KG Berlin – Az.: 9 U 56/14 – Urteil vom 19.04.2016
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. September 2014 – 86 O 84/14 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil des Senats sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Ein Arbeitnehmer des Klägers war von seinem Kollegen auf einer schnee- und eisglatten Parkplatzzufahrt abgesetzt worden und dort ausgerutscht. Zu dem Winterdienst auf dem insgesamt schnee- und eisglatten öffentlichen Parkplatz und den ebenso glatten und ungestreuten angrenzenden Gehwegen war die Beklagte zu 1) gesetzlich verpflichtet, wobei sie mit der Durchführung die vormalige Beklagte zu 2) beauftragt hatte. Mit ihrer Klage hat die Klägerin im Regresswege die Aufwendungen für Lohnfortzahlungen an ihren aufgrund des Sturzes mehrere Wochen arbeitsunfähigen Arbeitnehmer geltend gemacht.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil den Arbeitnehmer an dem Sturz ein ganz überwiegendes Mitverschulden getroffen habe.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger die Ansprüche gegen die Beklagte zu 1) weiter.
Von der Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird gemäß § 313a Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 540 Abs. 2 ZPO abgesehen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Dem Kläger stehen die im Regresswege geltend gemachten Ansprüche ihres Arbeitnehmers gegen die Beklagte zu 1) aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG als einziger in Betracht kommender Anspruchsgrundlage nicht zu.
1. Entgegen der Ansicht des Landgerichts scheiden Ansprüche aber nicht etwa bereits deswegen aus, weil den Arbeitnehmer der Klägerin ein überwiegendes Mitverschulden daran getroffen hätte, dass er auf dem von den Beklagten nicht gestreuten schnee- und eisglatten Boden ausgerutscht ist. Wie der Bundesgerichtshof in einer neueren Entscheidung noch einmal deutlich gemacht hat (BGH, Urteil vom 20. Juni 2013 – III ZR 326/12 -, juris Rn. 18 ff.), lassen sich Amtshaftungsansprüche, die sich aus Verkehrspflichtverletzungen der öffentlichen Hand herleiten, in aller Regel im Hinblick auf den mit der Verkehrssicherungspflichtverletzung gesetzten maßgeblichen Verursachungsbeitrag nicht unter Hinweis auf ein Mitverschulden des Geschädigten verneinen. So liegt es auch hier schon deswegen, weil der Arbeitnehmer des Klägers überhaupt keine Möglichkeit hatte, sicher zu dem Eingang seines Wohnhauses zu gelangen, da die von der Beklagten 1) mit der Schnee- und Eisbeseitigung beauftragte vormalige Beklagte zu 2) nirgendwo gestreut hatte und es überall schnee- und eisglatt war.
2. Die Haftung der Beklagten zu 1) scheitert entgegen ihrer Ansicht auch nicht etwa daran, dass sie keine gegenüber dem Arbeitnehmer des Klägers bestehenden Verkehrssicherungspflichten verletzt hätte und es schon an einer den Amtshaftungsanspruch aus den § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG begründenden Amtspflichtverletzung fehlen würde. Die Beklagte zu 1) traf gemäß den §§ 4 Abs. 1 Satz 4, 1 Abs. 1 und 4 StrReinG Berlin die Winterdienstpflicht für den Parkplatz, auf dessen Zufahrt der Arbeitnehmer des Klägers ausgerutscht war. Wenn auch genau an der Stelle, an der Arbeitnehmer des Klägers von seinem Kollegen abgesetzt worden war und der er ausgeglitten ist, keine Verpflichtung zum Streuen bestand, so dass es insoweit an einer Pflichtverletzung des Klägers fehlt, war die Beklagte zu 1) doch verpflichtet, auf dem Parkplatz gestreute Pfade anzulegen, die ein gefahrloses Betreten und Verlassen des Parkplatzes erlaubt hätten (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 1965 – III ZR 32/65 -, juris Rn. 36 f.), und auch auf den an den Parkplatz angrenzenden Fußwegen zu streuen (ähnlich der von dem 7. Zivilsenat des Kammergerichts zu beurteilende Fall, Urteil vom 2. Juni 2015 – 7 U 102/14 -, juris Rn. 16). Dem sind das der Beklagten u 1) mit der Schnee- und Eisbeseitigung beauftragte Unternehmen, die ehemalige Beklagte zu 2), bzw. dessen Mitarbeiter nicht nachgekommen, wobei die Beklagte zu 1) sich das Fehlverhalten des als ihr Verwaltungshelfer einzuordnenden Unternehmens bei der Ausführung des Winterdienstes zurechnen lassen muss (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 2014 – III ZR 68/14 -, juris Rn. 18).
3. Die Haftung der Beklagten scheitert aber an der nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB erforderlichen Kausalität zwischen Amtspflichtverletzung und Schaden. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der von der Beklagten zu 1) verletzten Verkehrssicherungspflicht und dem durch den Sturz des Arbeitnehmers des Klägers entstandenen Schadens lässt sich nicht feststellen.
a) Es ist insoweit zu fragen, welchen Verlauf die Dinge bei amtspflichtgemäßem Verhalten des Schädigers, hier also bei ordnungsgemäßer Durchführung des Winterdienstes durch die Beklagte 1) bzw. das von ihr hiermit beauftragte Unternehmen, die vormalige Beklagte zu 2), und seine Mitarbeiter genommen hätten. Bei einem Unterlassen – hier: dem Unterlassen des Winterdienstes – muss mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass der Schaden auch bei amtspflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre (Wöstmann in: Staudinger, Neubearbeitung 2013, § 839 BGB Rn. 224 m.w.N.). Der Geschädigte hat darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, in welcher für ihn günstigen Weise das Geschehen bei Vornahme der gebotenen Amtshandlung verlaufen wäre (BGH, Urteil vom 22. Mai 1986 – III ZR 237/84 -, juris Rn. 35).
Auf Beweiserleichterungen kann sich der Kläger in der vorliegenden Fallgestaltung nicht mit Erfolg berufen. Allerdings können dem Geschädigten die Grundsätze des Anscheinsbeweises zugutekommen, wenn er an einer Stelle, die bei Beachtung der Verkehrssicherungspflicht zu streuen gewesen wäre, zu Fall kommt (BGH, Urteil vom 20. Juni 2013 – III ZR 326/12 -, juris Rn. 16 m.w.N.; Senat, Urteil vom 19. Januar 1999 – 9 U 5915/97 -, juris Rn. 8). Daran fehlt es hier aber. An der Stelle, an der der Mitarbeiter des Klägers gestürzt ist, bestand gerade keine Streupflicht. Die Verkehrssicherungspflichtverletzung bestand darin, dass an anderen streupflichtigen Stellen nicht gestreut war. Insoweit lässt sich aber kein für den Anscheinsbeweis erforderlicher typischer Geschehensverlauf feststellen, dass ein Geschädigter, der sich an einer in keinem Fall streupflichtigen Stelle eines Parkplatzes absetzen lässt, bei Erfüllung der Streupflicht dann an einer anderen gestreuten Stelle auf dem Parkplatz oder einem angrenzenden Gehweg ausgestiegen wäre. Insoweit unterscheidet sich die Fallgestaltung auch von einem insgesamt nicht gestreuten Gehweg, bei dem als typischer Geschehensablauf angenommen werden kann, dass ein Fußgänger bei pflichtgemäßem Verhalten die gestreute Schneise nutzen würde (vgl. für diese Fallgestaltung das Urteil des 7. Senats des Kammergerichts vom 2. Juni 2015 – 7 U 102/14 -, juris Rn. 16 f.).
b) Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger zwar hinreichend dargelegt, dass sein Arbeitnehmer dann, wenn die Beklagte zu 1) auf dem Parkplatz gestreute Pfade angelegt und die umgebenden Gehwege gestreut hätte, nicht an der nicht streupflichtigen Parkplatzzufahrt, sondern an einer gestreuten Stelle ausgestiegen wäre. Den ihr für diese, von der Beklagten zu 1) zulässig bestrittene Behauptung obliegenden Beweis hat sie jedoch nicht zu führen vermocht. Die Beweisaufnahme durch Befragung der von dem Kläger benannten Zeugen, nämlich seines Arbeitnehmers und dessen Kollegen, der ihn an der Parkplatzzufahrt abgesetzt hatte, hat dem Senat nicht die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung zu vermitteln vermocht, dass der Arbeitnehmer von seinem Kollegen an einer anderen als der nicht streupflichtigen Parkplatzzufahrt abgesetzt worden wäre. Das folgt daraus, dass sowohl der gestürzte Arbeitnehmer des Klägers, der Zeuge K…, als auch der ihn absetzende Kollege, der Zeuge J…, nicht zu erkennen gegeben haben, dass sie sich auch unter Berücksichtigung der Witterungsverhältnisse Gedanken über den Ausstiegsort gemacht hätten. Vielmehr haben sie freimütig bekundet, dass die Witterungsverhältnisse keine Bedeutung für den Ort des Absetzens hatten. Der Zeuge K… hat bekundet, der Zeuge J… habe ihn einmal an dem einen Ort, das andere Mal an einem anderen Ort abgesetzt; Gedanken habe er sich darüber nie gemacht und den Ausstiegsort auch nicht mit dem Zeugen J… besprochen. Der Zeuge J… hat ebenfalls bekundet, den Zeugen K… wahllos abgesetzt zu haben, einen ”Plan” habe es dafür nicht gegeben. Danach erscheint es als offen, ob der Zeuge K… an einer anderen, gestreuten Stelle auf dem Parkplatz oder an einem der angrenzenden Wege aus dem Fahrzeug des Zeugen J… ausgestiegen wäre. Dass dieser von dem Kläger behauptete Ablauf auch nur wahrscheinlich oder gar, wie es für die Feststellung der Kausalität hier erforderlich wäre, in hohem Maße wahrscheinlich wäre, lässt sich danach nicht feststellen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO und die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.