Oberverwaltungsgericht Sachsen – Az.: 3 B 429/21 – Beschluss vom 09.12.2021
Der Antrag wird verworfen.
Die Kosten des Verfahrens tragen Antragstellerin und Antragsgegner je zur Hälfte.
Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die im Freistaat Sachsen lebende Antragstellerin verfolgt mit ihrem Eilantrag gemäß § 47 Abs. 6 VwGO das Ziel, § 9 Abs. 3 der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt zur Regelung von Notfallmaßnahmen zur Brechung der vierten Coronavirus SARS-CoV-2-Welle (Sächsische Corona-Notfall-Verordnung – SächsCoronaNotVO) vom 19. November 2021 (SächsGVBl. S. 1261) einstweilen außer Vollzug zu setzen. Die Sächsische Corona-Notfall-Verordnung hat – soweit hier streitgegenständlich – nachfolgenden Wortlaut:
„§ 1
Grundsatz
(1) Die Öffnung, Inanspruchnahme und der Betrieb von Geschäften, Einrichtungen, Unternehmen, Veranstaltungen und sonstigen Angeboten ist unter Beachtung der nachfolgenden Vorschriften gestattet. Die Landkreise und Kreisfreien Städte können abweichend von dieser Verordnung weitergehende Schutzmaßnahmen anordnen.
(…)
§ 9
Dienstleistungen
(1) (…)
(3) Für die jeweiligen Schülerinnen und Schüler besteht die Pflicht zur Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises zur Kontrolle der jeweiligen Nachweise durch den Betreiber und zur Kontakterfassung in Fahrschulen, Bootsschulen, Flugschulen und vergleichbaren Einrichtungen und Angeboten. Für Unterrichtende besteht abweichend von Satz 1 die Pflicht zur Vorlage eines Impf-, Genesenen- oder Testnachweis. (…)
§ 23
Inkrafttreten, Außerkrafttreten
(1) Diese Verordnung tritt am 22. November 2021 in Kraft. Gleichzeitig tritt die Sächsische Corona-Schutz-Verordnung vom 5. November 2021 (SächsGVBl. S. 1232) außer Kraft.
(2) Diese Verordnung tritt mit Ablauf des 12. Dezember 2021 außer Kraft.“
Die Antragstellerin trägt mit ihrer Antragsschrift vom 30. November 2021 vor: Sie sei weder geimpft noch genesen im Sinn der Verordnung. Sie habe sich bereits im August 2020 in der Fahrschule angemeldet. Sie habe die Theoriestunden im Online-Unterricht durchgeführt. Sie habe die praktischen Fahrstunden „vollendet“ und der Fahrlehrer gehe davon aus, dass sie zur praktischen Prüfung vorgestellt werden könne. Die theoretische Prüfung bei der D. sei auf den… Dezember 2021 terminiert. Da sie aufgrund der Regelung in § 9 Abs. 3 SächsCoronaNotVO keinen Zugang zu der Prüfung erhalten werde, mache sie einen Normenkontrollantrag anhängig. Sie erachte es als unverhältnismäßige Einschränkung ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit, dass ihr nicht Gelegenheit gegeben werde, ihre Führerscheinprüfung abzulegen, auch wenn sie bereit wäre, einen aktuellen negativen PCR-Test vorzulegen. Für die theoretische Prüfung sei dies nicht nachvollziehbar, da § 15 Abs. 4 SächsCoronaNotVO die Möglichkeit der Abnahme von Prüfungen für Hochschulen etc. eröffne. Das Ansteckungsrisiko sei im Rahmen einer solchen Prüfung gering. Auch für die praktische Prüfung sei durch den angebotenen PCR-Test das Ansteckungsrisiko gering. Sie lege im Sommer 2022 ihr Fachabitur ab und bewerbe sich auf Ausbildungsstellen im Bereich der Immobilienwirtschaft. Sie habe die Erfahrung gemacht, dass eine Fahrerlaubnis dort als selbstverständlich vorausgesetzt werde. Daher wirke es sich nachteilig auf ihre Chancen aus, einen Ausbildungsplatz zu erhalten, wenn sie die Prüfung nicht ablegen könne.
Sie beantragt, § 9 Abs. 3 der Sächsischen Corona-Notfall-Verordnung vom 19. November 2021 vorläufig außer Vollzug zu setzen, als dieser es ihr nicht ermöglicht, als ungeimpfte Person an einer theoretischen oder praktischen Führerscheinprüfung und an Fahrstunden unter Vorlage eines aktuellen negativen Antigen- oder PCR-Tests teilzunehmen.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Er verteidigt mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2021 die Regelung. Er verweist darauf, dass Rechtsgrundlage für die angegriffene Regelung § 28a Abs. 1 i. V. m. § 32 Satz 1 IfSG sei. Jedenfalls in ihrer Zusammenschau trügen die vorgenannten Bestimmungen die Einschränkung der Teilnahmemöglichkeit für Fahrschüler am theoretischen und praktischen Teil des Unterrichts und an der Fahrprüfung auf Personen, die einen Impf- oder Genesenenausweis vorlägen. Übergreifendes Ziel der Verordnung sei es, im Rahmen des vertretbaren in der extrem angespannten aktuellen Pandemiesituation für eine befristete Dauer von drei Wochen Sozialkontakte überall dort zu unterbinden, wo dies nicht aus übergeordneten Gründen erforderlich sei. Damit solle ein weiteres Ansteigen der Überlastung des stationären Gesundheitswesens vermieden und die Überlastung möglichst zurückgeführt werden. Zugleich werde dadurch die Gesundheit und das Leben einer unbestimmten Vielzahl von Personen im Freistaat Sachsen geschützt. Die Eignung und Erforderlichkeit zur Einschränkung der Virusverbreitung, die Teilnahmemöglichkeit am theoretischen und praktischen Teil des Fahrschulunterrichts und, worauf die Antragstellerin abhebe, der Fahrprüfung auf Personen zu begrenzen, die nachweisbar von Corona genesen oder vollständig hiergegen geimpft seien, liege angesichts der vorliegend referierten extremen Situationen auf der Hand. Die angegriffene Regelung bringe auch keine unverhältnismäßige Einschränkung der Rechte der Antragstellerin mit sich. Sie werde erst im Sommer 2022 das Fachabitur ablegen und dann die von ihr möglicherweise erstrebte Berufsausbildung im Immobiliensektor beginnen können, so dass es ihr bis dahin möglich sein dürfte, angesichts der befristeten Regelungen in der Verordnung die Prüfungen abzuschließen. Soweit sie angesichts der Verzögerung bestimmte Voraussetzungen für die Prüfungsanmeldung wiederholen müsse, stelle dies eine zulässige Aktualisierung der allgemeinen Handlungsfreiheit bei gegebenen Schranken der Rechte Dritter dar. Es liege kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 18 Abs. 1 SächsVerf vor. Die in § 15 Abs. 4 SächsCoronaNotVO genannten Prüfungen fänden ihre Rechtfertigung in den ungleich gewichtigeren Gründen, die in derartigen Fällen die Ablegung der entsprechenden Fahrprüfung unaufschiebbar erforderten. Dass das Personal in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit seinerseits einen Nachweis vorlegen könne, um sich die Zugangsberechtigung zu erhalten, sei darin begründet, dass eine Reduzierung auf den Personenkreis der nachweisbar Genesenen und vollständig Geimpften für die übrigen Mitarbeiter ein faktisches Berufsverbot zur Folge hätte. Wegen der gravierenden, auch finanziellen Nachteile habe der Verordnungsgeber die entsprechende Ausnahmeregelung treffen können. Die Privilegierung der in § 15 Abs. 4 SächsCoronaNotVO genannten Prüfungen fände seine Berechtigung in dem besonderen öffentlichen Interesse daran, dass diese Ausbildung bestmöglich durchgeführt und damit die entsprechenden berufsbefähigenden Bildungsabschlüsse und nachfolgenden Beschäftigungsmöglichkeiten für die Teilnehmer an diesen Ausbildungen gesichert blieben. Auch eine Folgenabwägung gehe zu Lasen der Antragstellerin aus.
II.
Der Normenkontrollantrag gemäß § 47 Abs. 6 VwGO ist unzulässig.
Zwar ist der Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. § 24 Abs. 1 SächsJG statthaft. Danach entscheidet das Sächsische Oberverwaltungsgericht über die Gültigkeit von im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften. Dazu gehören Verordnungen der Staatsregierung. Der Senat entscheidet gemäß § 24 Abs. 2 SächsJG hierüber in der Besetzung von fünf Berufsrichtern.
Der Antragstellerin fehlt für die begehrte Außervollzugsetzung von § 9 Abs. 3 Sächs-CoronaNotVO allerdings das Rechtsschutzbedürfnis. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Soweit die Antragstellerin § 9 Abs. 3 SächsCoronaNotVO außer Vollzug setzen möchte, um an theoretischen oder praktischen Fahrstunden in ihrer Fahrschule teilzunehmen, ergibt sich für den Senat schon deshalb kein Rechtsschutzbedürfnis, weil sie in ihrem Antrag angegeben hat, dass sie sowohl die theoretischen Fahrstunden im Online-Betrieb wie auch die praktischen Fahrstunden soweit durchgeführt hat, dass ihr Fahrlehrer sie zur Prüfung anmelden möchte. Daher ist mit dem Antragsgegner davon auszugehen, dass die Antragstellerin weiterer Fahrstunden derzeit nicht bedarf. Sollte sie ggf. deshalb ergänzende Fahrstunden in Anspruch nehmen müssen, weil sie etwa die praktische Prüfung nicht besteht, ist derzeit nichts dafür ersichtlich, dass dieser Fall zeitnah eintreten könnte. Daher könnte die begehrte Außervollzugsetzung von § 9 Abs. 3 SächsCoronaNotVO, soweit hierin Fahrschüler zur Vorlage eines Impf- oder Genesenenausweises verpflichtet sind, um an Fahrstunden teilzunehmen, der Antragstellerin keinen rechtlichen Vorteil verschaffen.
Nichts anderes gilt im Hinblick auf die begehrte Außervollzugsetzung von § 9 Abs. 3 SächsCoronaNotVO, soweit die Antragstellerin meint, für die Teilnahme an der theoretischen und praktischen Fahrprüfung einen Impf- oder Genesenennachweis vorlegen zu müssen. Denn die gerügte Vorschrift erfasst nicht die Teilnahme an der theoretischen und praktischen Fahrprüfung.
Dies ergib sich aus Folgendem: Nach dem Wortlaut gilt § 9 Abs.3 SächsCoronaNotVO nur für die Teilnahme an Fahrstunden, die von Fahrschulen angeboten werden. Dies folgt insbesondere aus der in § 9 Abs. 3 Satz 1 SächsCoronaNotVO vorgenommenen Auflistung der zur Kontrolle der Nachweise und Kontakterfassung verpflichteten Schulen. Gemäß § 9 Abs. 3 Satz 2 SächsCoronaNotVO werden Unterrichtende von der für Schüler bestehenden Pflicht zur Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises ausgenommen, was es dem Lehrpersonal damit ermöglicht, den Unterricht in der jeweiligen Schule auch nach Vorlage eines Testnachweises durchzuführen. Der Anwendungsbereich von § 9 Abs. 3 SächsCoronaNotVO ist damit unter Auslegung aus Sicht eines verständigen Lesers auf die Durchführung des Unterrichts in den jeweiligen Schulen begrenzt. Auch die Tatsache, dass § 9 SächsCoronaNotVO schon nach seiner Überschrift nur „Dienstleistungen“ erfasst, legt es aus Sicht eines verständigen Lesers nahe, dass nur die dort genannten Dienstleistungen, zu denen nach allgemeinem Verständnis auch das Abhalten von Unterricht gehört, erfasst sind. Schließlich lässt auch die Begründung zu § 9 SächsCoronaNotVO keine erweiternde, auch Fahrschulprüfungen beinhaltende Auslegung zu. Die Begründung erschöpft sich vielmehr in einer knappen, allgemein gehaltenen zusammenfassenden Wiedergabe des Norminhalts.
Die theoretische und praktische Fahrschulprüfung wird nicht von der Fahrschule abgenommen und findet – wie allgemein bekannt – nicht in der Fahrschule statt, sondern wird von einem amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer durchgeführt (vgl. §§ 15 bis 17 FeV i. V. m. Anlage 7 zu § 16 Abs. 2, § 17 Abs. 2 und 3 FeV). Der Fahrlehrer ist, wie sich aus Nr. 2.5.3 Anlage 7 ergibt, nur Teilnehmer an der Fahrprüfung, nimmt sie aber nicht ab.
Der amtlich anerkannte Sachverständige oder Prüfer kann auch nicht unter den in § 9 Abs. 3 Satz 1 SächsCoronaNotVO enthaltenen Begriff der „vergleichbaren Einrichtung oder Angebote“ gefasst werden. Mit dem Begriff der Vergleichbarkeit hat der Verordnungsgeber nur zu erkennen gegeben, dass die in der Vorschrift beispielhaft aufgenommene Nennung einzelner Schularten nicht abschließend ist, sondern das weitere Schulen, die im Rahmen ihrer Dienstleistungen Unterricht anbieten, von der Regelung erfasst sind; dies können etwa Tauch- oder Schwimmschulen sein. Bei der Abnahme von Fahrprüfungen handelt es sich um eine hoheitliche Maßnahme, die zwar in dem jeweiligen Umfang Unterricht voraussetzt, aber nicht deren Teil ist. Dies folgt auch aus § 15 Abs. 4 SächsCoronaNotVO, wonach u. a. für die dort ausdrücklich aufgeführten Prüfungen u. a. die Pflicht zur Vorlage eines Impf-, Genesenen- oder Testnachweises ausreichend ist. Damit hat der Verordnungsgeber zu erkennen gegeben, dass er zwischen Lehr- und Unterrichtsveranstaltungen und Prüfungen unterscheidet.
Die seiner Stellungnahme zugrundeliegende Auffassung des Antragsgegners, dass auch die Fahrprüfungen von § 9 Abs. 3 SächsCoronaNotVO erfasst sind, findet daher im Wortlaut der Vorschrift keine Stütze. Eine den Wortlaut erweiternde Auslegung zu Lasten des Regelungsbetroffenen ist nicht möglich. Unklarheiten und Unsicherheiten bei der Auslegung gehen zu Lasten des Verordnungsgebers. Sollen dem Betroffenen die von den Regelungen ausgehenden Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit der Antragstellerin gemäß Art. 2 Abs. 1 GG auferlegt werden, ist die Vorschrift so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normenklarheit und Justiziabilität entspricht. Die Regelung muss in ihren Voraussetzungen und in ihrem Inhalt so formuliert sein, dass die von ihr Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach ausrichten können (vgl. zuletzt SächsOVG, Urt. v. 21. April 2021 – 3 C 8/20 -, juris Rn. 29 ff. m. w. N.). Hätte der Verordnungsgeber gewollt, dass die in § 9 Abs. 3 SächsCoronaNotVO enthaltenen Beschränkungen nicht nur für den Unterricht an der jeweiligen Schule, sondern auch für die ggf. von einer anderen Stelle abzunehmende Prüfung gelten, hätte dies seinen Niederschlag in dem Wortlaut der Vorschrift finden müssen.
Da die Antragstellerin durch § 9 Abs. 3 SächsCoronaNotVO nicht daran gehindert ist, als Ungeimpfte und nicht Genesene an der theoretischen und praktischen Fahrschulprüfung teilzunehmen, besteht damit auch insoweit kein Rechtsschutzbedürfnis dafür, § 9 Abs. 3 SächsCoronaNotVO, wie von ihr begehrt, einstweilig außer Vollzug zu setzen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1, Abs. 4 VwGO. Soweit sich die Antragstellerin gegen die Beschränkungen von Fahrstunden wendet, waren ihr die Verfahrenskosten aufzuerlegen. Für die Antragstellerin bestand allerdings das Risiko, dass sie von § 9 Abs. 3 SächsCoronaNotVO daran gehindert sein könnte, als Ungeimpfte und nicht Genesene an der theoretischen und praktischen Fahrprüfung teilzunehmen, und der Antragsgegner hat trotz eines entsprechenden gerichtlichen Hinweises keine Klarstellung dahingehend erbracht, dass diese Prüfungen vom Wortlaut des § 9 Abs. 3 SächsCoronaNotVO nicht erfasst sind. Daher musste die Antragstellerin einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch nehmen, um eine diesbezügliche gerichtliche Klarstellung durch den Senat herbeizuführen. Die hierdurch verursachten Kosten können der Antragstellerin aber nicht zur Last gelegt werden.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Da die angegriffene Regelung mit Ablauf des 12. Dezember 2021 außer Kraft tritt, zielt der Antrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, sodass eine Reduzierung des Auffangstreitwerts für das Eilverfahren nicht veranlasst ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).