Oberlandesgericht Bamberg
Az: 1 U 161/09
Beschluss vom 23.02.2010
I. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Würzburg vom 18.11.2009 – Az.: 21 O 3149/07 – gemäß § 522 Abs. 2 ZPO einstimmig zurückzuweisen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 22.386,– Euro festzusetzen.
II. Der Beklagten wird Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt bis spätestens 15. März 2010.
Gründe
Der Senat ist davon überzeugt, dass die Berufung der Beklagten keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO) und dass die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nicht vorliegen. Er beabsichtigt deshalb, die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Würzburg vom 18.11.2009 – Az.: 21 O 3149/07 – einstimmig zurückzuweisen. Hierzu sowie zum vorgesehenen Berufungsstreitwert wird Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.
I. Die Berufung der Beklagten hat keine Aussicht auf Erfolg, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO.
Das angefochtene Urteil des Landgerichts Würzburg vom 18.11.2009 erweist sich nach Überprüfung durch das Berufungsgericht anhand des Berufungsvorbringens als zutreffend. Der Senat nimmt hierauf Bezug, sieht sich jedoch, auch unter Berücksichtigung der Berufungsangriffe, zu folgenden ergänzenden Ausführungen veranlasst:
1. Das Landgericht begründet die angefochtene Entscheidung damit, dass der Beklagten der Nachweis eines Ausschlussgrundes nach § 2 Abs. 1 (5) AURB 98, nämlich der Beteiligung des Klägers an einer „Fahrtveranstaltung“ im Sinne dieser Bedingung, nicht gelungen sei. Dies ist berufungsrechtlich nicht zu beanstanden.
a. Zunächst ist es nicht nur zutreffend, sondern zivilprozessual sogar geboten, eine selbständige tatrichterliche Prüfung und Bewertung vorzunehmen bezüglich des Vorliegens einer solchen, von der Beklagten behaupteten Beteiligung des Klägers an einer Wettfahrt, ohne hierbei an die Bewertungen und Meinungen von Zeugen gebunden zu sein. Die tatrichterliche Überzeugungsbildung hat zwar aufgrund durchgeführter Beweisaufnahme und deren Würdigung zu erfolgen, gleichwohl dürfen hierbei lediglich die von den Zeugen bekundeten Tatsachen und Umstände, nicht aber deren subjektive Einschätzungen Berücksichtigung finden.
b. Die gegen die erstgerichtliche Beweiswürdigung gerichteten Berufungsangriffe der Beklagten erweisen sich als unbegründet. Aufgabe eines Zivilgerichtes ist es, aufgrund des gesamten Inhalts der Verhandlungen einschließlich durchgeführter Beweisaufnahme den Sachverhalt im Wege freier Beweiswürdigung festzustellen, d.h. sich eine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer streitigen und entscheidungserheblichen Tatsachenbehauptung zu bilden, § 286 Abs. 1 ZPO. Die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse darf der Tatrichter folglich nach seiner eigenen individuellen Einschätzung bewerten und ist hierbei lediglich an die Denk-, Natur- und Erfahrungsgesetze gebunden (Greger/Zöller ZPO, 26. Aufl., Rdnr. 13 zu § 286). Da eine absolute Gewissheit auch in einem Zivilprozess in der Regel nicht zu erreichen ist, darf und muss sich ein Zivilgericht jedoch für die Gewinnung der vollen Überzeugung von der Wahrheit behaupteter Tatsachen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Dies bedeutet, dass eine mathematische, jede Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ausschließende, von niemandem mehr anzweifelbare Gewissheit nicht erforderlich ist (vgl. BGH NJW 1970, 946; NJW 2004, 777; NJW-RR 2007, 312; Senat in ständiger Rspr., vgl. Beschlüsse vom 11.07.2007, Az.: 1 U 86/07; vom 29.10.2008, Az.: 1 U 120/08; vom 25.03.2009, Az.: 1 U 20/09). Ebenso ist es unvermeidbar, dass die Überzeugung i.S.v. § 286 ZPO auch von subjektiven Einflüssen des Tatrichters bestimmt wird. Einer Korrektur durch das Berufungsgericht unterliegt eine solche tatrichterliche Entscheidung nur insoweit, als dem Erstgericht Verfahrensfehler bei der Beweiserhebung unterlaufen sind oder eine Korrektur der Tatsachengrundlagen wegen eventueller rechtsfehlerhafter Erfassung oder gar eine neue Feststellung der Tatsachen geboten und zulässig ist, §§ 529, 531 ZPO. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.
c. Gänzlich unabhängig von der landgerichtlichen Beweiswürdigung kann die Berufung aber auch schon deshalb keinen Erfolg haben, weil der Ausschlussgrund des § 2 Abs. 1 (5) AURB 98 selbst unter Zugrundelegung des Sachvortrags der Beklagten nicht gegeben ist.
Nach dieser Allgemeinen Bedingung für die Unfallrentenversicherung der Beklagten ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen, wenn der Unfall dem Versicherten dadurch zustößt, dass er sich „als Fahrer, … eines Motorfahrzeuges an Fahrtveranstaltungen einschließlich der dazugehörigen Übungsfahrten beteiligt, bei denen es auf die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten ankommt.“ Die Regelung des § 2 Abs. 1 (5) AURB 98 entspricht damit sowohl vom Wortlaut als auch von seiner Bedeutung den in § 2 Abs. 1 (5) AUB 94, § 2 b Nr. 3 b AKB, und § 4 Nr. 4 KfzPflVV enthaltenen Regelungen. Gemeinsames Merkmal sämtlicher Bestimmungen ist also die „Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit“, wobei es sich hierbei nicht um den alleinigen Zweck handeln muss. Ausreichend ist vielmehr, dass die Höchstgeschwindigkeit zumindest mitbestimmend ist. Nach den Verwaltungsvorschriften zu § 29 Abs. 1 StVO sind Rennen „Wettbewerbe oder Teile eines Wettbewerbes … zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten oder höchsten Durchschnittsgeschwindigkeiten mit Kraftfahrzeugen“. Um ein Rennen handelt es sich folglich auch bei einem Wettbewerb, bei dem die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit bei Zurücklegung der Strecke zwischen Start und Ziel ermittelt wird.
Es ist unstreitig, dass Fahrveranstaltungen, die auf besonders gesicherten oder abgesperrten Straßen stattfinden, ohne weiteres vom Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln erfasst werden, wenn für den Sieg im Wettbewerb die höchste Geschwindigkeit entscheidend ist. Allerdings ist dieses Merkmal schon dann nicht mehr als erfüllt angesehen worden, wenn die Fahrveranstaltung auf einer öffentlichen Straße ausgetragen wird, die Teilnehmer die Verkehrsvorschriften zu beachten hatten und die Veranstaltung lediglich auf die Erzielung einer hohen Durchschnittsgeschwindigkeit ausgerichtet war (vgl. BGH, Urteil v. 26. November 1975, Az.: IV ZR 122/74; Urteil v. 01. April 2003, VersR 2003, 775).
Vorliegend sind diese zum Ausschluss führenden Voraussetzungen einer Fahrtveranstaltung i.S.v. § 2 Abs. 1 (5) AURB 98 sämtlich nicht gegeben.
So fehlt es schon an dem Ziel der Erreichung einer Höchstgeschwindigkeit. Wenn man die Kollisionsgeschwindigkeit des vom Kläger gesteuerten Fahrzeuges (80 – 100 km/h) zugrunde legt, so ist er zwar mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit gefahren, den Bereich der Höchstgeschwindigkeit hatte das Motorrad Suzuki 750 R GSX jedoch bei weitem nicht erreicht. Anhaltspunkte dafür, diese erreichen zu wollen, sind nicht erkennbar.
Zudem fehlt es an dem Merkmal der „Veranstaltung“. Selbst wenn man den Sachvortrag der Beklagten zugrunde legt, wonach der Kläger versucht habe, schneller als der neben ihm fahrende Zeuge H. zu sein, der mit seinem Motorrad den X-Ring in W. in gleicher Fahrtrichtung befuhr, so handelt es sich doch nicht um eine solche „Veranstaltung“ i.S.v. § 2 Abs. 1 (5) AURB 98. Die regelmäßig im Straßenverkehr stattfindenden Versuche von Verkehrsteilnehmern, an anderen Verkehrsteilnehmern vorbei zu fahren, diese zu überholen bzw. die Versuche der jeweils anderen Verkehrsteilnehmer, eben dies zu verhindern, sind selbst dann, wenn dies unter Missachtung oder Verletzung von Vorschriften der StVO geschieht, keine „Veranstaltung“, sondern allenfalls ein privates „Kräftemessen“ oder ein bloßes Ausleben von Egoismen (vgl. hierzu auch OLG Nürnberg VersR 2008, 207; Prölss/Martin VVG, 27. Aufl. Rdnr. 62 zu § 2b AKB).
2. Gleichwohl kann ein solches „Kräftemessen“, wenn es unter Verletzung von Verkehrsvorschriften erfolgt, den Tatbestand einer Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315 c StGB) erfüllen. Der Versicherungsschutz wäre dann zwar nicht nach § 2 Abs. 1 (5) AURB 98, jedoch nach § 2 Abs. 1 (2) AURB 98 ausgeschlossen. Bedingungsgemäß erfordert dies jedoch nicht nur eine Tatbestandsverwirklichung, sondern auch die Schuldform des Vorsatzes. Das Erstgericht verneint einen solchen Vorsatz des Klägers mit der Begründung, die bereits im Strafverfahren vor dem Amtsgericht Würzburg (Az.: 159 Ds 962 Js 11133/05) getroffenen Feststellungen fehlenden Vorsatzes hätten sich auch im Zivilverfahren bestätigt. Auch die hiergegen gerichteten Berufungsangriffe der Beklagten können im Ergebnis keinen Erfolg haben.
a. Das Landgericht hat insbesondere nicht verkannt, dass es eine eigenständige Prüfung des Vorliegens einer vorsätzlichen Straftat nach § 315 c StGB vorzunehmen hatte. Es hat diese – entgegen der Behauptung der Berufung – auch vorgenommen. Die Beklagte unternimmt gleichwohl den – unzulässigen – Versuch, die richterliche durch eine eigene Würdigung des Unfallgeschehens vom 18.09.2004 zu ersetzen. Hiermit kann sie – auch aus nachfolgenden Gründen – keinen Erfolg haben:
b. Unstreitig ist der Kläger mit seinem Motorrad im Kreuzungsbereich X-Ring/Bahnhofszufahrt zu schnell, nämlich mit mindestens 80 km/h statt der dort zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h, gefahren. Der Senat geht zudem davon aus, dass die überhöhte Geschwindigkeit jedenfalls mitursächlich für die Kollision des klägerischen Motorrades mit dem PKW der Unfallbeteiligten B. gewesen ist, sodass der Verkehrsverstoß des Klägers auch zu einer konkreten Gefährdung für Leib und Leben eines anderen Menschen sowie für fremde Sachen von bedeutendem Wert geführt hat.
c. Gleichwohl erfordert eine Straftat der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315 c Abs. 1 Nr. 2 d StGB nicht nur ein zu schnelles Fahren an Straßenkreuzungen oder Straßeneinmündungen und der dadurch verursachten konkreten Gefährdung, sondern darüber hinaus die „grob verkehrswidrige und rücksichtslose“ Begehung des Verkehrsverstoßes sowie einen nicht nur auf den Verkehrsverstoß, sondern auch hierauf bezogenen Vorsatz des Täters.
aa) „Grob verkehrswidrig“ ist ein Verhalten, das sich objektiv als besonders schwerer Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften und gegen die Verkehrssicherheit darstellt (BGHSt 5, 392; OLG Düsseldorf ZfSch 2000, 413; LK StGB, 12. Aufl. § 315 c, Rdnr. 133). Der Senat ist der Auffassung, dass der Regelverstoß des Klägers, insbesondere unter Berücksichtigung der ganz erheblichen Geschwindigkeitsübertretung auf einer öffentlichen, innerstädtischen Straße, als grob verkehrswidrig in dem so bezeichneten Sinn zu qualifizieren ist.
bb) „Rücksichtslos“ handelt derjenige Verkehrsteilnehmer, der sich im Straßenverkehr im Bewusstsein seiner Verkehrspflichten aus eigensüchtigen Gründen über diese hinwegsetzt oder wer sich aus Gleichgültigkeit auf seine Pflichten als Fahrer nicht besinnt, Hemmungen gegen seine Fahrweise in sich gar nicht aufkommen lässt und unbekümmert um die Folgen seines Verhaltens „drauflosfährt“ (vgl. BGHSt 5, 392; VRS 17, 46; 23, 289; OLG Düsseldorf aaO.; OLG Dresden Beschluss v. 02.12.2002, Az.: 3 Ss 529/02). Das Merkmal der Rücksichtslosigkeit erfordert mithin eine sog. „üble Verkehrsgesinnung“, die in der konkreten Tat hervortreten muss (vgl. KG Berlin, Beschluss v. 23.03.1998, Az.: (3) 1 Ss 301/97 (18/98)).
cc) „Vorsätzlich“ schließlich handelt derjenige, der sowohl die tatsächlichen Umstände der groben Verkehrswidrigkeit (oben unter aa)) in seinen Vorsatz aufgenommen hat, als auch die Bedeutung der der Rücksichtslosigkeit (oben unter bb)) zugrunde liegenden Umstände richtig erfasst (vgl. BayObLGSt 68, 91).
dd) Allerdings kann sich die Prüfung von „Rücksichtslosigkeit“ und „Vorsatz“ grundsätzlich nicht darin erschöpfen, lediglich aus einem besonders schweren Verkehrsverstoß hierauf zu schließen (vgl. BayObLG VRS 79, 364), zumal auch der sorgfältige und umsichtige Kraftfahrer nicht vor schweren Fehlern gefeit ist. Evident ist eine Rücksichtslosigkeit allenfalls in Fällen – vorliegend allerdings nicht gegebener – ganz gravierender Verkehrsverstöße (vgl. BayObLG VRS 73, 379). Rücksichtslosigkeit und Vorsatz können schließlich – trotz grob verkehrswidrigen Verhaltens – auch nicht in Fällen sog. Augenblicksversagens (OLG Stuttgart DAR 76, 23), der bloßen Unaufmerksamkeit oder der auf menschlichem Versagen beruhenden irrigen Beurteilung einer Verkehrslage (vgl. BGHSt 5, 392; OLG Karlsruhe VRS 114, 363; OLG Düsseldorf VRS 98, 350) angenommen werden. Da also ein derartiger Vorwurf eines gravierenden, zugleich ein schuldsteigerndes Gesinnungsmerkmal enthaltenden Verkehrsverstoßes bei nur augenblicklicher Unaufmerksamkeit, irriger Fehleinschätzung der Verkehrslage, einem Fehlverhalten aus Bestürzung und Schrecken und ähnlichen, auf menschlichem Versagen beruhenden Umständen nicht erhoben werden kann (vgl. BGH VRS 23, 289; OLG Braunschweig VRS 30, 286), ist ein strenger Maßstab bei der Erforschung der Gründe des Handelns anzulegen (vgl. OLG Köln VRS 38, 288; KG Berlin aaO.).
ee) Bei seiner Bewertung des hier streitgegenständlichen Verkehrsverstoßes des Klägers hatte das Landgericht die zur Verfügung stehenden Fakten zugrunde zu legen. Danach befuhr der Kläger eine breite, gerade verlaufende und übersichtliche innerstädtische Straße, die von ihm benutzte Fahrspur war zum Zeitpunkt der Beschleunigung auf mind. 80 km/h „frei“ und er fuhr nur eine sehr kurze Fahrstrecke (vom Kreuzungsbereich K-Straße bis zur Abzweigung Bahnhof) mit überhöhter Geschwindigkeit. Außerdem erfolgte das Überwechseln der Unfallbeteiligten B. überraschend und kurzfristig.
Daneben haben sich aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte für eigensüchtige Motive des Klägers ergeben, die sich nicht bereits aus dem bloß objektiven Verkehrsgeschehen möglicherweise selbständig erschließen würden.
Wenn das Erstgericht aufgrund dieser Fakten- und Beweislage zu dem Schluss kommt, dass der Beklagten der Nachweis einer vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs seitens des Klägers nicht gelungen sei, so ist das nicht zu beanstanden. Auch der Senat ist der Überzeugung, dass die Beklagte nicht nur den erforderlichen Vorsatz, sondern auch die für eine Strafbarkeit nach § 315 c StGB erforderliche Rücksichtslosigkeit des Klägers nicht nachgewiesen hat. Insbesondere vermag er nicht mit der hierfür erforderlichen Gewissheit festzustellen, dass der Kläger, obgleich er innerstädtisch „viel zu schnell“ gefahren ist, den berechtigten Interessen der übrigen Verkehrsteilnehmer, insbesondere der Unfallbeteiligten B., gleichgültig gegenüberstand oder dass er diese Fremdinteressen einem bloßen Leichtsinn oder einem Eigeninteresse, etwa einem schnelleren Fortkommen oder einem bloßen „Geschwindigkeitsrausch“ unterordnete. Es kann nämlich ebenso wenig ausgeschlossen werden, dass der Kläger lediglich kurzzeitig und um zügig den nächsten Kreuzungsbereich zu erreichen zu schnell fuhr, er dies aber – bei vermeintlich freier Fahrtstrecke – unter Beobachtung und mit der Absicht der Berücksichtigung der anderen Verkehrsteilnehmer tat. Dass dies letztlich misslang, nachdem die Unfallbeteiligte B. seinen Weg gekreuzt hatte, lässt nicht den Schluss auf Rücksichtslosigkeit oder Vorsatz zu. Vielmehr ist es aufgrund des erstinstanzlichen Beweisergebnisses nachvollziehbar, dass der Kläger mit dem Fahrmanöver der Unfallbeteiligten B. lediglich nicht rechnete, die Verkehrslage also bloß irrigerweise falsch beurteilte.
3. Das angefochtene Urteil hält einer berufungsrechtlichen Überprüfung schließlich auch insoweit stand, als das Landgericht eine von der Beklagten behauptete Obliegenheitsverletzung des Klägers nach Eintritt des Versicherungsfalles verneint.
Nach § 10 Abs. 2 AURB 98 ist der Versicherte verpflichtet, die vom Versicherer übersandte Unfallanzeige wahrheitsgemäß auszufüllen und umgehend an den Versicherer zurückzusenden. Das von der Beklagten übersandte Schadensanzeigeformular verlangt vom Versicherten eine ausführliche Schilderung von Unfallhergang und -ursache. Von einem Versicherten kann dies nur so verstanden werden, dass er die geforderte Schilderung aus seiner subjektiven Sicht vorzunehmen hat, zumal ihm objektive Fakten angesichts der geforderten Unverzüglichkeit des Ausfüllens und Rücksendens des Anzeigeformulars in der Regel noch gar nicht vorliegen. Die bloße Abweichung der klägerischen Einschätzung bezüglich der Unfallursache von der erst nach Begutachtung und Beweisaufnahme objektiv festgestellten Unfallursache stellt somit schon grundsätzlich keine Obliegenheitsverletzung dar.
Somit bestand die Verpflichtung des Klägers ausschließlich darin, die ihm bekannten Fakten zum Unfallhergang wahrheitsgemäß anzugeben. Diese Obliegenheit hat er erfüllt, indem er nicht nur „VN war auf Vorfahrtstraße, Unfallgegner nahm VN Vorfahrt. R-Ring (W.)“, sondern auch noch einen Unfallzeugen und die unfallaufnehmende Polizeidienststelle angegeben hat. Nach der gefahrenen Geschwindigkeit wurde der Kläger in dem von der Beklagten übersandten Anzeigeformular nicht gefragt, im Übrigen ist ohnehin nicht nachgewiesen, dass dem Kläger die tatsächliche Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des Ausfüllens des Anzeigeformulars bekannt war. Aus den bereits dargelegten Gründen (s.u. Ziff. 1 c) dieses Beschlusses) ergibt sich zudem, dass der Kläger auch zu der von der Beklagten geforderten Anzeige einer „Wettfahrt“ nicht verpflichtet war.
4. Nach alledem muss es bei der erstinstanzlichen Entscheidung verbleiben, sodass die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben kann und zurückzuweisen sein wird.
II. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO) liegen nicht vor.
Der Senat regt daher an, zur Vermeidung von Kosten die aussichtslose Berufung innerhalb offener Stellungnahmefrist zurückzunehmen und weist in diesem Zusammenhang auf die in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (KV Nr. 1222) hin.