Oberlandesgericht Dresden
Az: 7 U 499/09
Beschluss vom 29.06.2009
Vorinstanz: LG Chemnitz, Az.: 4 O 1781/08
In dem Rechtsstreit wegen Schadensersatz hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung beschlossen:
I.
Zur Vorbereitung des anberaumten Termins weist der Senat die Parteien auf Folgendes hin:
Die zulässige Berufung des Klägers hat nach vorläufiger Rechtsauffassung des Senats zum überwiegenden Teil hinreichende Aussicht auf Erfolg.
1. Mietwagenkosten
Im Streit dürften hier – nach zwischenzeitlicher Zahlung der vom Landgericht tenorierten Forderung – noch Mietwagenkosten in Höhe von 666,90 EUR nebst Zinsen sein.
Aus dem als Anlage K 6 vorgelegten Mietvertrag ergibt sich ein Grundpreis von 129,71 EUR brutto.
Nach der zum Vergleich mit dem „Normaltarif“ heranzuziehenden Schwacke-Liste 2008 (vgl. zur Schwacke-Liste 2007 Senatsurteil vom 26.11.2008, Az: 7 U 667/09) beträgt für die hier einschlägige Mietwagenklasse 5 (und nicht Klasse 4, wie das Landgericht angenommen hat) ein Modus von 99,00 EUR brutto. Damit liegt der vertraglich vereinbarte Preis 31 % über dem Normaltarif auf dem örtlichen Markt.
Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob dieser Anmietungstarif, betriebswirtschaftlich notwendig war und im Hinblick auf Mehraufwendungen bei der Vermietung von Unfallersatzfahrzeugen einen ggf. pauschalierten Aufschlag auf den gewichteten Normaltarif rechtfertigt (wozu die Klägerseite mit Schriftsatz vom 08.12.2008 erstinstanzlich im Einzelnen vorgetragen hat).
Denn der Geschädigte kann im Hinblick auf die gebotene subjektbezogene Schadensbetrachtung dann einen höheren Betrag als den Normaltarif ersetzt verlangen, wenn er darlegt, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich war (vgl. nur BGH, Urteil vom 13.06.2006, Az: VI ZR 161/05). Nach den vom BGH entwickelten Grundsätzen kommt es insbesondere für die Frage der Erkennbarkeit der Tarifunterschiede für den Geschädigten darauf an, ob ein vernünftiger oder wirtschaftlich denkender Geschädigter unter dem Aspekt des Wirtschaftlichkeitsgebotes zu einer Nachfrage nach einem günstigeren Tarif gehalten gewesen wäre. Zu einer solchen Nachfrage ist der Geschädigte allerdings nur gehalten, wenn er Bedenken gegen die Angemessenheit des ihm angebotenen Unfallersatztarifes haben muss. Dies ist nur dann der Fall, wenn der angebotene Tarif „erheblich“ bzw. „auffällig hoch“ über den in der „Schwacke-Liste“ aufgezeigten Tarifen liegt (vgl. BGH, Urteil vom 04.07.2006, Az: VI ZR237/05). In der Rechtsprechung hat sich hinsichtlich der Frage der Erkennbarkeit die Überzeugung gebildet, dass ein Geschädigter Zweifel an der Angemessenheit des Tarifes dann haben muss, wenn dieser zwischen 50 % bis 100 % höher liegt als der örtlich übliche Normaltarif.
Insoweit ist beim Vergleich von den jeweiligen Tagespreisen auszugehen, da im Anmietungszeitpunkt regelmäßig noch nicht ersichtlich ist, wie lange das Mietfahrzeug benötigt wird (vgl. Senatsbeschluss vom 19.02.2007, Az: 7 U 720/06).
Nach alledem war hier der Kläger bei einer Preisspanne von 31 % noch nicht zur Nachfrage nach einem günstigeren Tarif gehalten. Nachdem er das Ersatzfahrzeug mithin berechtigt zum Unfallersatztarif angemietet hat, war er grundsätzlich auch unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht nicht gehalten, das Mietfahrzeug später wieder zurückzugeben und zu einem günstigeren Anbieter zu wechseln (vgl. Senat, Urteil vom 28.05.2008, Az: 7 U 131/08).
Allerdings muss sich der Geschädigte bei Anmietung eines Ersatzfahrzeuges regelmäßig ersparte Eigenaufwendungen in Höhe von 10 % der Mietkosten anrechnen lassen (vgl. Senatsurteil vom 28.05.2008, Az: 7 U 131/08; OLG Hamm, MDR 2000, 1246).
Mithin hat sich der Kläger einen Betrag von 205,99 EUR anspruchsmindernd anrechnen zu lassen. Daher dürfte ein Restanspruch auf Ersatz von Mietwagenkosten lediglich noch in Höhe von 460,91 EUR nebst anteiligen Zinsen bestehen.
2. Teilweise übereinstimmende Erledigung
Mit dem Landgericht geht auch der Senat grundsätzlich davon aus, dass der Haftpflichtversicherung nach einem Verkehrsunfall eine angemessene Prüfungsfrist gewährt werden muss. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird dem Haftpflichtversicherer im Regelfall eine Prüfungsfrist von vier bis sechs Wochen eingeräumt, da diesem die Möglichkeit gegeben werden muss, vor einer Entscheidung über eine Zahlung oder Teilzahlung den Sachverhalt zu prüfen (vgl. OLG Saarbrücken, ZfS 1992, 22; LG Stuttgart, SP 2004, 126). In Fällen mit Auslandsbezug – wie hier – spricht viel dafür, die Regulierungsfrist auf sechs Wochen auszudehnen. Sie wird auch erst durch den Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreiben in Lauf gesetzt (vgl. LG Köln, SP 2004, 192). Ein solches Schreiben hat hier die Klägerseite am 11.08.2008 an die H……… übersandt (Anlage K 16). Mithin trat Verzug beim Haftpflichtversicherer jedenfalls am 24.09.2008, also vor Klageerhebung ein. Zu diesem Zeitpunkt lag auch bei Zugrundelegung des Beklagtenvortrages die Bestätigung des polnischen Versicherers bereits vor, wonach Versicherungsschutz bestand.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts war ein Verzug der Haftpflichtversicherung nach Ablauf der angemessenen Prüfungsfrist von sechs Wochen aber nicht dadurch ausgeschlossen, dass diese bis zu jenem Zeitpunkt noch keine Einsicht in die Ermittlungsakten nehmen konnte. Denn der Haftpflichtversicherer kann sich über seinen Versicherungsnehmer bzw. eventuelle mitversicherte Personen über den Sachverhalt unterrichten. Die Entscheidung der Eintrittspflicht von einer vorherigen Einsicht in die Ermittlungsakten abhängig zu machen, ist grundsätzlich nicht geboten bzw. erforderlich (vgl. OLG Saarbrücken, NZV 1991, 312), zumal mit einer Akteneinsicht erfahrungsgemäß oft erst nach Monaten zu rechnen ist und ein entsprechendes Zuwarten den berechtigten Interessen des Geschädigten an einer raschen Regulierung zuwiderlaufen würde.
Nach alledem dürfte es billigem Ermessen i.S.v. § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO entsprechen, die Kosten im Hinblick auf die teilweise übereinstimmenden Erledigung des Rechtsstreits der Beklagtenseite aufzuerlegen.
3. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten
Unter Berücksichtigung der 10-prozentigen Eigenersparnis für Mietwagenkosten, welche sich der Kläger entgegenhalten muss, ist die 1,3-Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 15.876,56 EUR zu errechnen. Sie beträgt daher 899,40 EUR, welche von der Beklagtenseite bereits vollständig gezahlt worden ist. Ein weiterer Anspruch in Höhe der nunmehr noch verlangten 61,88 EUR nebst Zinsen besteht somit nicht.
II.
Unter Berücksichtigung der Ausführungen in Ziff. 1 besteht eine hinreichende Erfolgsaussicht der Berufung für folgenden Antrag:
Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Chemnitz vom 27.02.2009 – Az: 4 O 1781/08 – abgeändert und der Beklagte verurteilt, an den Kläger 406,91 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz wie folgt zu zahlen:
Aus 15.876,56 EUR vom 24.09. bis 24.10.2008
aus 406,91 EUR seit dem 25.10.2008.
Der Senat regt daher an, dass seitens des Klägers die weitergehende Berufung zurückgenommen wird und der Beklagte insoweit ein Anerkenntnis erklärt. In diesem Fall könnte ein kostengünstiges Anerkenntnisurteil ohne mündliche Verhandlung ergehen.
III.
Die Parteien erhalten Gelegenheit, binnen zwei Wochen zu den Hinweisen des Senats und der vorgeschlagenen weiteren Verfahrensweise (teilweise Berufungsrücknahme, Anerkenntnis) Stellung zu nehmen.