LG Bielefeld – Az.: 2 O 264/17 – Urteil vom 17.05.2018
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines Unfalls in Anspruch, der sich am 20.08.2014 in C. ereignet hat.
Am Unfalltag befuhr der damals 12 Jahre alte Kläger den rechten Gehweg der I. Straße in Richtung C.straße mit seinem Fahrrad, wobei er eine Getränkedose in einer Hand hielt.
Die Beklagte zu 1) hatte den bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Opel Vectra des Beklagten zu 2) mit dem amtlichen Kennzeichen xxx auf einer Parkfläche vor dem Haus I. Straße xx geparkt und beabsichtigte, rückwärts auf die Straße zu fahren. Ob sie mit diesem Vorgang schon begonnen hatte, ist zwischen den Parteien streitig.
Jedenfalls fuhr der Kläger mit seinem Fahrrad unmittelbar vor der Einfahrt zu dem Grundstück I. Straße xx auf die Straße und wollte nach passieren der Grundstückseinfahrt wieder auf den Bürgersteig zurückfahren. Dabei stürzte er. Durch den Sturz zog sich der Kläger einen Ellen- und Speichenbruch des linken Unterarms zu und musste zunächst vom 20. – 23.08.2014 stationär im Krankenhaus behandelt werden. Nachdem eine Röntgenverlaufskontrolle eine sekundäre Verschiebung der Elle zeigte, war eine erneute stationäre Behandlung vom 04. – 06.09.2014 im Krankenhaus erforderlich. Am 04.09.2014 wurde zur Stabilisierung eine Metallplatte eingesetzt, die erst am 16.01.2015 ambulant operativ entfernt werden konnte.
Am Fahrrad des Klägers entstand ein Sachschaden. Ausweislich eines Kostenvoranschlages der Firma „M.“ vom 16.09.2014 beläuft sich der Schaden auf 92,00 Euro brutto. Darüber hinaus sind dem Kläger Zuzahlungskosten für den Rettungswagen, das Krankenhaus sowie für die Erstellung eines Attests entstanden. Darüber hinaus macht der Kläger eine Kostenpauschale geltend.
Wegen des Sachschadens wird im Übrigen auf Bl. 4 der Klageschrift vom 14.08.2017 Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 01.07.2015 ließ der Kläger die Beklagte zu 3) zum Schadensausgleich auffordern, was diese mit Schreiben vom 06.08.2015 ablehnte.
Der Kläger behauptet, der PKW der Beklagten sei rückwärts aus der Parkfläche vor dem Haus I. Straße xx auf den Gehweg gefahren. Er habe ausweichen müssen, um einen Zusammenstoß mit dem PKW zu vermeiden. Dabei habe er mit dem Fahrradreifen die Bordsteinkante gestreift und sei gestürzt.
Durch die Inanspruchnahme vorgerichtlicher Rechtsanwaltsleistungen seien ihm Kosten in Höhe von 689,71 Euro entstanden.
Der Kläger beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
1. an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 238,60 Euro sowie ein angemessenes Schmerzensgeld, das 5.000,00 Euro nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.07.2015 sowie
2.vorgerichtliche Kosten in Höhe von 689,71 Euro
zu zahlen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Sie behaupten, der Kläger, der den Bürgersteig im Übrigen verbotenerweise befahren habe, sei ohne Zutun der Beklagten der Beklagten zu 1) gestürzt. Dieser habe das Fahrzeug erst rückwärtsfahrend bewegt, nachdem der Kläger bereits gefallen sei.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis durch uneidliche Vernehmung der Zeugen Q. I., B. T. und N. T. erhoben. Wegen des Beweisergebnisses wird auf das Protokoll vom 05.04.2018 (Bl. 45 d. Akten) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme unbegründet.
Dem Kläger stehen gegen die Beklagten schon dem Grunde nach keine Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche zu.
Denn der Kläger hat den ihm obliegenden Beweis dafür, dass sich der Unfall beim Betrieb des Kraftfahrzeugs des Beklagten ereignet hat (§ 7 StVG) oder der Unfall in sonstiger Weise schuldhaft von der Beklagten zu 1) herbeigeführt wurde (§ 823 BGB) nicht geführt.
Grundsätzlich obliegt es dem Geschädigten eines Verkehrsunfalls, die Verursachung seines Schadens durch den Unfallgegner und das Ausmaß des unfallbedingten Schadens darzutun und auch zu beweisen.
Grundsätzlich obliegt es dem Geschädigten eines Verkehrsunfalls, die Verursachung des Schadens „durch das gegnerische Fahrzeug die C.straße zu fahren.
Besonderheiten geltend im Falle des hier vorliegenden „Unfall ohne Berührung“.
Grundsätzlich zutreffend ist, dass dann, wenn es in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem gefährlichen Fahrmanöver (Fahrstreifenwechsel, Wenden, Abbiegen in ein Grundstück, Rückwärtsfahren, Einfahren auf die Fahrbahn, Anfahren vom Fahrbahnrand) oder einem sonstigen Verkehrsvorgang (Ein- oder Aussteigen) zu einem Verkehrsunfall kommt, der Beweis des ersten Anscheins dafür spricht, dass der das gefährliche Fahrmanöver – oder sonstigen Verkehrsvorgang – ausführende Verkehrsteilnehmer die ihm dabei obliegenden gesteigerten Sorgfaltspflichten nicht beachtet hat, sich also nicht so verhalten hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war.
Die Anwendung des Anscheinsbeweises setzt allerdings voraus, dass ein typischer Geschehensablauf unstreitig oder bewiesen ist.
Sowohl die Ausführung eines gefährlichen Fahrmanövers durch den anderen Verkehrsteilnehmer als auch den engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang zwischen dem gefährlichen Fahrmanöver und dem Unfall muss zunächst einmal derjenige darlegen und ggfs. beweisen, der daraus günstige Rechtsfolgen für sich herleiten will, hier also der Kläger (LG Berlin, VRS 114, 1 – 5 (2008)).
Der Kläger hat hier bereits die Ausführung eines gefährlichen Fahrmanövers durch die Beklagte zu 1) nicht beweisen können.
Denn seiner Darstellung und der Aussage des Zeugen I., die diese bestätigt, stehen die Aussagen der Zeuginnen B. und N. T. entgegen.
Es bestehen keine Anhaltspunkte, die gerechtfertigt erscheinen lassen könnten, dem Kläger und dem Zeugen I. mehr Glauben zu schenken als der Beklagten zu 1) und den Zeuginnen N. und B. T..
Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die Aussagen der Zeuginnen T. und die Darstellung der Beklagten in Details nicht Deckungsgleich sind, so z.B. in Bezug auf den von diesen dargestellten Standort der Zeugin N. T.. Während die Beklagte zu 1) dargelegt hat, diese habe vor dem Haus gestanden und ihr ein Zeichen gegeben, woraus sie geschlossen habe, dass etwas passiert sei, soll die Zeugin N. T. nach Aussage der Zeugin B. T. zunächst ins Haus gegangen sein und von dort aus ein Geräusch gehört haben. Die Zeugin N. T. selbst hat ausgesagt, sie habe sich auf dem Weg zur Haustür befunden, als sie das Geräusch gehört habe und die Kinder gefragt habe, ob etwas geschehen sei. Hier ist aber zu berücksichtigen, dass seit dem Unfall fast vier Jahre vergangen sind und sich das menschliche Erinnerungsvermögen gerade in Bezug auf Details, die sich unmittelbar vor dem Unfall ereignet haben, nach der Lebenserfahrung nachlässt. Deutlich besser war die Erinnerung aller Zeugen, und das gilt auch für die Aussagen des Zeugen I., für die Vorgänge, die sich nach dem Unfall und damit zu einem Zeitpunkt zugetragen haben, als die besondere Aufmerksamkeit der Zeugen auf das Geschehen fokussiert war. Aus diesen Bekundungen lassen sich aber keinerlei Rückschlüsse auf das Unfallgeschehen selbst, insbesondere auf das Fahrverhalten der Beklagten zu 1), ziehen.
Der Umstand, dass die N. T. in der polizeilichen Unfallanzeige nicht erscheint, ist durch die Zeugin nachvollziehbar damit erklärt, dass sie sich unmittelbar nach dem Unfall und der Versorgung des gestürzten Klägers zurück ins Haus begeben hat, weil ihr (inzwischen verstorbener Ehemann D. T.) vor Ort gewesen sei. Dass die Beklagte zu 1) und die Zeuginnen T. hier bewusst die Unwahrheit zum Nachteil des Klägers gesagt haben sollen, vermag das Gericht nicht festzustellen. Insgesamt erscheint die Aussage des Zeugen I. gegenüber den Aussagen der Zeuginnen N. und B. T. nicht so viel überzeugender, dass das Gericht eine Verurteilung tragende Feststellung darauf stützen könnte. Dieses gilt umso mehr, als der Zeuge selbst lediglich meinte sich zu erinnern, dass die Beklagte zu 1) zunächst rückwärts gefahren sei. Ganz sicher war sich der Zeuge dessen aber nach eigenem Bekunden nicht.
Da damit nicht beweisen ist, dass die Beklagte zu 1) das Fahrzeug vor dem Unfall bewegt hat und rückwärts in Richtung Bürgersteig gefahren ist, lässt sich auch nicht feststellen, dass sie das Ausweichmanöver des Klägers kausal verursacht hat. Die Klage war deshalb schon aus diesem Grund abzuweisen.
Hinzu kommt, dass sich der Unfall – wie in der mündlichen Verhandlung unstreitig geworden ist – erst ereignet hat, nachdem der Kläger die Einfahrt und das Fahrzeug der Beklagten bereits passiert hatte und (unerlaubter Weise) wieder auf den Bürgersteig auffahren wollte. Dass es auch dann zu dem Unfall gekommen wäre, wenn der Kläger ordnungsgemäß die Straße benutzt hätte, ist nicht erwiesen und erscheint sogar eher unwahrscheinlich, auch wenn die Straße nach Bekunden des Klägers zum fraglichen Zeitpunkt stark befahren gewesen sein soll. Ob der Unfall vor diesem Hintergrund der Beklagten zu 2) überhaupt noch zugerechnet werden konnte, erscheint angesichts des verkehrsordnungswidrigen Verhaltens des Klägers selbst dann zweifelhaft, wenn ihm der Nachweis eines schuldhaften Verhaltens der Beklagten zu 2) gelungen wäre.
Die Klage war deshalb insgesamt mit der sich aus § 91 ZPO ergebenden Kostenfolge abzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Ziff. 1 und 709 ZPO.