Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Verantwortung im Straßenverkehr: Sorgfaltspflichten von Einsatzfahrzeugen im Fokus
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Welche besonderen Pflichten haben Autofahrer beim Erkennen von Blaulicht und Martinshorn?
- Ab welcher Entfernung müssen Warnsignale von Einsatzfahrzeugen wahrgenommen werden?
- Wie wirkt sich ein Unfall mit einem Einsatzfahrzeug auf den Versicherungsschutz aus?
- Welche Sorgfaltspflichten gelten beim Linksabbiegen im Straßenverkehr?
- Wann tritt die Betriebsgefahr eines Einsatzfahrzeugs hinter das Verschulden des Unfallgegners zurück?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landgericht Detmold
- Datum: 27.01.2020
- Aktenzeichen: 02 O 142/19
- Verfahrensart: Zivilprozess
- Rechtsbereiche: Verkehrsrecht, Amtshaftungsrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Der Fahrer eines privaten Fahrzeugs (Mercedes Benz), der Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend macht. Er argumentiert, dass die Polizei unrechtmäßig gehandelt und die Unfallsituation falsch eingeschätzt habe.
- Beklagte: Das Land Nordrhein-Westfalen als Halter des Polizeifahrzeugs und der Fahrer des Polizeifahrzeugs, der den Unfall in Ausübung seines öffentlichen Amtes verursachte. Sie bestreiten den Anspruch des Klägers und argumentieren, dass die Einsatzfahrt rechtmäßig war und das Blaulicht sowie das Martinshorn eingeschaltet gewesen seien.
Um was ging es?
- Sachverhalt: Am 08.12.2018 kollidierte der Kläger während eines Linksabbiegens in Detmold mit einem Polizeifahrzeug, das auf einer Einsatzfahrt war. Der Kläger machte verschiedene Schadensersatzposten geltend, darunter Selbstbeteiligung und Rückstufungsschäden seiner Versicherung. Der Kläger behauptete, die Polizei habe die Unfallskizze zu seinen Ungunsten angefertigt und er habe keine Sondersignalwahrnehmung gehabt.
- Kern des Rechtsstreits: Es geht um die Frage, ob das Land NRW für den Unfall haftet, insbesondere aufgrund der Anwendung von Verkehrs- und Sonderrechten durch das Polizeifahrzeug, und ob der Kläger ein Mitverschulden trägt.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Klage wurde abgewiesen. Das Gericht entschied, dass der Kläger allein für die Unfallfolgen haftet.
- Begründung: Das Gericht befand, dass der Kläger die Unfallverursachung maßgeblich durch seine unzureichende Beobachtungspflichten und das Nichtwahrnehmen von Sondersignalen verursacht habe. Zudem sei keine schuldhafte Verletzung der Verkehrssorgfalt durch den Beklagten gegeben, da dieser ordnungsgemäß unter Einsatz von Blaulicht und Martinshorn fuhr.
- Folgen: Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreites und erhält keinen Schadensersatz. Das Urteil unterstreicht die hohe Sorgfaltspflicht gegenüber Einsatzfahrzeugen auf Einsatzfahrten für andere Verkehrsteilnehmer.
Verantwortung im Straßenverkehr: Sorgfaltspflichten von Einsatzfahrzeugen im Fokus
Im Straßenverkehr tragen die Fahrer von Einsatzfahrzeugen mit Blaulicht und Martinshorn eine besondere Verantwortung. Ihre Sorgfaltspflichten sind nicht nur durch gesetzliche Vorschriften geregelt, sondern spielen auch eine entscheidende Rolle für die Verkehrssicherheit. Vor allem während Einsatzfahrten haben diese Fahrzeuge Vorrang, wozu die Verkehrsteilnehmer entsprechend reagieren müssen. Das richtige Verhalten im Umgang mit Einsatzfahrzeugen ist daher unerlässlich, um leichten Verletzungen und gefährlichen Situationen vorzubeugen.
Die Straßenverkehrsordnung definiert klare Regeln für den Umgang mit Notfallfahrzeugen, die auch die Sicherheitsvorkehrungen und Fahrerpflichten umfassen. In diesem Kontext ist es wichtig zu verstehen, wie sich das Verantwortungsbewusstsein der Fahrer auf das allgemeine Verkehrsgeschehen auswirkt. Eine tiefere Analyse eines konkreten Falles zeigt, wie diese Sorgfaltspflichten im Alltag umgesetzt werden müssen.
Der Fall vor Gericht
Missachtete Rückschaupflicht führt zu alleiniger Haftung bei Kollision mit Polizeieinsatzfahrzeug
Bei einem Verkehrsunfall zwischen einem Linksabbieger und einem Polizeieinsatzfahrzeug in Detmold hat das Landgericht die alleinige Haftung dem abbiegenden Fahrzeugführer zugesprochen. Der Fahrer eines Mercedes E-Klasse kollidierte beim Linksabbiegen in die M-Straße mit einem Polizeifahrzeug, das sich mit Blaulicht und Martinshorn auf einer Einsatzfahrt befand.
Schwerwiegende Verstöße des Linksabbiegers
Das Gericht stellte mehrere gravierende Verkehrsverstöße des Mercedes-Fahrers fest. Er hatte vor dem Abbiegevorgang lediglich in die Innen- und Außenspiegel geschaut, aber keine vollständige Rückschau durch das Seitenfenster durchgeführt. Nach § 9 Abs. 1 S. 4 StVO ist der Linksabbieger jedoch zu einer doppelten Rückschaupflicht verpflichtet – sowohl vor dem Einordnen als auch nochmals vor dem Abbiegen. Diese zweite Rückschau darf nur dann entfallen, wenn eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs technisch unmöglich ist.
Missachtung der Sondersignale
Ein weiterer schwerwiegender Verstoß lag in der Missachtung der Sondersignale des Polizeifahrzeugs. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Blaulicht und Martinshorn rechtzeitig eingeschaltet waren. Das Martinshorn wurde etwa 260 Meter vor der Unfallstelle aktiviert, was den Verkehrsteilnehmern ausreichend Zeit zur Reaktion bot. Nach § 38 Abs. 1 S. 2 StVO bestand die Pflicht, dem Einsatzfahrzeug freie Bahn zu verschaffen.
Kein Verschulden der Polizei
Das Polizeifahrzeug befand sich auf einer dringlichen Einsatzfahrt zu tumultartigen Streitigkeiten mit einer bereits verletzten Person. Der Beamte fuhr mit etwa 70 km/h an der Fahrzeugkolonne vorbei. Das Gericht sah darin keinen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot des § 35 Abs. 8 StVO. Der Polizeibeamte musste nicht mit einem plötzlichen Abbiegevorgang rechnen, zumal der Mercedes-Fahrer nach Überzeugung des Gerichts keinen Blinker gesetzt hatte.
Rechtliche Folgen
Das Landgericht wies die Klage des Mercedes-Fahrers vollständig ab. Seine Forderungen nach Erstattung der Selbstbeteiligung in Höhe von 300 Euro, restlicher Abschleppkosten von 134,57 Euro sowie der Kostenpauschale von 20 Euro wurden zurückgewiesen. Auch der Antrag auf Feststellung der Einstandspflicht für den Rückstufungsschaden bei der Versicherung blieb erfolglos. Die Betriebsgefahr des Polizeifahrzeugs trat aufgrund des schuldhaften Verhaltens des Klägers vollständig zurück.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil stellt klar, dass Autofahrer beim Linksabbiegen einer doppelten Rückschaupflicht unterliegen und nicht nur die Spiegel, sondern auch durch direkten Blick aus dem Seitenfenster den toten Winkel überprüfen müssen. Zudem müssen Verkehrsteilnehmer bei Einsatzfahrzeugen mit Blaulicht und Martinshorn besonders aufmerksam sein und freie Bahn schaffen – selbst wenn sie das Fahrzeug zunächst nicht wahrgenommen haben, hätten sie es bei gehöriger Aufmerksamkeit wahrnehmen müssen. Die Betriebsgefahr eines Einsatzfahrzeugs tritt dabei vollständig zurück, wenn der andere Verkehrsteilnehmer seine Sorgfaltspflichten verletzt.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie einen Unfall mit einem Einsatzfahrzeug haben, müssen Sie damit rechnen, dass Sie alle Kosten selbst tragen müssen – von der Selbstbeteiligung über Abschleppkosten bis hin zu Versicherungsrückstufungen. Die Gerichte erwarten von Ihnen beim Linksabbiegen höchste Sorgfalt: Ein Blick in die Spiegel reicht nicht aus, Sie müssen sich auch durch direkten Blick aus dem Fenster absichern. Besonders wichtig ist zudem, dass Sie bei Martinshorn und Blaulicht sofort reagieren und dem Einsatzfahrzeug freie Bahn verschaffen – auch wenn Sie es erst spät bemerken, wird von Ihnen erwartet, dass Sie aufmerksam genug sind, um die Signale rechtzeitig wahrzunehmen.
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche besonderen Pflichten haben Autofahrer beim Erkennen von Blaulicht und Martinshorn?
Beim Erkennen von Blaulicht und Martinshorn müssen Sie als Autofahrer sofort freie Bahn schaffen. Diese Pflicht ergibt sich aus § 38 Absatz 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO).
Grundlegende Verhaltensregeln
Nach dem B-G-A-Reaktionsmodell sollten Sie wie folgt handeln:
- Blinker setzen
- Geschwindigkeit reduzieren
- Anhalten und Platz machen
Besondere Situationen
An roten Ampeln dürfen Sie im Notfall vorsichtig über die Haltelinie fahren, um einem Einsatzfahrzeug Platz zu machen. Dies ist durch den „rechtfertigenden Notstand“ gedeckt, sofern Sie dabei niemanden gefährden.
Rechtliche Konsequenzen bei Missachtung
Bei Nichtbeachtung dieser Pflichten drohen erhebliche Strafen:
- Grundverstoß: 240 Euro, 1 Punkt und 1 Monat Fahrverbot
- Mit Gefährdung: 280 Euro, 1 Punkt und 1 Monat Fahrverbot
- Mit Sachbeschädigung: 320 Euro, 1 Punkt und 1 Monat Fahrverbot
Unterscheidung der Signale
Wichtig: Nur wenn Blaulicht und Martinshorn gemeinsam eingeschaltet sind, besteht die Pflicht zur sofortigen Freimachung der Bahn. Bei alleinigem Blaulicht ohne Martinshorn dient dies lediglich als Warnsignal, und Sie müssen nicht zwingend sofort Platz machen.
Ab welcher Entfernung müssen Warnsignale von Einsatzfahrzeugen wahrgenommen werden?
Die Straßenverkehrsordnung legt keine spezifische Mindestentfernung für die Wahrnehmung von Warnsignalen fest. Stattdessen gilt der Grundsatz der gehörigen Aufmerksamkeit, nach dem Sie die Signale wahrnehmen müssen, sobald diese bei normaler Aufmerksamkeit erkennbar sind.
Akustische Wahrnehmung
Das Martinshorn eines Einsatzfahrzeugs ist bei normalen Witterungsbedingungen in der Regel bis zu 90 Meter weit zu hören. Diese Entfernung kann jedoch durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden:
- Geschlossene Fahrzeugfenster
- Laute Musik im Fahrzeug
- Umgebungsgeräusche
- Witterungsverhältnisse
- Bebauung der Umgebung
Optische Wahrnehmung
Das blaue Blinklicht ist bei Tageslicht etwa 150 Meter weit sichtbar. Bei Dunkelheit erhöht sich die Sichtbarkeit deutlich. Die tatsächliche Erkennbarkeit hängt jedoch von mehreren Faktoren ab:
- Sichtverhältnisse
- Straßenführung
- Bebauung
- Position des Einsatzfahrzeugs
Rechtliche Bewertung
Bei einem Unfall prüfen Gerichte die konkrete Verkehrssituation, um zu beurteilen, ob die Warnsignale rechtzeitig wahrnehmbar waren. Der Fahrer des Einsatzfahrzeugs muss dabei nachweisen, dass:
- beide Warnsignale (Blaulicht und Martinshorn) gleichzeitig eingeschaltet waren
- die Signale für andere Verkehrsteilnehmer rechtzeitig wahrnehmbar waren
- ausreichend Zeit für eine unfallvermeidende Reaktion bestand
Wenn Sie ein Einsatzfahrzeug bemerken, müssen Sie unverzüglich reagieren und freie Bahn schaffen. Schalten Sie vorsorglich Ihre Musikanlage leiser und achten Sie verstärkt auf Warnsignale, besonders an Kreuzungen und in unübersichtlichen Verkehrssituationen.
Wie wirkt sich ein Unfall mit einem Einsatzfahrzeug auf den Versicherungsschutz aus?
Bei einem Unfall mit einem Einsatzfahrzeug kommt es für die Versicherungsfolgen auf die Schuldfrage an. Wenn das Einsatzfahrzeug den Unfall verursacht hat, müssen Sie keine negativen Auswirkungen auf Ihren Versicherungsschutz befürchten.
Rückstufung der Schadenfreiheitsklasse
Wenn Sie als Unfallverursacher festgestellt werden, erfolgt eine Rückstufung in der Schadenfreiheitsklasse. Diese Rückstufung tritt erst zum nächsten Versicherungsjahr in Kraft. Bei geteilter Schuld richtet sich die Rückstufung nach dem festgestellten Verschuldensanteil.
Besonderheiten bei Einsatzfahrzeugen
Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht und Martinshorn genießen zwar Sonderrechte, jedoch müssen deren Fahrer eine besondere Sorgfaltspflicht beachten. Wenn das Einsatzfahrzeug diese Sorgfaltspflicht verletzt hat, haftet die Kommune beziehungsweise deren Versicherung für den entstandenen Schaden.
Schadenregulierung
Nach § 82 VVG sind Sie verpflichtet, den Schaden nach Möglichkeit zu begrenzen. Die dabei entstehenden Kosten übernimmt nach § 83 VVG Ihre Versicherung. Um eine Rückstufung zu vermeiden, können Sie einen Schadenrückkauf in Erwägung ziehen. Hierfür haben Sie in der Regel sechs Monate Zeit.
Haftungsverteilung
Bei Unfällen mit Einsatzfahrzeugen wird die Haftung oft geteilt. Wenn beide Parteien Mitschuld tragen, kann das Gericht eine hälftige Haftungsquote festlegen. In diesem Fall wirkt sich der Unfall nur anteilig auf Ihren Versicherungsschutz aus.
Welche Sorgfaltspflichten gelten beim Linksabbiegen im Straßenverkehr?
Nach § 9 Abs. 1 StVO müssen Sie beim Linksabbiegen eine zweifache Rückschaupflicht beachten: Einmal vor dem Einordnen und nochmals unmittelbar vor dem Abbiegevorgang.
Ankündigung und Einordnung
Sie müssen Ihre Abbiegeabsicht rechtzeitig und deutlich durch Setzen des Blinkers ankündigen. Ordnen Sie sich dabei bis zur Fahrbahnmitte ein, bei Einbahnstraßen möglichst weit links.
Beachtung des Verkehrs
Bei der Durchführung des Abbiegevorgangs müssen Sie:
- Den entgegenkommenden Verkehr durchfahren lassen
- Schienenfahrzeuge, Fahrräder und Fußgänger besonders beachten
- Entgegenkommende Rechtsabbieger passieren lassen
Besondere Verkehrssituationen
Wenn zwei Fahrzeuge einander entgegenkommen und beide links abbiegen wollen, müssen sie voreinander abbiegen. Eine Ausnahme besteht nur, wenn die Verkehrslage oder die Gestaltung der Kreuzung es anders erfordern.
Bei Einsatzfahrzeugen mit Blaulicht und Martinshorn müssen Sie sofort freie Bahn schaffen. Dies gilt auch während eines bereits begonnenen Abbiegevorgangs.
Die Missachtung der Sorgfaltspflichten beim Linksabbiegen gilt als besonders schwerwiegender Verkehrsverstoß und kann bei einem Unfall zu einer weitreichenden Haftung führen. Ein Verstoß wird mit Bußgeldern von bis zu 85 Euro und möglicherweise auch mit Punkten im Fahreignungsregister geahndet.
Wann tritt die Betriebsgefahr eines Einsatzfahrzeugs hinter das Verschulden des Unfallgegners zurück?
Die Betriebsgefahr eines Einsatzfahrzeugs tritt vollständig zurück, wenn der Unfallgegner sich grob verkehrswidrig verhält und dadurch den Unfall maßgeblich verursacht. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Unfallgegner trotz eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn nicht die erforderliche Sorgfalt walten lässt.
Voraussetzungen für das Zurücktreten
Ein vollständiges Zurücktreten der Betriebsgefahr erfordert, dass das Verschulden des Unfallgegners massiv überwiegt. Dies kann vorliegen bei:
- Missachtung eindeutiger Vorfahrtsregeln
- Überhöhter Geschwindigkeit unter schlechten Sichtverhältnissen
- Nichtbeachtung von Warn- und Notsignalen des Einsatzfahrzeugs
Besonderheiten bei Einsatzfahrten
Bei Einsatzfahrten mit Sonderrechten nach § 35 StVO wird die Betriebsgefahr des Einsatzfahrzeugs anders bewertet. Die Sonderrechte entbinden den Fahrer des Einsatzfahrzeugs jedoch nicht von seiner grundsätzlichen Sorgfaltspflicht. Auch bei Einsatzfahrten muss die öffentliche Sicherheit berücksichtigt werden.
Abwägung der Haftungsanteile
Die Gerichte bewerten bei der Haftungsverteilung das Verhältnis zwischen Betriebsgefahr und Verschulden. Dabei werden berücksichtigt:
- Die konkrete Verkehrssituation
- Die Erkennbarkeit des Einsatzfahrzeugs
- Das Verhalten beider Unfallbeteiligter
- Die Schwere der Verkehrsverstöße
Die Betriebsgefahr des Einsatzfahrzeugs kann auch teilweise zurücktreten, was zu einer entsprechenden Quotelung der Haftung führt.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Doppelte Rückschaupflicht
Die doppelte Rückschaupflicht ist eine gesetzliche Verpflichtung für Linksabbieger im Straßenverkehr. Nach § 9 Abs. 1 S. 4 StVO muss der Fahrer zweimal nach hinten schauen: Einmal vor dem Einordnen und nochmals unmittelbar vor dem Abbiegen. Dabei reicht ein Blick in die Spiegel nicht aus – es muss auch ein direkter Blick über die Schulter durch das Seitenfenster erfolgen. Nur wenn eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs technisch unmöglich ist, darf die zweite Rückschau entfallen. Ein typisches Beispiel wäre ein LKW-Fahrer, der an einer Ampel als Erster steht und niemand hinter ihm sein kann.
Betriebsgefahr
Die Betriebsgefahr beschreibt das allgemeine Risiko, das vom Betrieb eines Kraftfahrzeugs ausgeht, auch wenn kein Verschulden vorliegt. Sie ist in § 7 StVG geregelt und besteht allein durch die Teilnahme am Straßenverkehr. Bei einem Unfall wird die Betriebsgefahr beider Fahrzeuge gegeneinander abgewogen. Liegt jedoch ein schweres Verschulden eines Beteiligten vor, kann die Betriebsgefahr des anderen Fahrzeugs vollständig zurücktreten. Dies geschah im vorliegenden Fall beim Polizeifahrzeug aufgrund des gravierenden Fehlverhaltens des Mercedes-Fahrers.
Rückstufungsschaden
Der Rückstufungsschaden entsteht, wenn nach einem selbstverschuldeten Unfall die Kfz-Versicherung den Schadenfreiheitsrabatt herabstuft. Dadurch erhöht sich der Versicherungsbeitrag in den Folgejahren. Diese Mehrkosten kann der Geschädigte bei einem unverschuldeten Unfall vom Unfallverursacher als Schadensersatz verlangen. Im vorliegenden Fall musste der Mercedes-Fahrer diese Kosten selbst tragen, da er den Unfall verschuldet hatte. Die Rückstufung kann je nach vorheriger Schadenfreiheitsklasse erhebliche finanzielle Auswirkungen haben.
Sondersignale
Sondersignale sind Blaulicht und Martinshorn, die Einsatzfahrzeuge nach § 38 StVO zur Warnung anderer Verkehrsteilnehmer einsetzen dürfen. Bei eingeschalteten Sondersignalen haben diese Fahrzeuge Vorrang und alle anderen Verkehrsteilnehmer müssen „freie Bahn schaffen“. Das bedeutet, sie müssen notfalls anhalten und zur Seite fahren. Die Missachtung von Sondersignalen stellt einen schweren Verkehrsverstoß dar. Sondersignale dürfen nur von berechtigten Fahrzeugen (wie Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst) und nur bei dringlichen Einsätzen verwendet werden.
Rücksichtnahmegebot
Das Rücksichtnahmegebot ist ein fundamentaler Grundsatz der StVO (§ 1 Abs. 1). Es verpflichtet alle Verkehrsteilnehmer, sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder behindert wird. Für Einsatzfahrzeuge gilt nach § 35 Abs. 8 StVO ein besonderes Rücksichtnahmegebot: Trotz ihrer Sonderrechte müssen sie die öffentliche Sicherheit beachten. Sie dürfen zum Beispiel eine rote Ampel nur nach vorherigem Anhalten überfahren. Im Fall wurde geprüft, ob die Polizei gegen dieses Gebot verstoßen hatte.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 7 StVG (Straßenverkehrsgesetz): Dieser Paragraph regelt die Haftung für Schäden, die durch den Betrieb eines Fahrzeugs entstehen. Jede Person, die ein Fahrzeug führt, ist für den daraus resultierenden Schaden verantwortlich, es sei denn, sie kann beweisen, dass der Schaden auch bei größter Sorgfalt nicht hätte vermieden werden können. Im vorliegenden Fall könnte dies relevant sein, da der Kläger die Haftung für den Unfall bestreitet und auf ein überwiegendes Verschulden des Beklagten verweist.
- § 823 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch): Dieser Paragraph behandelt die allgemeine Schadensersatzpflicht. Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Recht einer anderen Person verletzt, ist zum Schadensersatz verpflichtet. Der Kläger macht im Rahmen seiner Ansprüche auch geltend, dass die Polizeibeamten durch ihre falsche Unfallskizze in seine Rechte eingegriffen haben, was zu seiner Forderung auf Ersatz der Schäden führt.
- § 826 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch): Hier wird der Schadensersatzanspruch aufgrund von sittenwidrigem Verhalten behandelt. Der Kläger argumentiert, dass die Polizei unlautere Methoden angewendet hat, um ihn zu übervorteilen, was möglicherweise einen entsprechenden Schadenersatzanspruch begründen könnte. Diese rechtliche Grundlage ist entscheidend für die Argumentation des Klägers hinsichtlich der unredlichen Handlungsweise der Polizeibeamten.
- § 249 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch): Dieser Abschnitt regelt die Art und Weise, wie Schäden zu ersetzen sind, insbesondere dass der Geschädigte so zu stellen ist, als wäre der schädigende Umstand nicht eingetreten. Der Kläger strebt die Erstattung seiner Selbstbeteiligung, der Abschleppkosten und anderer Auslagen an, was auf eine Anwendung dieses Paragraphen auf seinen wirtschaftlichen Nachteil hindeutet.
- § 1 Abs. 2 PflVG (Pflichtversicherungsgesetz): Das Pflichtversicherungsgesetz verpflichtet Fahrzeughalter, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen, um Schäden Dritter abzusichern. Die Vorschriften sind vor allem relevant für die Frage, inwieweit die aufgetretenen Schäden durch die Versicherung der Beklagten gedeckt werden, insbesondere im Hinblick auf die Ansprüche des Klägers gegenüber der Versicherungssituation aufgrund des Verkehrsunfalls.
Das vorliegende Urteil
Landgericht Detmold – Az.: 02 O 142/19 – Urteil vom 27.01.2020
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