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Sachverständigenablehnung – Einholung eines weiteren Gutachtens durch anderen Sachverständigen

OLG Rostock – Az.: 4 W 21/19 – Beschluss vom 03.06.2019

I. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Schwerin vom 17.04.2019 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuches gegen einen Sachverständigen.

Die Klägerin verfolgt einen Anspruch auf Leistung aus einer bei dem beklagten Versicherungsunternehmen für sie bestehenden Unfallversicherung. Mit Beschluss vom 21.12.2017 hat das Landgericht den Sachverständigen Dr. med. D… als Gutachter bezüglich der von der Klägerin insoweit behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deren Kausalität bestellt. Das von dem Sachverständigen in der Folge vorgelegte Gutachten ist der Klägerin am 05.11.2018 mit einer Stellungnahmefrist von drei Wochen zugestellt worden.

Im Rahmen eines anwaltlichen Schriftsatzes ihres Prozessbevollmächtigten vom 24.11.2018 hat die Klägerin ausgeführt, ihr Vertrauen in den Sachverständigen sei derart erschüttert, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens beantrage. Zur Begründung hat die Klägerin darauf abgestellt, dass sie das Gutachten als oberflächlich empfinde und der Sachverständige keine persönliche Begutachtung vorgenommen sowie den Akteninhalt völlig unzureichend und falsch gewürdigt habe; Befunde der Klägerin seien insgesamt ignoriert worden bzw. es fehle jedenfalls an einer ausreichenden Auseinandersetzung mit ihnen. So viele Fehler wie aufgezeigt dürften nicht passieren, und die Sachverständigenauswahl sei ein reiner Fehlgriff gewesen. Die Klägerin habe das Gutachten parallel der Ärztekammer vorgelegt.

Mit weiterem anwaltlichem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 30.01.2019 hat die Klägerin „bekräftigt, dass der Sachverständige Dr. D… abgelehnt“ werde. Sie halte ihn unter anderem durch den Verfahrensablauf für befangen, weil er trotz wiederholter, auch persönlicher Rückfragen der Klägerin das Gutachten erst unter erheblicher Überschreitung der dafür gesetzten Frist und nach einer Androhung von Ordnungsmaßnahmen durch das Landgericht vorgelegt habe. Es sei lebensnah, dass sich die Klägerin durch ständige Nachfragen bei dem Sachverständigen sowie ein von ihr betriebenes Verfahren gegen ihn bei der Ärztekammer unbeliebt gemacht habe. Außerdem werde auf die schon dargelegte Vielzahl von Fehlern verwiesen.

Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch wegen Verfristung zurückgewiesen. Werde der Ablehnungsgrund aus dem Inhalt des Gutachtens hergeleitet, sei er unverzüglich geltend zu machen. Die von der Klägerin angeführten Mängel des Gutachtens sowie dessen verspätete Fertigstellung hätten insofern keiner Prüfung bis zum 30.01.2019 bedurft, sondern aufgrund der erfolgten inhaltlichen Prüfung ein Ablehnungsgesuch schon in dem Schriftsatz vom 24.11.2018 angebracht werden können.

Gegen den ihr am 29.04.2019 zugestellten Beschluss wendet sich die Klägerin mit ihrer am 12.05.2019 erhobenen sofortigen Beschwerde. Sie ist der Auffassung, der Schriftsatz vom 24.11.2018 sei unmissverständlich als Ablehnung des Sachverständigen auszulegen gewesen und damit fristgerecht erfolgt; die Klägerin habe deutlich gemacht, dass aus zahlreichen Gründen keinerlei Vertrauen mehr in den Sachverständigen bestehe und die Einholung eines zweiten Gutachtens beantragt.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde aus den Gründen des angegriffenen Beschlusses nicht abgeholfen. Der Antrag auf Einholung eines Obergutachtens sei inhaltlich etwas völlig anderes als ein Ablehnungsgesuch und setze eine Befangenheit des Sachverständigen nicht voraus. Habe die Klägerin in dem Schriftsatz vom 24.11.2018 zwar zum Ausdruck gebracht, mit den Ergebnissen der Begutachtung nicht einverstanden zu sein, dürfe bei anwaltlicher Vertretung doch erwartet werden, dass ein Ablehnungsgesuch auch ausdrücklich gestellt werde.

II. Die zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen Dr. D… verspätet angebracht worden ist, weil es sich erstmals aus dem Schriftsatz vom 30.01.2019 ergibt; dem ansonsten noch als rechtzeitig anzusehenden Schriftsatz vom 24.11.2018 lässt sich eine Ablehnung des Gutachters wegen einer Besorgnis der Befangenheit demgegenüber (noch) nicht entnehmen.

1. Ob ein Ablehnungsgesuch vorliegt, ist im Wege der Auslegung zu bestimmen, wobei Zweifel zu Lasten der Partei gehen (vgl. Rauscher/Krüger-Stackmann, MüKo ZPO, 5. Aufl., 2016, § 44 Rn. 5). Kann vor diesem Hintergrund bezogen auf die Geltendmachung der Besorgnis der Befangenheit des richterlichen Dezernenten der erkennbare Wille ausreichend sein, dass ein anderer Richter mit der Sache befasst werden solle (vgl. LG Kiel, Beschluss vom 13.02.1987, Az.: 13 Gen 313 – 4/87, – zitiert nach juris -), ergab sich aus dem Schriftsatz vom 24.11.2018 zwar der dem auf den ersten Blick ähnliche Antrag auf Einholung eines neuen Gutachtens durch einen anderen Sachverständigen. Jedoch stellen sich die prozessualen Möglichkeiten und Voraussetzungen, einen Wechsel der betreffenden Person zu bewirken, im Hinblick auf den erkennenden Richter einerseits und den gerichtlich bestellten Sachverständigen unterschiedlich dar.

a. Die Befassung eines anderen als des für den jeweiligen Prozess zunächst durch die Geschäftsverteilung abstrakt für zuständig bestimmten Richters kann allein mit dessen erfolgreicher Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit nach den §§ 42 ff. ZPO herbeigeführt werden; es kommt daher im Grunde genommen schon von vornherein keine andere Auslegungsalternative hinsichtlich des von einer Partei geäußerten Anliegens eines Richterwechsels in Betracht, als dieses im Sinne eines zumindest konkludenten Ablehnungsgesuches zu verstehen. Das Regelungssystem des § 412 ZPO bezüglich der Einholung eines neuen Gutachtens durch einen anderen Sachverständigen ist demgegenüber differenzierter. So kann das Gericht zum einen nach § 412 Abs. 2 ZPO und der Rechtsfolge der §§ 42 ff. ZPO vergleichbar die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist, gemäß § 412 Abs. 1 ZPO zum anderen aber auch, wenn es ein erstattetes Gutachten für ungenügend erachtet; letzteres ist der Fall, wenn es unvollständig, widersprüchlich oder nicht überzeugend ist, wenn es von unzutreffenden Tatsachen ausgeht oder sich diese durch neuen (zu berücksichtigenden) Vortrag geändert haben, wenn der Sachverständigen nicht die erforderliche Sachkunde hat oder es neue wissenschaftliche Erkenntnisse gibt (vgl. Musielak/Voit-Huber, ZPO, 16. Aufl., 2019, § 412 Rn. 1 m. w. N.).

b. Die Begründung der Klägerin in dem Schriftsatz vom 24.11.2018 für ihren Antrag auf Einholung eines neuen Gutachtens, sie habe das Vertrauen in den Sachverständigen Dr. D… völlig verloren, in Verbindung mit Ausführungen zu nach ihrer Auffassung bestehenden Unzulänglichkeiten bei der Erstellung des Gutachtens und dessen Inhalt musste vor diesem Hintergrund nicht ausschließlich so verstanden werden, dass die Klägerin den Sachverständigen wegen Zweifeln an seiner Unparteilichkeit ablehnte. Der Vertrauensverlust konnte vielmehr ebenso (nur) die ausreichende Fachkompetenz des Gutachters oder die Vollständigkeit und Überzeugungskraft seiner Feststellungen betreffen, was aber in keinem gleichzeitigen und zwingenden Zusammenhang mit Bedenken hinsichtlich seiner Neutralität und Objektivität stehen muss; zudem hat die Klägerin auf einen so formulierten Fehlgriff (schon) bei der Sachverständigenauswahl abgestellt, was eher eine Anknüpfung an eine anfängliche Ungeeignetheit des Gutachters nahe legt als die Geltendmachung einer (erst) später so empfundenen Befangenheit. Zutreffend ist auch der Ansatz des Landgerichts, dass angesichts der anwaltlichen Vertretung der Klägerin davon auszugehen gewesen wäre, dass die Absicht (gerade) einer Ablehnung des Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit gegebenenfalls mit entsprechend eindeutigen Formulierungen und Anträgen zum Ausdruck gebracht wird. War die Erklärung der Klägerin damit bestenfalls noch mehrdeutig, mussten sich daraus ergebende Zweifel nach dem eingangs unter Ziffer 1) Gesagten bei der Auslegung zu ihrem Nachteil gehen. Auch der Grundsatz, dass bei Zweifeln über den Sinn einer Erklärung eine interessengerechte Auslegung zu bevorzugen und eine Prozesshandlung dahingehend auszulegen ist, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (vgl. BGH, Beschluss vom 28.07.2005, Az.: III ZB 56/05, – zitiert nach juris -, Rn. 8 m. w. N.), hilft der Klägerin im Übrigen nicht weiter. Im Verhältnis der Voraussetzungen des § 412 Abs. 1 und 2 ZPO für die Einholung eines neuen Gutachtens durch einen anderen Sachverständigen zueinander besteht kein Vorrangverhältnis; ebenso ist die Rechtsfolge im Falle ihres Vorliegens dieselbe.

2. Wird ein Ablehnungsgrund (erst) aus dem Inhalt des Gutachtens oder seinem Zustandekommen abgeleitet, ist er unverzüglich nach entsprechender Kenntnis geltend zu machen; das bedeutet, dass der Ablehnungsantrag zwar nicht sofort, wohl aber ohne schuldhaftes Zögern, das heißt innerhalb einer den Umständen des Einzelfalls angepassten Prüfungs- und Überlegungsfrist anzubringen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15.03.2005, Az.: VI ZB 74/04, – zitiert nach juris -, Rn. 7). Hat die Klägerin ihre Einwendungen gegen das Gutachten, auf welche sie auch ihr (späteres) Ablehnungsgesuch stützt, schon in dem Schriftsatz vom 24.11.2018 vorgetragen, ergibt sich daraus zwanglos, dass dies schon damals mit einem Befangenheitsantrag hätte verbunden werden können. Insbesondere hatte sie sich ausweislich des betreffenden Schriftsatzes bereits damals parallel an die Ärztekammer gewandt, sodass dahinstehen kann, dass aus einem derartigen eigenen Verhalten der ablehnenden Partei grundsätzlich nie ein Befangenheitsgrund abgeleitet werden kann (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 32. Aufl., 2018, § 42 Rn. 29 m. w. N.). Einer weiteren Prüfungs- und Überprüfungsfrist von mehreren Monaten bis zu dem Schriftsatz vom 30.01.2019 bedurfte es daher nicht, weshalb das mit diesem angebrachte Ablehnungsgesuch verspätet und damit unzulässig ist.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO (vgl. zur Notwendigkeit einer Kostenentscheidung im Falle einer erfolglosen Beschwerde gegen eine ein Ablehnungsgesuch zurückweisende Entscheidung etwa BGH, Beschluss vom 06.04.2005, Az.: V ZB 25/04, – zitiert nach juris -).

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