Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Gericht kippt Streitwertfestsetzung bei Auflassungsklage
- Streit um Eigentumswohnung: Restkaufpreis oder Verkehrswert?
- Der Fall vor dem OLG Koblenz: Auflassung trotz Baumängeln
- Beklagter Bauträger in finanziellen Schwierigkeiten und mit Mängeln behaftet
- Versäumnisurteil zur Auflassung durch Landgericht erwirkt
- Streitwert-Streit: Landgericht setzt zu hohen Wert an
- Beschwerde der Klägerin gegen die Streitwertfestsetzung
- Landgericht hält an ursprünglicher Streitwertfestsetzung fest
- OLG Koblenz korrigiert: Fokus auf wirtschaftliches Interesse
- Begründung des OLG: Ausnahmen vom Verkehrswertprinzip
- OLG betont wirtschaftliche Bedeutung des Restkaufpreises im konkreten Fall
- Restkaufpreis als maßgeblicher wirtschaftlicher Wert des Rechtsstreits
- Bedeutung des Urteils für Betroffene: Geringere Kosten, leichterer Zugang zum Recht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: OLG Koblenz
- Datum: 17.02.2025
- Aktenzeichen: 3 W 53/25
- Verfahrensart: Streitwertbeschwerde im erstinstanzlichen Verfahren
- Rechtsbereiche: Immobilienrecht, Vertragsrecht, Grundbuchrecht, Kostenrecht
- Beteiligte Parteien:
- Klägerin: Käuferin, die einen Bauträger-Kaufvertrag über eine Eigentumswohnung nebst Keller und PKW-Stellplatz abgeschlossen hat, den Hauptteil des Kaufpreises von 287.400 Euro entrichtet und auf die Umschreibung des Eigentums im Grundbuch bestanden hat.
- Beklagte: Bauträgerin, welche insolvenzreif ist, sich mit der Beseitigung zahlreicher Baumängel in Verzug befindet und dadurch die Umschreibung des Eigentums verzögert.
- Um was ging es?
- Sachverhalt: Am 27.02.2019 wurde ein notarieller Bauträger-Kaufvertrag abgeschlossen, bei dem die Klägerin bis auf eine Schlussrate von 17.305,10 Euro (3,5 % des Kaufpreises) bezahlt hat. Eine Auflassung wurde erklärt und zugunsten der Klägerin eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen. Trotz Aufforderung an die Beklagte, den notariellen Auftrag zur Umschreibung zu erteilen, blieb der Vorgang aus – wobei die Beklagte zudem in Verzug bei der Mängelbeseitigung ist.
- Kern des Rechtsstreits: Es geht um die Festsetzung des Streitwerts im Rahmen der Streitwertbeschwerde, wobei der offene Restbetrag von 17.305,10 Euro im Mittelpunkt steht und die Frage nach dessen angemessener Berücksichtigung angesichts weiterer vertraglicher Streitpunkte gestellt wird.
- Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren wurde auf 17.305,10 Euro festgesetzt; die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei und außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
- Begründung: Die Festsetzung orientiert sich am noch offenen Restkaufpreis, der als maßgeblicher Wert für die Streitwertbeschwerde im Verfahren herangezogen wurde. Dabei spielten die erklärte Auflassung, die eingetragene Auflassungsvormerkung sowie der Leistungsverzug der Beklagten bei der Beseitigung von Baumängeln eine zentrale Rolle.
- Folgen: Das Urteil bindet den Streitwert auf 17.305,10 Euro fest, was Auswirkungen auf die Berechnung der Gerichtsgebühren hat. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet, sodass der finanzielle Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens klar definiert ist.
Der Fall vor Gericht
Gericht kippt Streitwertfestsetzung bei Auflassungsklage

In einem aktuellen Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz wurde die Streitwertfestsetzung eines Landgerichts in einem Fall um eine sogenannte Auflassungsklage korrigiert. Das Gericht entschied, dass der Streitwert in diesem speziellen Fall nicht am vollen Verkehrswert des Grundstücks, sondern am Wert des noch offenen Restkaufpreises zu bemessen ist. Diese Entscheidung ist insbesondere für Käufer von Immobilien relevant, die sich in ähnlichen Situationen befinden.
Streit um Eigentumswohnung: Restkaufpreis oder Verkehrswert?
Im Kern des Rechtsstreits stand die Frage, wie der Streitwert einer Klage auf Auflassung – also der rechtlichen Übertragung von Eigentum an einer Immobilie – zu bemessen ist. Üblicherweise wird bei solchen Klagen der Verkehrswert des Grundstücks als Grundlage für die Streitwertberechnung herangezogen. Das Landgericht Koblenz hatte dies in erster Instanz auch so gehandhabt und den Streitwert auf bis zu 290.000 Euro festgesetzt, was dem geschätzten Wert der Eigentumswohnung entsprach.
Der Fall vor dem OLG Koblenz: Auflassung trotz Baumängeln
Der konkrete Fall betraf eine Klägerin, die von einem Bauträger eine Eigentumswohnung mit Keller und Stellplatz erworben hatte. Der vereinbarte Kaufpreis betrug 287.400 Euro, von dem die Klägerin bis auf eine Schlussrate von 3,5 Prozent, konkret 17.305,10 Euro, bereits alles bezahlt hatte. Im notariellen Bauträgervertrag war die Auflassung bereits erklärt und eine entsprechende Vormerkung im Grundbuch eingetragen.
Beklagter Bauträger in finanziellen Schwierigkeiten und mit Mängeln behaftet
Die Klägerin forderte den Bauträger vergeblich auf, die Eigentumsumschreibung im Grundbuch zu veranlassen. Der Bauträger befand sich laut Angaben der Klägerin in finanzieller Schieflage und war zudem mit der Beseitigung erheblicher Baumängel in Verzug. Die Kosten für die Mängelbeseitigung überstiegen den noch offenen Restkaufpreis um ein Vielfaches.
Versäumnisurteil zur Auflassung durch Landgericht erwirkt
Vor dem Landgericht Koblenz erwirkte die Klägerin ein Versäumnisurteil, das den Bauträger zur Auflassung des Wohnungseigentums verpflichtete. Ein Versäumnisurteil ergeht, wenn die beklagte Partei nicht fristgerecht auf eine Klage reagiert oder nicht zur mündlichen Verhandlung erscheint. Dieses Urteil war bereits rechtskräftig, was bedeutet, dass es nicht mehr angefochten werden konnte.
Streitwert-Streit: Landgericht setzt zu hohen Wert an
Trotz des rechtskräftigen Urteils entbrannte ein Streit um die Festsetzung des Streitwerts für das Verfahren. Das Landgericht setzte den Streitwert auf bis zu 290.000 Euro fest, basierend auf dem Verkehrswert der Immobilie. Zur Begründung führte das Gericht an, dass bei Auflassungsklagen grundsätzlich der Grundstückswert anzusetzen sei, selbst wenn es nur um einen geringfügigen Gegenanspruch gehe.
Beschwerde der Klägerin gegen die Streitwertfestsetzung
Gegen diese Streitwertfestsetzung legte die Klägerin Beschwerde beim Oberlandesgericht Koblenz ein. Sie argumentierte, dass der wirtschaftliche Wert des Verfahrens deutlich geringer sei als der Verkehrswert der Wohnung und sich auf den Wert des offenen Restkaufpreises von 17.305,10 Euro beschränke. Eine Streitwertfestsetzung basierend auf dem vollen Verkehrswert würde den Zugang zum Gericht unverhältnismäßig erschweren.
Landgericht hält an ursprünglicher Streitwertfestsetzung fest
Das Landgericht wies die Beschwerde der Klägerin zurück und hielt an seiner ursprünglichen Streitwertfestsetzung fest. Es argumentierte, dass § 6 der Zivilprozessordnung (ZPO) die Ansetzung des Grundstückswerts vorsehe, um eine einheitliche und berechenbare Bewertungspraxis zu gewährleisten.
OLG Koblenz korrigiert: Fokus auf wirtschaftliches Interesse
Das Oberlandesgericht Koblenz gab der Beschwerde der Klägerin jedoch Recht und änderte die Streitwertfestsetzung des Landgerichts ab. Das OLG setzte den Streitwert auf den Wert des offenen Restkaufpreises von 17.305,10 Euro fest. Damit folgte das OLG der Argumentation der Klägerin, dass in diesem speziellen Fall das wirtschaftliche Interesse der Klägerin maßgeblich sei und nicht der volle Verkehrswert der Immobilie.
Begründung des OLG: Ausnahmen vom Verkehrswertprinzip
In seiner Begründung räumte das OLG ein, dass es unterschiedliche Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur zur Streitwertbemessung bei Auflassungsklagen gibt. Während eine Ansicht generell den Verkehrswert gemäß § 6 ZPO ansetzt, auch bei geringfügigen Gegenansprüchen, vertritt eine andere Ansicht, dass in Ausnahmefällen der Wert des tatsächlich streitigen Anspruchs maßgeblich sein kann.
OLG betont wirtschaftliche Bedeutung des Restkaufpreises im konkreten Fall
Das OLG Koblenz schloss sich der zweiten Auffassung an und betonte, dass es in derartigen Ausnahmefällen möglich sein müsse, vom Verkehrswertprinzip abzuweichen. Im vorliegenden Fall sei die Auflassung aufgrund des bereits weitgehend bezahlten Kaufpreises und der eingetragenen Auflassungsvormerkung im Grunde unstreitig gewesen. Der eigentliche Streitpunkt und das wirtschaftliche Interesse der Klägerin lagen in der Durchsetzung der Eigentumsübertragung trotz der noch offenen Restzahlung und der bestehenden Baumängel.
Restkaufpreis als maßgeblicher wirtschaftlicher Wert des Rechtsstreits
Das OLG argumentierte, dass der wirtschaftliche Wert des Rechtsstreits für die Klägerin primär in der Erlangung des Eigentums an der Wohnung bei gleichzeitiger Absicherung gegen unberechtigte Zahlungsansprüche des Bauträgers liege. Da der Restkaufpreis den einzigen noch offenen finanziellen Aspekt darstellte und die Mängelbeseitigungskosten diesen Wert überstiegen, sei der Restkaufpreis als maßgeblicher Streitwert anzusehen.
Bedeutung des Urteils für Betroffene: Geringere Kosten, leichterer Zugang zum Recht
Dieses Urteil des OLG Koblenz hat erhebliche Bedeutung für Immobilienerwerber, die sich in ähnlichen Situationen befinden. Es zeigt, dass Gerichte in bestimmten Konstellationen bereit sind, vom starren Prinzip der Streitwertbemessung nach Verkehrswert abzuweichen und stattdessen das tatsächliche wirtschaftliche Interesse der klagenden Partei in den Vordergrund zu stellen. Dies kann zu einer erheblichen Reduzierung der Gerichts- und Anwaltskosten führen, da sich diese am Streitwert orientieren. Im vorliegenden Fall bedeutete dies eine erhebliche Kostenersparnis für die Klägerin und ermöglichte ihr einen leichteren Zugang zum Recht, um ihre berechtigten Ansprüche durchzusetzen. Das Urteil stärkt die Position von Käufern gegenüber Bauträgern, insbesondere in Fällen von Insolvenzrisiko und Baumängeln, und stellt sicher, dass der Rechtsweg auch in solchen Situationen finanziell zugänglich bleibt.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil verdeutlicht, dass der Streitwert bei einer Auflassungsklage nicht zwingend nach dem vollen Grundstückswert bestimmt werden muss, sondern in bestimmten Fällen auf den Wert einer streitigen Restforderung begrenzt werden kann. Entscheidend ist die tatsächliche wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens für die Parteien, da der Zugang zu Gerichten nicht durch unverhältnismäßig hohe Kosten erschwert werden darf. Dies hat besondere Relevanz für Fälle, in denen nur noch ein geringer Restbetrag strittig ist und die klagende Partei bereits durch eine Auflassungsvormerkung gesichert ist.
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Perspektiven für Immobilienkäufer in Streitwertfragen
Wer sich in einer vergleichbaren Situation wiederfindet, in der die Bewertung des tatsächlichen wirtschaftlichen Interesses – statt des reinen Verkehrswertes – im Mittelpunkt steht, trifft oft auf komplexe rechtliche Herausforderungen. Die Frage wie der relevante Wert ermittelt wird, kann maßgeblich den weiteren Verlauf eines Verfahrens und die damit verbundenen Kosten beeinflussen.
Unsere Kanzlei unterstützt Sie bei einer fundierten Analyse Ihrer Situation und vermittelt Ihnen eine klare Orientierung im anspruchsvollen Rechtsumfeld. In einem persönlichen Gespräch erörtern wir, wie sich die einzelnen Aspekte Ihres Falles sachlich bewerten lassen und welche Optionen Ihnen zur Durchsetzung Ihrer Rechte zur Verfügung stehen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Warum ist der Streitwert bei einer Auflassungsklage so wichtig?
Der Streitwert bei einer Auflassungsklage ist von entscheidender Bedeutung, da er direkte und weitreichende finanzielle Auswirkungen auf das gesamte Gerichtsverfahren hat. Er bestimmt maßgeblich die Höhe der Gerichtskosten, Anwaltsgebühren und möglichen Prozesskostenrisiken.
Finanzielle Auswirkungen des Streitwerts
Bei einer Auflassungsklage für eine Immobilie wird der Streitwert grundsätzlich nach dem vollen Verkehrswert des Grundstücks gemäß § 6 ZPO bemessen. Dies kann zu erheblichen Kostenbelastungen führen. Wenn Sie beispielsweise eine Eigentumswohnung mit einem Wert von 300.000 Euro erworben haben und auf Auflassung klagen müssen, wäre der Streitwert in der Regel diese 300.000 Euro – unabhängig davon, wie viel Sie bereits gezahlt haben.
Die finanziellen Konsequenzen sind weitreichend:
- Gerichtskosten steigen proportional zum Streitwert
- Anwaltsgebühren werden nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) berechnet und erhöhen sich mit dem Streitwert
- Prozesskostenrisiko vervielfacht sich, da die unterliegende Partei in der Regel alle Kosten tragen muss
Stellen Sie sich vor, Sie haben bereits 96,5% des Kaufpreises bezahlt, wie im Fall des OLG Celle, und streiten nur noch um die restlichen 3,5%. Bei einem Kaufpreis von 254.200 Euro wären das etwa 8.897 Euro. Würde der Streitwert auf den vollen Verkehrswert festgesetzt, müssten Sie mit Prozesskosten rechnen, die in keinem angemessenen Verhältnis zum tatsächlich streitigen Betrag stehen.
Zugang zum Recht und verfassungsrechtliche Dimension
Der Streitwert hat auch eine verfassungsrechtliche Dimension. Ein unverhältnismäßig hoher Streitwert kann den Zugang zum Recht in unzumutbarer Weise erschweren. Das Bundesverfassungsgericht hat anerkannt, dass der Justizgewährungsanspruch verletzt sein kann, wenn einer Partei Kosten entstehen, die außer Verhältnis zum wirtschaftlichen Wert des Verfahrensgegenstandes stehen.
In der Praxis bedeutet dies: Wenn Sie als Käufer einer Immobilie nur noch einen geringen Restbetrag schulden, aber der Verkäufer die Auflassung verweigert, könnte ein hoher Streitwert Sie davon abhalten, Ihr Recht durchzusetzen – selbst wenn Sie im Recht sind.
Neuere Rechtsprechungsentwicklung
Die neuere Rechtsprechung, wie etwa die Entscheidungen des OLG Celle oder des OLG Koblenz, zeigt eine Tendenz zur wirtschaftlichen Betrachtungsweise. In Fällen, in denen nur noch eine im Verhältnis zum Kaufpreis geringe Restforderung streitig ist und allein das Bestehen oder Nichtbestehen dieser Restforderung über die Erfolgsaussichten der Klage entscheidet, wird der Streitwert zunehmend auf den Wert der streitigen Forderung begrenzt.
Diese Entwicklung ist für Sie als potenzieller Kläger von großer Bedeutung, da sie das finanzielle Risiko einer Auflassungsklage erheblich reduzieren kann.
Praktische Bedeutung für Ihre Prozessstrategie
Die Festsetzung des Streitwerts beeinflusst auch Ihre prozessuale Strategie. Bei einem hohen Streitwert müssen Sie abwägen:
- Ist der Rechtsweg angesichts des finanziellen Risikos überhaupt sinnvoll?
- Lohnt sich eine Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung?
- Welche Argumente können Sie für einen niedrigeren Streitwert anführen?
In einem Bauträgervertrag, bei dem Baumängel vorliegen und Sie einen Teil des Kaufpreises zurückbehalten, kann die Argumentation für einen niedrigeren Streitwert besonders relevant sein. Wenn die Kosten für die Mängelbeseitigung den noch offenen Restkaufpreis übersteigen, wie im Fall des OLG Koblenz, kann dies ein gewichtiges Argument für die Begrenzung des Streitwerts auf die Höhe der streitigen Restforderung sein.
Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung
Die Möglichkeit, gegen die Streitwertfestsetzung Beschwerde einzulegen, ist ein wichtiges Rechtsmittel. Diese Beschwerde müssen Sie innerhalb von sechs Monaten nach Rechtskraft der Entscheidung über die Kosten einreichen. Beachten Sie dabei, dass eine Beschwerde nur zulässig ist, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.
Der Streitwert bei einer Auflassungsklage ist somit nicht nur eine technische Formalität, sondern ein zentraler Faktor, der über die wirtschaftliche Durchführbarkeit Ihres Rechtsstreits entscheiden kann.
Wann kann der Restkaufpreis anstelle des Verkehrswerts als Streitwert bei einer Auflassungsklage angesetzt werden?
Der Restkaufpreis kann anstelle des Verkehrswerts als Streitwert bei einer Auflassungsklage angesetzt werden, wenn nur noch eine im Verhältnis zum Kaufpreis geringe Restforderung streitig ist und allein das Bestehen oder Nichtbestehen dieser Restforderung über die Erfolgsaussichten der Klage entscheidet. Diese Ausnahme vom Grundsatz, dass der volle Verkehrswert maßgeblich ist, wird von mehreren Oberlandesgerichten vertreten.
Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahme
Folgende Bedingungen müssen erfüllt sein, damit der Restkaufpreis als Streitwert angesetzt werden kann:
- Der Großteil des Kaufpreises wurde bereits bezahlt (typischerweise mehr als 90%)
- Es besteht nur noch Streit über eine geringe Restforderung
- Die Entscheidung über den Erfolg der Klage hängt ausschließlich vom Bestehen oder Nichtbestehen dieser Restforderung ab
- Der wirtschaftliche Wert des Verfahrens für den Kläger liegt eindeutig weit unter dem Verkehrswert
Wenn Sie beispielsweise eine Immobilie für 300.000 Euro gekauft haben und bereits 290.000 Euro bezahlt haben, könnte bei einer Auflassungsklage der Streitwert auf die strittigen 10.000 Euro begrenzt werden, sofern nur dieser Betrag noch umstritten ist.
Rechtliche Grundlagen dieser Ausnahme
Die rechtliche Begründung für diese Ausnahme basiert auf mehreren Überlegungen:
- § 3 ZPO: Der Streitwert soll das wirtschaftliche Interesse des Klägers widerspiegeln
- Verfassungsrechtliche Erwägungen: Der Zugang zum Recht darf nicht durch unangemessen hohe Prozesskosten erschwert werden
- Verhältnismäßigkeit: Die Prozesskosten sollten in einem angemessenen Verhältnis zum tatsächlichen wirtschaftlichen Streitwert stehen
Obwohl grundsätzlich § 6 ZPO auch für die Festsetzung des Gebührenstreitwerts gilt, muss in bestimmten Fällen von diesem Grundsatz abgewichen werden, wenn der wirtschaftliche Wert des Verfahrens für den Kläger deutlich niedriger liegt.
Bedeutung der Auflassungsvormerkung
Eine bereits eingetragene Auflassungsvormerkung zugunsten des Käufers kann ein wichtiges Argument für die Anwendung der Ausnahme sein. Wenn zu Ihren Gunsten bereits eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen ist, ist Ihr Anspruch auf Eigentumsübertragung bereits weitgehend gesichert, was das wirtschaftliche Risiko erheblich reduziert.
Praktische Beispiele aus der Rechtsprechung
Mehrere Oberlandesgerichte haben diese Ausnahme in ihren Entscheidungen angewandt:
- OLG Celle (5 W 15/23): Bei einem Bauträgervertrag über 254.200 Euro, von dem bereits 96,5% (245.303 Euro) gezahlt waren, wurde der Streitwert auf die offene Restforderung von 8.897 Euro begrenzt
- OLG Koblenz (3 W 53/25): Bei einem Kaufpreis von 287.400 Euro wurde der Streitwert auf die Schlussrate von 17.305,10 Euro (6,02% des Kaufpreises) festgesetzt
- Weitere Entscheidungen: OLG Karlsruhe, OLG Stuttgart, OLG Düsseldorf und OLG Hamm haben ähnliche Entscheidungen getroffen
Wenn Sie sich in einer vergleichbaren Situation befinden, können Sie sich auf diese Rechtsprechung berufen, um eine Reduzierung des Streitwerts zu erreichen.
Einfluss von Baumängeln auf den Streitwert
Bei Vorliegen von Baumängeln kann ein berechtigtes Zurückbehaltungsrecht des Käufers ebenfalls dazu führen, dass der Streitwert auf den strittigen Restbetrag reduziert wird. Wenn Sie als Käufer wegen Baumängeln einen Teil des Kaufpreises zurückbehalten und der Verkäufer deshalb die Auflassung verweigert, kann der Streitwert auf diesen zurückbehaltenen Betrag begrenzt werden.
Was kann ich tun, wenn ich der Meinung bin, dass der Streitwert bei meiner Auflassungsklage zu hoch angesetzt wurde?
Wenn Sie der Meinung sind, dass der Streitwert bei Ihrer Auflassungsklage zu hoch angesetzt wurde, können Sie eine Streitwertbeschwerde einlegen. Diese Beschwerde ist ein wirksames Rechtsmittel, um eine Überprüfung und gegebenenfalls Korrektur des festgesetzten Streitwerts zu erreichen.
Voraussetzungen für eine Streitwertbeschwerde
Eine Streitwertbeschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Dies bedeutet, dass die Differenz zwischen dem festgesetzten Streitwert und dem von Ihnen als angemessen erachteten Streitwert mehr als 200 Euro betragen muss. Bei Auflassungsklagen ist diese Voraussetzung aufgrund der typischerweise hohen Streitwerte meist erfüllt.
Stellen Sie sich vor, das Gericht hat einen Streitwert von 250.000 Euro festgesetzt, Sie halten aber 200.000 Euro für angemessen. In diesem Fall wäre eine Beschwerde zulässig, da die Differenz von 50.000 Euro den Schwellenwert deutlich überschreitet.
Frist und Form der Beschwerde
Die Beschwerde müssen Sie innerhalb von sechs Monaten einlegen, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache rechtskräftig geworden ist oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat. Wurde der Streitwert erst später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt, haben Sie noch einen Monat Zeit nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses.
Die Beschwerde muss schriftlich beim Gericht eingereicht werden, das den angefochtenen Beschluss erlassen hat (Ausgangsgericht). In Ihrer Beschwerde sollten Sie:
- Klar begründen, warum Sie den festgesetzten Streitwert für unangemessen halten
- Darlegen, welchen Streitwert Sie für angemessen halten
- Auf relevante Rechtsprechung verweisen, die Ihre Position stützt
Argumentationslinien für eine niedrigere Streitwertfestsetzung
Bei Auflassungsklagen gibt es zwei grundsätzliche Auffassungen zur Streitwertbemessung:
- Traditionelle Auffassung: Der Streitwert bemisst sich nach dem vollen Verkehrswert des Grundstücks gemäß § 6 ZPO.
- Wirtschaftliche Betrachtungsweise: In Fällen, in denen nur noch eine im Verhältnis zum Kaufpreis geringe Restforderung streitig ist und allein das Bestehen oder Nichtbestehen dieser Restforderung über die Erfolgsaussichten der Klage entscheidet, kann der Streitwert auf den Wert der streitigen Forderung begrenzt werden.
Die neuere Rechtsprechung tendiert zur zweiten Auffassung. Mehrere Oberlandesgerichte, darunter das OLG Karlsruhe, OLG Stuttgart, OLG Düsseldorf und OLG Hamm, haben entschieden, dass in solchen Fällen eine Begrenzung des Streitwerts auf die strittige Restforderung angemessen ist.
Praktisches Beispiel
In einem vom OLG Celle entschiedenen Fall wurde der Streitwert einer Auflassungsklage von ursprünglich 259.000 Euro (Verkehrswert) auf 8.897 Euro (Wert der strittigen Restforderung) herabgesetzt. Der Kläger hatte bereits 96,5% des Kaufpreises bezahlt, und es war nur noch die Restforderung streitig.
In einem ähnlichen Fall hat das OLG Koblenz am 17. Februar 2025 entschieden, dass der Streitwert nicht zwingend nach dem vollen Verkehrswert der Immobilie zu bemessen ist, sondern unter Umständen auch auf den Wert der tatsächlich noch streitigen Forderung begrenzt werden kann.
Auswirkungen einer erfolgreichen Beschwerde
Eine erfolgreiche Streitwertbeschwerde kann erhebliche finanzielle Auswirkungen haben. Bei dem vom OLG Dresden entschiedenen Fall führte die Herabsetzung des Streitwerts von 10.000 Euro auf 8.000 Euro zu einer Reduzierung der Anwaltskosten von 1.850,45 Euro auf 1.512,25 Euro – eine Ersparnis von mehr als 300 Euro.
Bei Immobiliengeschäften mit deutlich höheren Streitwerten können die Einsparungen entsprechend größer ausfallen. Eine Reduzierung des Streitwerts wirkt sich direkt auf die Höhe der Gerichts- und Anwaltskosten aus und kann Ihre finanzielle Belastung durch den Rechtsstreit erheblich verringern.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Auflassungsklage
Eine Auflassungsklage ist ein rechtliches Instrument, mit dem ein Käufer die Eigentumsübertragung an einem Grundstück gerichtlich durchsetzen kann, wenn der Verkäufer die Auflassung (Eigentumsübertragungserklärung) verweigert. Sie basiert auf § 433 BGB (Pflichten des Verkäufers) in Verbindung mit §§ 873, 925 BGB (Eigentumsübertragung bei Grundstücken). Die Klage zielt darauf ab, den Verkäufer zur Mitwirkung bei der Eigentumsumschreibung im Grundbuch zu zwingen.
Beispiel: Ein Käufer hat den Kaufpreis für ein Grundstück vollständig bezahlt, aber der Verkäufer weigert sich, die notwendige Auflassungserklärung abzugeben oder dem Grundbuchamt die Eigentumsumschreibung zu gestatten.
Streitwertfestsetzung
Die Streitwertfestsetzung ist die gerichtliche Bestimmung des wirtschaftlichen Wertes eines Rechtsstreits. Sie erfolgt nach §§ 39 ff. GKG (Gerichtskostengesetz) und bestimmt die Höhe der Gerichtskosten sowie der Anwaltsgebühren. Der Streitwert richtet sich grundsätzlich nach dem wirtschaftlichen Interesse des Klägers am Ausgang des Verfahrens, nicht notwendigerweise nach dem gesamten Verkehrs- oder Vertragswert.
Beispiel: Bei einer Immobilie im Wert von 300.000 Euro, bei der nur noch eine Schlussrate von 15.000 Euro strittig ist, kann der Streitwert unter Umständen auf diese 15.000 Euro festgesetzt werden, wenn nur dieser Betrag tatsächlich im Streit steht.
Streitwertbeschwerde
Die Streitwertbeschwerde ist ein Rechtsmittel gegen die gerichtliche Festsetzung des Streitwerts. Sie ist in § 68 GKG geregelt und ermöglicht es einer Partei, die Überprüfung und gegebenenfalls Korrektur eines festgesetzten Streitwerts zu beantragen, wenn sie diesen für unangemessen hält. Die Beschwerde muss binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung eingelegt werden.
Beispiel: Eine Partei erhält einen Gerichtskostenbescheid basierend auf einem Streitwert von 300.000 Euro, hält aber nur 17.305,10 Euro für angemessen, da nur dieser Betrag tatsächlich strittig ist.
Bauträger-Kaufvertrag
Ein Bauträger-Kaufvertrag ist ein Vertrag, bei dem der Verkäufer (Bauträger) sich verpflichtet, ein Grundstück zu übereignen und darauf ein Gebäude zu errichten oder zu modernisieren. Er unterliegt besonderen Regelungen, insbesondere der Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV) sowie §§ 632a, 650u ff. BGB. Kennzeichnend ist die ratenweise Kaufpreiszahlung nach Baufortschritt.
Beispiel: Eine Käuferin schließt mit einem Bauträger einen Vertrag über eine noch zu errichtende Eigentumswohnung ab, wobei die Zahlung in mehreren Raten erfolgt und die letzte Rate erst nach vollständiger Fertigstellung und Beseitigung aller Mängel fällig wird.
Auflassungsvormerkung
Die Auflassungsvormerkung ist eine Eintragung im Grundbuch, die den Anspruch eines Käufers auf Eigentumsübertragung sichert. Sie ist in § 883 BGB geregelt und schützt den Käufer vor späteren Verfügungen des Verkäufers über das Grundstück (z.B. Doppelverkauf oder Belastung). Die Vormerkung gewährleistet, dass der Käufer später tatsächlich als Eigentümer eingetragen werden kann.
Beispiel: Nach Abschluss eines Kaufvertrags wird auf Antrag eine Auflassungsvormerkung eingetragen, die verhindert, dass der Verkäufer das Grundstück nochmals verkauft oder mit einer Hypothek belastet.
Auflassung
Die Auflassung ist die notariell beurkundete Einigung zwischen Verkäufer und Käufer über den Eigentumsübergang eines Grundstücks. Sie ist in § 925 BGB gesetzlich verankert und stellt neben der Eintragung im Grundbuch eine der beiden zwingenden Voraussetzungen für die Eigentumsübertragung an Grundstücken dar. Die Auflassung muss vor einem Notar erklärt werden und kann nicht unter Bedingungen oder Zeitbestimmungen erfolgen.
Beispiel: Verkäufer und Käufer erklären vor dem Notar, dass sie sich über den Eigentumsübergang des Grundstücks einig sind. Diese Erklärung bildet die Grundlage für die spätere Eintragung des Käufers als Eigentümer im Grundbuch.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- §§ 3, 6 Zivilprozessordnung (ZPO): Diese Paragraphen regeln die Streitwertfestsetzung im Zivilprozess. § 3 ZPO bestimmt den Wert nach freiem Ermessen des Gerichts, während § 6 ZPO für Klagen, die ein Grundstück betreffen, grundsätzlich den Grundstückswert als maßgeblich festlegt. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht musste entscheiden, ob für die Streitwertfestsetzung der Wert der Eigentumswohnung (Grundstückswert) oder der geringere Wert der ausstehenden Kaufpreisrate maßgeblich ist, da es um die Auflassung des Grundstücks ging.
- § 873 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (dingliche Einigung, Eintragung): Dieser Paragraph regelt, dass für die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück die Einigung des Veräußerers und des Erwerbers (Auflassung) und die Eintragung im Grundbuch notwendig sind. Erst mit der Eintragung geht das Eigentum rechtlich auf den Käufer über. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Klägerin klagte auf Auflassung, also auf die Erklärung der zur Eigentumsübertragung notwendigen Willenserklärung durch die Beklagte, um die Eigentumsübertragung im Grundbuch zu erreichen.
- § 883 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (Auflassungsvormerkung): Die Auflassungsvormerkung ist ein Sicherungsrecht im Grundbuch, das den Anspruch des Käufers auf Eigentumsübertragung sichert. Sie verhindert, dass der Verkäufer das Grundstück an Dritte verkauft oder es mit weiteren Rechten belastet, die den Anspruch des Käufers beeinträchtigen könnten. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die bereits eingetragene Auflassungsvormerkung der Klägerin sicherte ihren Anspruch auf Eigentumsübertragung, was ihren Rechtsstreit gegen die Beklagte zusätzlich untermauert.
- § 68 Gerichtskostengesetz (GKG) (Streitwertbeschwerde): Dieser Paragraph regelt die Streitwertbeschwerde, ein Rechtsmittel gegen die Festsetzung des Streitwerts durch das Gericht. Sie ermöglicht es einer Partei, die Höhe des festgesetzten Streitwerts und damit die Berechnungsgrundlage für Gerichts- und Anwaltskosten überprüfen zu lassen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Klägerin legte Streitwertbeschwerde ein, weil sie die Festsetzung des Streitwerts auf den vollen Grundstückswert für unangemessen hoch hielt und eine Reduzierung auf den Wert der ausstehenden Kaufpreisrate erreichen wollte, um die Gerichtskosten zu senken.
- Bauträger-Kaufvertrag: Hierbei handelt es sich um einen speziellen Vertragstyp, bei dem ein Bauträger ein Grundstück kauft und darauf ein Gebäude errichtet oder errichten lässt, um es dann an den Käufer zu veräußern. Solche Verträge sind oft komplex und beinhalten Regelungen zu Baupflichten, Zahlungsplänen und Gewährleistung. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Bauträger-Kaufvertrag bildet die Grundlage des Streits. Die Auseinandersetzung entstand im Rahmen dieses Vertrages, da es um die Eigentumsübertragung und gleichzeitig um Baumängel ging, die typische Streitpunkte bei solchen Verträgen darstellen.
Das vorliegende Urteil
OLG Koblenz – Az.: 3 W 53/25 – Beschluss vom 17.02.2025
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