Berufungsbeklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil und tragen vor, im Hinblick auf die Parkplatzsituation sei die Widerklägerin nicht vorfahrtsberechtigt gewesen. Vielmehr sei hier von einer Haftungsquote von 50 % auszugehen, da beide Unfallbeteiligte gleichermaßen gegen das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme verstoßen hätten. Der Widerklägerin fehle darüber hinaus das erforderliche Feststellungsinteresse.
Wegen aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Hinsichtlich der Begründung des angefochtenen Urteils wird auf dessen Entscheidungsgründe Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist zulässig und teilweise begründet.
Der Kläger und die Drittwiderbeklagte sind der Beklagten zu 1) zum Ersatz von 70 % der dieser aus dem streitgegenständlichen Unfallereignis entstandenen Schäden verpflichtet (§§ 7, 18 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG).
Zu Recht ist das Amtsgericht zunächst davon ausgegangen, dass der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der unfallbeteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellt. Denn bei ständiger Bremsbereitschaft und gleichzeitiger Beobachtung des Verkehrs hätte der Zusammenstoß jeweils von beiden Unfallbeteiligten vermieden werden können.
Gemäß § 17Abs. 1, 2 StVG hängt bei der Schadensverursachung durch mehrere Kraftfahrzeuge in diesem Fall die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie dessen Umfang von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die danach gebotene Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben: das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (BGH Urteil vom 07.02.2012 – VI ZR 133/11, zit. nach juris, m.w.N.).
Zu Recht hat das Amtsgericht in diesem Zusammenhang angenommen, dass vorliegend beide Unfallbeteiligten gegen die für sie auf dem öffentlichen Parkplatz geltenden Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflichten verstoßen haben. Zutreffend geht das Amtsgericht auch davon aus, dass hier die Regeln der Straßenverkehrsordnung Anwendung finden. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Urteilsgründe Bezug genommen.
Allerdings liegt nach Auffassung der Kammer der überwiegende Verursachungsbeitrag bei dem Kläger, da dieser der von rechts kommenden Beklagten zu 1) zumindest in entsprechender Anwendung der Vorfahrtsregel „rechts vor links“ gemäß § 8 Abs. 1 StVO den Vorrang hätte einräumen müssen.
Soweit das Amtsgericht in diesem Zusammenhang zutreffend darauf verweist, dass der Verkehr auf Parkplätzen dem Aufsuchen und vorübergehenden Abstellen von Kraftfahrzeugen diene und die Aufmerksamkeit der Benutzer daher in erster Linie auf die Parkplatzsuche und vorsichtiges Ein- und Ausparken, nicht aber auf ein möglichst zügiges Vorankommen ausgerichtet sei, schließt dies nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall unabhängig von der Frage, ob den Fahrspuren hier Straßencharakter zukommt, eine zumindest mittelbare Geltung der Vorfahrtsregel „rechts vor links“ nicht aus. Denn eine derartige Regel erleichtert das geordnete Passieren von Kreuzungen, wenn andernfalls – selbst bei hohem Verkehrsaufkommen – nur mit Hilfe von gegenseitiger Verständigung der Begegnungsverkehr geregelt werden könnte. Sie läuft darüber hinaus nicht dem Bemühen zuwider, den verfügbaren Platz möglichst effizient für das Parken zu nutzen und den Verkehr unter Berücksichtigung auch der Fußgängerströme und Ladevorgänge möglichst gefahrlos zu ordnen (vgl. LG Saarbrücken, Urteil vom 21.11.2014 – 13 S 132/14, zit. nach juris, m.w.N.).
Zudem gilt die Vorfahrtregel nicht uneingeschränkt. Denn aufgrund der dargestellten parkplatztypischen Verkehrssituation kann der Vorfahrtsberechtigte nicht unbedingt auf die Einhaltung der Vorfahrt vertrauen; vielmehr trifft auch ihn eine gesteigerte Sorgfaltspflicht (LG Saarbrücken, a.a.O., OLG Köln, Urteil vom 08.12.1994 – 18 U 117/94, zit. nach juris, jeweils m.w.N.). So hätte die vorfahrtberechtigte Beklagte zu 1) sich hier dem Kreuzungsbereich nur vorsichtig nähern dürfen und den Linksverkehr beobachten müssen.
Ob man hier von einer unmittelbaren Geltung des § 8 Abs. 1 StVO ausgeht oder aber lediglich von einer gesteigerten Sorgfaltspflicht des vermeintlich Wartepflichtigen (vgl. Saarländisches OLG, Beschluss vom 11.12.1973 – SS (B) 139/73, zit. nach juris), kann letztlich aufgrund vorstehender Erwägungen dahinstehen. Jedenfalls hält es die Kammer im Hinblick auf die Gesamtumstände wie etwa den Hinweis des Parkplatzbetreibers auf die Geltung der StVO (vgl. Lichtbild Bl. 54 d. GA) und damit auch der Vorfahrtsregel des § 8 Abs. 1 StVO sowie die von dem Amtsgericht ausführlich dargestellte Ausgestaltung der Fahrspuren (vgl. auch Lichtbild Bl. 12 d. GA), die zum Teil sogar mit Mittelstreifen versehen sind, vorliegend für angemessen, dem Kläger eine im Verhältnis zu der von rechts kommenden Beklagten zu 1) erhöhte Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflicht aufzuerlegen. Der Kläger hat diese Pflicht verletzt, als er ohne anzuhalten in den Kreuzungsbereich einfuhr, obwohl er damit rechnen musste, dass die Beklagte zu 1) davon ausging, vorfahrtsberechtigt zu sein.
Unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 70 % zu Lasten des Klägers berechnet sich der Schaden der Beklagten zu 1) danach wie folgt:
Reparaturkosten netto 3.680,35 € (gemäß Kostenvoranschlag, Anlage K 2, Bl. 38 ff. d. GA)
Wertminderung 400,00 €
Auslagenpauschale 25,00 €
Gesamt 4.105,35 €
Hiervon 70 % 2.873,75 €
Davon bereits gezahlt 2.012,08 €
40,60 €
Noch offen
821,07 €
Der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet. Insbesondere hat die Beklagte zu 1) ein Interesse an der begehrten Feststellung (§ 256 ZPO), da die Widerbeklagten eine mehr als hälftige Eintrittspflicht und damit Schadensersatz unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 70 % ablehnen. Die Beklagte zu 1) hat darüber hinaus nachvollziehbar dargetan, dass sie die Reparatur ihres Fahrzeugs beabsichtige, sobald sie nach der Schadensregulierung durch die Widerbeklagten über die hierfür notwendigen finanziellen Mittel verfüge.
Rechtsanwaltskosten kann die Beklagte zu 1) nicht mehr verlangen, nachdem die Drittwiderbeklagte den geschuldeten Betrag in Höhe von 334,75 € aus einem Gegenstandswert in Höhe der berechtigten Forderung von 2.873,75 € geleistet hat (1,3 Geschäftsgebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer).
Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus Verzug (§§ 280Abs. 1, 2,286 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Das Rechtsmittelgericht hat die Kosten des Rechtsstreits unter den Parteien nach dem Verhältnis des endgültigen Obsiegens und Unterliegens zu verteilen und kann dabei die einen im Rechtsmittelverfahren nicht mehr beteiligten Streitgenossen betreffende Kostenentscheidung der Vorinstanz ändern, da über die Kosten des Rechtsstreits in der Regel einheitlich zu entscheiden ist (BGH, Urteil vom 14.07.1981 – VI ZR 35/79, zit. nach juris).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708Nr. 10, 711,713 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO bestehen nicht.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis 3.000,00 € festgesetzt.