AG Hamburg-Wandsbek – Az.: 713 C 238/18 – Urteil vom 20.12.2018
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.12.2017 und 2,50 € Mahnkosten zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Beschluss
Der Beklagten wird für die I. Instanz Prozesskostenhilfe bewilligt.
Tatbestand
Die Klägerin ist psychologische Psychotherapeutin und verlangt von der Beklagten, ihrer früheren Patientin, ein Ausfallhonorar.
Die Klägerin händigte der Beklagten den Entwurf eines schriftlichen Therapievertrags aus, zu Unterschriften unter den Vertrag kam es allerdings nicht. Der Vertragsentwurf sah unter anderem folgende Regelung vor:
Ausfallhonorar
Der/die Patient/in verpflichtet sich, bei Verhinderung einen vereinbarten Behandlungstermin spätestens zwei Werktage (nach Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) §193 Montag bis Freitag) vor dem Termin abzusagen. Erfolgt die Terminabsage nicht rechtzeitig innerhalb der vorbenannten Frist, wird dem/der Patienten/in ein Bereitstellungshonorar von Euro 80,00 in Rechnung gestellt. Dieses Ausfallhonorar hat der/die Patient/in unabhängig von der Art der Versicherung selbst zu zahlen. Eine Kostenerstattung durch die private oder gesetzliche Krankenkasse findet in diesem Fall nicht statt. Vorstehende Regelung gilt jedoch nicht, sofern der/die Patient/in nachweist, dass der Psychotherapeutin durch die Terminabsage tatsächlich ein Schaden nicht entstanden ist.
Der u.a. für die Aufgabenkreise der Gesundheitsfürsorge und Vermögenssorge bestellte Betreuer der Beklagten erklärte gegenüber der Klägerin per E-Mail sinngemäß, die ambulante Therapie sei alternativlos und, da wohl die meisten Therapeuten ein Ausfallentgelt verlangten, sei dies kein Grund, die Therapie bei der Klägerin nicht zu beginnen.
Die Therapiesitzungen begannen sodann.
Die Beklagte erschien zu einer vereinbarten Therapiesitzung am 22.8.2017 um 19 Uhr nicht und erklärte der Klägerin dann auf deren telefonische Nachfrage, ihr gehe es nicht so gut, so dass sie zuhause bleibe.
Die Klägerin beantragt nach Klagrücknahme hinsichtlich eines Teils der Nebenforderungen zuletzt wie erkannt.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält die Ausfallhonorarvereinbarung für sittenwidrig und therapeutisch unvertretbar.
Für die Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Klägerin steht aus dem Behandlungsvertrag in Verbindung mit § 615 BGB das verlangte Ausfallhonorar zu.
Eine Vereinbarung über das Ausfallhonorar ist zwischen den Parteien zustande gekommen, auch wenn es zur Unterzeichnung des schriftlichen Therapievertrags nicht kam. Einen Behandlungsvertrag schlossen die Parteien konkludent, indem die Beklagte sich tatsächlich bei der Klägerin in Therapie begab und Leistungen entgegennahm. Das zeigt, dass es den Parteien nicht zwingend im Sinne von § 154 II BGB auf die schriftliche Fixierung des Vertrages ankam. Inhalt des Behandlungsvertrages ist auch die in dem Vertragsentwurf enthaltene Ausfallhonorarklausel geworden. Die Klägerin wies den Betreuer in ihrer E-Mail vom 6.3.2017 auf das Ausfallhonorar hin, woraufhin der Betreuer der Beklagten erwiderte, das Ausfallentgelt sei kein Grund, die Therapie bei der Klägerin nicht zu beginnen. Mit Aufnahme der Therapie bestand damit auch Konsens über die Zahlung eines Ausfallhonorars für den Fall, dass ein Termin nicht wahrgenommen und auch nicht rechtzeitig abgesagt wird. Für einen früher nicht wahrgenommenen Termin am 22.6.2017 zahlte die Beklagte das Ausfallhonorar.

Die Behandlung war auch ausgefallen und nicht abgebrochen worden. Dienstverträge werden durch Kündigung beendet. Eine solche erklärte die Beklagte nicht bis zu dem hier fraglichen Termin. Auch das Nichterscheinen als solches war nicht zwingend als Kündigung im Sinne von § 627 BGB auszulegen, da hierfür ex ante mehrere Gründe in Betracht kamen (Erkrankung, persönliche Hinderungsgründe, Unlust, Unfall, Stau usw.).
Die Vereinbarung eines Ausfallhonorars für die Nichteinhaltung eines vereinbarten Termins durch den Patienten entspricht § 615 BGB und verstößt grundsätzlich weder gegen § 308 Nr. 7 BGB noch gegen § 307 II Nr. 1 BGB (Christensen in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 12. Aufl. 2016, Arztverträge Rn. 5).
Der Entscheidung des Landgerichts Berlin (Urteil vom 15. April 2005 – 55 S 310/04 –, juris) kann in dem entscheidenden Punkt nicht beigetreten werden. Soweit es dort heißt, § 615 BGB könne die Klausel nicht rechtfertigen, weil hier Verschulden vorausgesetzt werde, trifft dies nicht zu. Richtig ist das Gegenteil. Der Annahmeverzug tritt unabhängig von einem Verschulden des Gläubigers ein. Das ist allgemeine Meinung und ständige Rechtsprechung des BGH seit BGHZ 24, 91-96. Der Dienstberechtigte bleibt im Falle des Annahmeverzugs grundsätzlich zur Zahlung der Vergütung verpflichtet, weil dieser Umstand in seinen Risikobereich fällt; eine Entlastungsmöglichkeit nach dem Grund der Nichtannahme oder des Unterlassens der Mitwirkung ist nicht vorgesehen. Das Gesetz fragt nicht, aus welchen Gründen der Patient nicht zum Behandlungstermin erschienen ist. Sofern der Behandler leistungsfähig und -bereit war – was in seine Risikosphäre fällt –, hat er Anspruch auf die vereinbarte Vergütung, abzüglich des Ersparten oder böswillig nicht anderweitig Erworbenen.
Soweit die Honorarausfallklausel dem Patienten den Nachweis gestattet, aber auch aufbürdet, dass tatsächlich ein Schaden nicht entstanden sei, ist auch das nicht zu beanstanden, weil diese Regelung nicht vom Gesetz abweicht. Nach der Regelungssystematik in § 615 ZPO ist dessen Satz 2 (Anrechnung) als Einwendung gegenüber dem Grundsatz nach Satz 1 (Bestehenbleiben der Vergütungspflicht) zu verstehen und damit der Dienstberechtigte, also der Patient beweisbelastet. Die Möglichkeit eines anderweitigen Erwerbs ist freilich nicht mit dem Vortrag der Beklagten dargetan, die Klägerin sei „geldgeil“ und habe die ausgefallene Sitzung nutzen können, um Rechnungen zu schreiben, oder hätte „einfach Feierabend machen“ sollen.
Auch die in der Klausel vorgesehene Zwischenfrist von mindestens einem Werktag zwischen dem Tag der Terminsabsage und dem Terminstag weicht nicht in unangemessener Weise von § 621 Nr. 5 BGB ab. Nach dieser Vorschrift ist ein Behandlungsvertrag jederzeit kündbar. Überwiegend werden Absagefristen von 24 Stunden, zum Teil auch von 48 Stunden für angemessen gehalten (vgl. AG Nettetal, Urteil vom 12. September 2006 – 17 C 71/03 –, juris). Das überzeugt schon deshalb, weil Absage oder Nichterscheinen in Ansehung eines Behandlungstermins nicht gleichzusetzen sind mit der Kündigung des Behandlungsverhältnisses als solchem. Dass der Behandler etwas Zeit gewinnt, um möglichst den Termin kurzfristig anderweitig zu vergeben, ist ihm zuzubilligen. Auch der Umstand, dass hier der Samstag, eigentlich ein Werktag, nicht als solcher zählt, rechtfertigt sich vor dem Hintergrund, dass Arztpraxen regelmäßig an Samstagen jedenfalls nicht für Terminsvergaben besetzt sind.
Die Nebenforderungen folgen aus Verzug (§§ 280, 286, 288 ZPO).
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 II Nr. 1 analog (unerhebliche Klageteilrücknahme), 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Eine Fristverlängerung ist der Beklagten zur Stellungnahme auf den klägerischen Schriftsatz vom 28.9.2018 nicht zu gewähren, weil dieser kein relevantes neues Vorbringen enthält.