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Grundlose Mandatskündigung durch Rechtsanwalt – Verlust Gebührenanspruch

Amtsgericht Bonn – Az.: 106 C 68/21 – Urteil vom 30.12.2021

In Sachen hat das Amtsgericht Bonn auf die mündliche Verhandlung vom 30.11.2021 für Recht erkannt:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 500,00 EUR zu zahlen.

Die Widerklage wird abgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Kläger Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Rückzahlung eines Vorschusses aus einem Anwaltsvertrag, der Beklagte macht widerklagend einen ergänzenden Gebührenanspruch geltend.

Im gegen den Kläger wegen des Vorwurfs der falschen Verdächtigung laufenden Strafverfahren (Staatsanwaltschaft Bonn 000 Js 000/00) mandatierte der Kläger den Beklagten, nachdem sein Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers mit Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 28.04.2020 abgelehnt worden war.

Der Kläger leistete einen Vorschuss in Höhe von 500,00 EUR.

Nachdem der Beklagte Einsicht in die zu diesem Zeitpunkt etwa 500 Blatt starke Ermittlungsakte genommen und das Verfahren mit den zuständigen Abteilungsrichtern (Dezernatswechsel) erörtert hatte, wurde der Kläger zu einer Einstellung des Verfahrens nach § 153 Abs. 1 StPO angehört.

Eine solche lehnte der Kläger ab, er verfolgte das Ziel eines Freispruchs und forderte den Kläger zur Darlegung der entstehenden Kosten für den Fall der Durchführung eines Hauptverhandlungstermins auf.

Mit Schreiben vom 10.02.2021 listete der Beklagte die voraussichtlich entstehenden Kosten auf.

Dabei berücksichtigte er eine 20%ige Erhöhung der Mittelgebühr und wies darauf hin, dass von der Staatskasse im Fall des Freispruchs voraussichtlich nur die nicht erhöhte Mittelgebühr erstattet werde.

Der Beklagte wies darauf hin, dass er nicht beabsichtige, über die Erhöhung der Gebühren nachzuverhandeln und forderte den Kläger auf, schriftlich mitzuteilen, ob er mit den Konditionen einverstanden ist.

Der Kläger teilte dem Beklagten mit Email vom 10.02.2021 mit, dass er mit der Vereinbarung einer erhöhten Gebühr nicht einverstanden sei und dass er davon ausgehe, dass das Mandat unter Berücksichtigung einer RVG-Mittelgebühr fortgesetzt werde.

Mit Schreiben vom 11.02.2021 kündigte der Beklagte das Mandat und erklärte, dass er zu dem Schluss gekommen sei, dass er der falsche Verteidiger für den Kläger sei und dass eine Grundlage für die Fortsetzung der Zusammenarbeit nicht bestehe.

Er rechnete die Tätigkeit mit Liquidation vom 11.02.2021, die unter Berücksichtigung der o.g. Erhöhung mit einem Gesamtbetrag von 660,45 EUR endete, ab und forderte den Kläger zur Zahlung des Restbetrages in Höhe von 160,45 EUR unter Fristsetzung bis zum 19.02.2021 auf.

Der Kläger ist der Ansicht, der Beklagte habe das Mandatsverhältnis grundlos gekündigt und sei zur Rückzahlung des geleisteten Vorschusses verpflichtet, denn die Tätigkeiten des Klägers seien nach Kündigung für ihn, den Kläger nutzlos.

In der fehlenden Zustimmung zur Erhöhung der RVG-Mittelgebühr liege kein vertragswidriges Verhalten i.S.v. § 628 Abs. 1 S. 2 BGB.

Der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 500,00 EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen und widerklagend, den Kläger zu verurteilen an den Beklagten 160,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkte über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Kläger beantragt, die Widerklage abzuweisen.

Der Beklagte meint, die Erhöhung der RVG Mittelgebühr um 20% sei nach Maßgabe von § 14 RVG wegen der Komplexität des Verfahrens und des Aktenumfangs gerechtfertigt.

Er sei berechtigt gewesen, einen Vorschuss für die insgesamt entstehenden Gebühren zu beanspruchen und das Mandat ohne Verlust des Gebührenanspruchs zu beenden, als der Kläger mitgeteilt habe, dass er mit der Erhöhung der Mittelgebühr nicht einverstanden sei.

Entscheidungsgründe

Grundlose Mandatskündigung durch Rechtsanwalt – Verlust Gebührenanspruch
(Symbolfoto: L.O.N Dslr Camera/Shutterstock.com)

Die zulässige Klage ist begründet, die zulässige Widerklage ist unbegründet.

Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Rückzahlung in Höhe von 500,00 EUR nach Maßgabe der §§ 628 Absatz 1 Satz 3 i.V.m. § 346 BGB zu.

Das zugrunde liegende Rechtsverhältnis zwischen den Parteien in Form der anwaltlichen Mandatierung stellt einen Anwaltsdienstvertrag nach den §§ 611, 675 BGB dar.

Der Beklagte war nach Maßgabe des § 627 Absatz 1 BGB jederzeit zur Kündigung berechtigt, denn stellt ein Anwaltsdienstvertrag einen Dienstvertrag mit besonderer Vertrauensstellung dar, weil ein Anwalt regelmäßig Dienste höherer Art leistet (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 1986 – III ZR 67/85, NJW 1987, 315, 316).

Gemäß § 628 Abs. 1 S. 2 BGB steht dem Dienstverpflichteten allerdings im Fall der Kündigung ohne zugrunde liegendes vertragswidriges Verhalten des Dienstberechtigten insoweit kein Anspruch auf Vergütung zu, wie die bisher geleisteten Tätigkeiten für den anderen Teil kein Interesse haben.

Für eine rechtsanwaltliche Kündigung bedeutet dies:

Kündigt der Rechtsanwalt das Mandatsverhältnis, ohne durch vertragswidriges Verhalten des anderen Teils dazu veranlasst zu sein, steht ihm ein Anspruch auf Vergütung insoweit nicht zu, als der Mandant einen anderen Prozessbevollmächtigten neu bestellen muss, mit dessen Vergütung auch die Tätigkeit des kündigenden Anwalts abgegolten wäre (BGH, Urteil vom 29.09.2011, IX ZR 170/10, juris).

Ein der Kündigung vorausgehendes vertragswidriges Verhalten des Klägers liegt nicht vor.

Ein solches liegt nicht in der fehlenden Zustimmung zur – ggf. sinnvollen – anvisierten Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 1 StPO, wovon auch der Beklagte ausgeht.

Die Verfolgung des Freispruchziels oblag der freien Entscheidung des Klägers, das Gesetz stellt eine entsprechende Verfahrenserledigung ausdrücklich unter den Vorbehalt seiner Zustimmung.

Auch kann in der fehlenden Zustimmung zur Erhöhung der RVG-Mittelgebühr um 20% kein vertragswidriges Verhalten des Klägers gesehen werden, dass den Beklagten zur (unmittelbaren) Kündigung des Mandats ohne die vergütungsrechtlichen Folgen aus § 628 Abs. 1 S. 2 BGB berechtigt hätte.

Treffend weist der Beklagte darauf hin, dass der Rechtsanwalt einen Vorschuss in Höhe der gesamten voraussichtlich anfallenden Gebühren beanspruchen kann.

Vorliegend kann unentschieden bleiben, ob eine Erhöhung der Mittelgebühr im streitgegenständlichen Strafverfahren angemessen war – hierzu wäre gem. § 14 Abs. 3 RVG die Rechtsanwaltskammer zu hören gewesen – und ob auch eine Erhöhung der Mittelgebühr im Wege des Vorschusses verlangt werden kann; denn der Beklagte hat die Zahlung eines (ergänzenden) Vorschusses nicht beansprucht.

Mit Schreiben vom 10.02.2021 hat der Beklagte die voraussichtlichen Gebühren unter Einschluss der Erhöhung (aufgelistet und den Kläger zur Erklärung aufgefordert, „ob er mit den vorgegebenen Konditionen einverstanden ist“. Zu einer (ergänzenden) Zahlung wurde der Kläger nicht aufgefordert, verlangt wurde die Vereinbarung eines über der RVG-Mittelgebühr liegenden Gebührensatzes.

Nachdem der Kläger einer solchen Vereinbarung ausdrücklich nicht zugestimmt hatte, hat der Beklagte das Mandat unmittelbar gekündigt.

Es mag sich dabei nicht um eine vom Beklagten angestrebte Vergütungsvereinbarung im engeren Sinne handeln, bei der Gebühren außerhalb des RVG-Gebührenrahmens abgestimmt werden sollten, letztlich sollte aber die spätere Überprüfung des angemessenen Gebührenrahmens mittels einer Vereinbarung mit dem Kläger vermieden, mithin ein Erhöhungssatz nach § 14 RVG verbindlich vertraglich vereinbart werden. Dies wäre vor der Übernahme des Mandats rechtlich unproblematisch gewesen. Die Verweigerung der Zustimmung des Beklagten zu einer erstmals nach Übernahme des Mandats verlangten entsprechenden Vereinbarung hingegen kann keine vertragliche Pflichtverletzung des Klägers i.S.v. § 628 Abs. 1 S. 2 BGB begründen.

Selbst wenn man im Schreiben des Beklagten die konkludente Anforderung eines ergänzenden Vorschusses sehen wollte, wäre eine unmittelbare Kündigung ohne Einfluss auf den Gebührenanspruch nicht möglich.

Zahlt der Mandant den Vorschuss nicht und hat der Rechtsanwalt unter Fristsetzung die Kündigung angedroht, kann der Rechtsanwalt seinerseits das Mandat kündigen (Hartung/Schons/Enders/Enders, 3. Aufl. 2017, RVG § 9 Rn. 34).

Die vor der Beendigung des Mandats ausgeübten Tätigkeiten des Beklagten haben für den Kläger nach der Kündigung kein Interesse (§ 628 Abs. 1 S. 2 BGB).

Von einem entsprechenden Interessenwegfall für den Dienstberechtigten ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann auszugehen, wenn dieser die Leistung nicht mehr wirtschaftlich verwerten kann, sie also für ihn nutzlos geworden ist. Einer entsprechenden Lage sieht sich der Auftraggeber eines Rechtsanwalts gegenüber, wenn er wegen einer von seinem bisherigen Prozessbevollmächtigten grundlos ausgesprochenen Kündigung einen anderen Prozessbevollmächtigten neu bestellen muss, für den die gleichen Gebühren nochmals entstehen.

Die Aufwendungen für den zuerst bestellten Prozessbevollmächtigten sind dann für den Auftraggeber nutzlos geworden, der Vergütungsanspruch geht unter (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1976 – III ZR 110/74, WM 1977, 369, 371; vom 8. Oktober 1981 – IX ZR 190/79, NJW 1982, 437, 438; vom 7. Juni 1984 – III ZR 37/83, NJW 1985, 41).

Im Streitfall würde die abgerechnete Grundgebühr nebst Nebenkosten im fortlaufenden Strafverfahren bei Neumandatierung eines Rechtsanwalts erneut anfallen.

In diesem Fall verliert der kündigende Rechtsanwalt den Anspruch auf Zahlung der vor Kündigung angefallenen Gebühren.

Würde man dem Rechtsanwalt die Möglichkeit geben, durch die nach § 627 Abs. 1 BGB ohne das Vorliegen eines wichtigen Grundes zulässige Kündigung des Mandatsverhältnisses den Auftraggeber dem Risiko auszusetzen, dass er die gleichen Gebühren noch einmal entrichten muss, hätte der Anwalt ein Instrument, jederzeit höhere als die gesetzlichen Gebühren durchzusetzen.

Er könnte den Mandanten vor die Wahl stellen, entweder den Abschluss einer nachträglichen Gebührenvereinbarung zu akzeptieren oder einen neuen Anwalt beauftragen zu müssen, der die gleichen Gebühren noch einmal bekommt (Urteil vom 29. September 2011 – IX ZR 170/10 – Rn. 16. juris).

Die Klage hatte aus diesen Gründen Erfolg, die auf Zahlung der verbleibenden Gebühren aus der Liquidation vom 11.02.2021 gerichtete Widerklage war abzuweisen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Der Streitwert wird auf 660,45 EUR festgesetzt. (Klage: 500,00 EUR; Widerklage: 160,45 EUR)

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