Zusammenfassung:
Ist eine Person, die übliche Wegstrecken aufgrund eines eingeschränkten Sehvermögens nur unter besonderen Gefahren zurücklegen kann, erwerbsgemindert? Mit dieser Frage setzte sich das Landessozialgericht Baden-Württemberg im anliegenden Urteil auseinander. Das Landessozialgericht arbeitete heraus, welche Anforderungen an die Einschränkung des Sehvermögens zu stellen sind, um von einer Erwerbsminderung auszugehen. Damit griff es auch auf die Expertise eines Sachverständigen zurück, der die Einschränkungen des Klägers veranschaulichte.
Landessozialgericht Baden-Württemberg
Az: L 13 R 2903/14
Urteil vom 22.03.2016
Amtliche Leitsätze
Wer aufgrund eines eingeschränkten Sehvermögens die üblichen Wegstrecken (vgl. BSG, Urteil v. 12. Dezember 2011, B 13 R 21/10 R, Juris) nur unter einer besonderen Gefahr zurücklegen kann, ist erwerbsgemindert (vgl. BSG, Urteil v. 12. Dezember 2006, B 13 R 27/06 R, Juris).
Auf die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26. Mai 2014 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger bereits ab 1. Dezember 2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung bereits ab 1. Dezember 2011 anstatt der mittlerweile ab 1. Januar 2013 bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der 1956 geborene Kläger absolvierte eine Ausbildung zum Rundfunk- und Fernsehtechniker sowie zum Staatlich geprüften Heimerzieher. Zuletzt war er als Erzieher versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 10. Mai 2010 war er wegen erneuter depressiver Symptomatik (s. Berichte der A. K. O. vom 28. April 2008 und 18. November 2010) arbeitsunfähig erkrankt und erhielt ab 21. Juni 2010 Krankengeld. Ab 25. Oktober 2011 bezog der Kläger Arbeitslosengeld. Im November 2011 kam es zu einer Entzündung des Sehnervenkopfes an beiden Augen (Papillitis), die vom 18. bis 26. November 2011 im Städtischen Klinikum K. stationär behandelt wurde. Die Goldmann-Gesichtsfelduntersuchung ergab ein eingeschränktes Gesichtsfeld beidseits (siehe Bericht des Städtischen Klinikums K. vom 29. Dezember 2011, Bl. 299 ff. der Verwaltungsakten der Beklagten). Mit Bescheid des Landratsamtes K. vom 8. Mai 2012 wurde ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen GB und RF anerkannt.
Nachdem der Arbeitgeber – die Stadt K. – dem Kläger mit Schreiben vom 10. Januar 2012 empfohlen hatte, einen Rentenantrag zu stellen, kam der Kläger dem am 31. Januar 2012 nach. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 16. März 2012 beim Kläger einen Zustand nach beidseitiger Papillitis, psychopathische Persönlichkeitszüge, eine Alkoholabhängigkeit mit seit 2008 andauernder Karenz sowie eine Internet- und Sexsucht fest. Der Kläger könne noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Einschränkung vollschichtig ausüben.
Der Arzt für Orthopädie Dr. M. diagnostizierte im Gutachten vom 17. März 2012 ein chronisches LWS-, HWS- und BWS-Syndrom, ein Impingement- und Supraspinatussyndrom der Schulter sowie eine beidseitige Gonarthrose. Der Kläger könne noch leichte körperliche Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen sechs Stunden und mehr täglich ausüben.
Der Arzt für Innere Medizin und Sozialmedizin L. stellte beim Kläger in seinem zusammenfassenden Gutachten vom 2. April 2012 fest, der Kläger könne seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Erzieher nur noch unter drei Stunden täglich ausüben. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes seien unter Beachtung qualitativer Einschränkungen jedoch noch sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten.
Mit Bescheid vom 5. April 2012 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da der Kläger Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig verrichten könne. Hiergegen erhob der Kläger am 24. April 2012 Widerspruch. Er machte einen qualifizierten Berufsschutz geltend. Aufgrund der Sehminderung seien ihm Tätigkeiten nicht mehr möglich. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch die Augenärztin Dr. S. In ihrem Gutachten vom 14. Juli 2012 diagnostizierte sie beim Kläger eine partielle postneuritische Optikusatrophie, eine Myopie sowie eine Presbyopie mit geringem Astigmatismus. Der Kläger könne seinen bisherigen Beruf nur noch unter dreistündig täglich ausüben. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestünde ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Tätigkeiten mit hohen Sehanforderungen könnten nicht verrichtet werden. Der Kläger sei nicht fahrtüchtig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger sei auch nicht berufsunfähig, da er auf die Tätigkeit des Poststellenmitarbeiters zumutbar verwiesen werden könne.
Der Kläger hat am 5. Oktober 2012 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Im Hinblick auf die seit Jahren chronifizierte psychische Gesamtsituation sei durch das Hinzutreten der Augenerkrankung eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wie auch eine Verweisungstätigkeit nicht mehr zu leisten. Das SG hat von den behandelnden Ärzten schriftliche sachverständige Zeugenaussagen eingeholt. Der Arzt für Orthopädie Dr. F. hat ausgesagt, der Kläger könne körperlich leichte und nervlich wenig belastende Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Der Augenarzt Dr. T. hat mitgeteilt, der Kläger könne aufgrund der Gesichtsfeldausfälle und -einschränkungen eine körperlich leichte Tätigkeit nicht mehr sechs Stunden arbeitstäglich leisten. Der Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. R.-S. hat ausgeführt, der Kläger habe die Einschränkungen seiner Sehfähigkeit psychisch nicht verkraftet. Der Kläger sei nur zwei bis drei Stunden täglich einsatzfähig.
Das SG hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines augenärztlichen Gutachtens bei Prof. Dr. R. Im Gutachten vom 22. Juli 2013 hat der gerichtliche Sachverständige beim Kläger an beiden Augen eine Optikusatrophie nach ischämischer Optikusneuropathie, einen Gesichtsfeldausfall mit fast vollständigem Verlust der unteren Gesichtsfeldhälfte, eine leicht reduzierte Sehschärfe, eine Myopie sowie einen Astigmatismus festgestellt. Die genannte Verweisungstätigkeit in der Poststelle sei in normalem Umfang nicht denkbar. Gewisse Teilarbeiten, wie reines Öffnen von Briefen oder das Anbringen eines Eingangsstempels könnten verrichtet werden. Ein zügiges Sortieren von Briefen sei nicht, ein Erfassen am Computer nur eingeschränkt möglich. Mit qualitativen Einschränkungen könne der Kläger aber vollschichtig arbeiten. Der Gesichtsfeldausfall erschwere deutlich die Orientierung; z.B. allein das Einsteigen in einen Bus über die Stufen am Einstieg sei gefährlich erschwert. Aus diesem Grunde sei auch die Absolvierung einer Gehstrecke von 500 m nicht sicher mehrfach täglich in der üblicherweise veranschlagten Zeit von 20 Minuten zu absolvieren. Spätestens seit dem 5. Dezember 2011 sei eine Funktionseinschränkung im jetzigen Ausmaß anzunehmen. An diesem Tage sei bei Prof. A. (Städtisches Klinikum K.) eine kinetische Perimetrie am Goldmann-Perimeter durchgeführt worden, der sogar einen schwerwiegenderen Befund als bei der jetzigen Untersuchung ergeben habe.
Die Beklagte hat die beratungsärztliche Stellungnahme des Sozialmediziners Dr. S. vom 26. August 2013 vorgelegt, zu der Prof. Dr. R. ergänzend befragt worden ist. In seiner Stellungnahme vom 16. September 2013 ist Prof. Dr. R. bei seiner Auffassung verblieben. Es sei kaum vorstellbar, dass der Kläger ohne Gefährdung öffentliche Verkehrsmittel benutzen könne.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2013 einen Vergleich angeboten, nach der sie ab 1. Januar 2013 volle Erwerbsminderungsrente auf Dauer gewähre. Dieses Angebot hat der Kläger nicht angenommen.
Mit Urteil vom 26. Mai 2014 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 5. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2012 verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Januar 2012 auf Dauer zu gewähren. Die Wegeunfähigkeit sei spätestens am 24. November 2011 eingetreten. Das SG hat sich auf das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen gestützt. Das Gutachten der Dr. S. gehe auf die rentenrelevante Wegefähigkeit nicht umfassend ein, sondern führe nur aus, dass eine Fahrtüchtigkeit nicht bestehe. Das Urteil ist dem Kläger am 11. Juni 2014, der Beklagten am 17. Juni 2014 zugestellt worden.
Die Beklagte hat am 10. Juli 2014 Berufung eingelegt. Sie hat den Rentenbescheid vom 31. Juli 2014 vorgelegt, nach dem die Beklagte dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. Januar 2013 gewährt. Die Beurteilung durch Prof. Dr. R. überzeuge nicht. So habe der Kläger z.B. bei Dr. B. ausreichend dargelegt, dass er in seiner Wegefähigkeit nicht eingeschränkt sei. Das Alltagsverhalten des Klägers in der Zeit nach November 2011 widerlege die Auffassung von Prof. Dr. R., dass beim Kläger eine rentenrelevante Funktionseinschränkung anzunehmen sei. Ein Nachweis, dass vor dem wohlwollend angenommenen Leistungsfall im Vergleichsvorschlag ein früherer Leistungsfall eingetreten ist, sei bisher nicht erbracht worden.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26. Mai 2014 insoweit aufzuheben und die Klage abzuweisen, als sie verurteilt worden ist, vom 1. Januar bis 31. Dezember 2012 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren sowie die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26. Mai 2014 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung bereits ab dem 1. Dezember 2011 zu gewähren sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Das SG habe die Beklagte zu Recht verurteilt, ausgehend von einem Leistungsfall am 24. November 2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren. Hieraus ergäbe sich jedoch bereits ein Anspruch auf Rente gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI ab 1. Dezember 2011, weshalb Anschlussberufung erhoben werde (Schriftsatz vom 10. September 2014).
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines weiteren Gutachtens von Prof. Dr. R. Im Gutachten vom 28. Juli 2015 hat der gerichtliche Sachverständige ausgeführt, dass die Tätigkeit als Poststellenmitarbeiter nicht dem positiven Leistungsbild des Klägers entspreche. Der Kläger sei nicht in der Lage, in üblicher Zeit eine entsprechende Tätigkeit auszuüben. Nach den vorliegenden Unterlagen sei bereits ab November 2011 von einer entsprechend eingeschränkten Wegefähigkeit auszugehen, wie er es auch gegenüber dem SG deutlich dargelegt habe. Dennoch habe der Kläger anlässlich der Begutachtung durch Dr. B. im März 2012 angegeben, noch allein einzukaufen, selbstständig zu Fuß zum Untersuchungstermin erschienen zu sein und auch viel spazieren zu gehen. Insofern sei zumindest nicht mit der genügenden an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Einschränkung der Wegefähigkeit bereits vor der Untersuchung im Juni 2013 bestanden habe.
Der Senat hat hierauf erneut Prof. Dr. R. dazu befragt, ob der Kläger die Normstrecken lediglich unter Gefährdung in besonderer, mehr als üblicher Weise, zurücklegen konnte, wobei sich aus angegebenen Verrichtungen nicht ableiten lasse, dass sie auch ohne besondere Gefahr gewesen sind. Hierauf hat Prof. Dr. R. unter dem 22. November 2015 dargelegt, dass der beim Kläger sehr ausgeprägt vorliegende Gesichtsfeldausfall zu einer deutlich erhöhten Gefährdung im Straßenverkehr sowie bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel geführt habe. Eine zusätzliche Erschwernis sei bei schlechten Beleuchtungssituationen, wie Nebel oder Dunkelheit, gegeben, sodass der Kläger selbst Bordsteinkanten oder Treppenstufen nicht sicher erkennen könne. Insgesamt stehe außer Frage, dass der Kläger in seiner Gehfähigkeit erheblich reduziert gewesen sei und ohne Gefährdung in besonderer Weise alleine keine öffentlichen Verkehrsmittel habe benutzen können. In gleicher Weise habe die Sehbehinderung dazu geführt, dass der Kläger eine Wegstrecke von 500 m nicht in der üblicherweise veranschlagten Zeit von 20 Minuten sicher habe absolvieren können. Diese Einschränkung habe ab November 2011 auf Dauer vorgelegen.
Hierauf hat die Beklagte die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. S. vom 4. Februar 2016 vorgelegt, der die in den Vordergrund gerückte Gefährdung überbewertet sieht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Die zulässige unselbständige Anschlussberufung des Klägers ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund eines Leistungsfalles am 24. November 2011 bereits ab 1. Dezember 2011. Das SG hat den den Rentenantrag ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 5. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2012 deshalb zu Recht aufgehoben.
Wegen der Rechtsgrundlagen und der Beweiswürdigung wird auf das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26. Mai 2014 verwiesen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§ 153 Abs. 2 SGG). Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Kläger wegen einer eingeschränkten Wegefähigkeit seit 24. November 2011 voll erwerbsgemindert ist. Nach der Rechtsprechung des BSG gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 9. August 2001, B 10 LW 18/00 R, Juris). Eine Einschränkung der Wegefähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte nicht mehr in der Lage ist, täglich viermal Wegstrecken von knapp mehr als 500 m mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011, B 13 R 21/10 R, Juris). In seiner Entscheidung vom 12. Dezember 2006 hat das BSG auch zutreffend darauf hingewiesen, dass in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr auch derjenige erheblich beeinträchtigt ist, der nicht ohne -besondere- Gefahr für sich oder andere die Fußwege zurückzulegen vermag und hat sich hierbei überzeugend auch auf die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht gestützt (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2006, B 13 R 27/06 R, Juris).
Hiernach hat der Gutachter Prof. Dr. R. für den Senat schlüssig und nachvollziehbar herausgearbeitet, dass der Kläger seit der am 24. November 2011 durchgeführten Gesichtsfelduntersuchung mit Feststellung der Außengrenzen (Marke III/IV nach Goldmann; siehe Bl. 307 ff. der Verwaltungsakten der Beklagten) nachweislich nicht mehr in der Lage war, ohne besondere Gefahr für sich die Normstrecken zurückzulegen. Der Kläger kann sich hiernach aufgrund seiner erheblichen Gesichtsfeldeinschränkung nicht in üblicher Sicherheit alleine im öffentlichen Verkehrsraum bewegen, in 20 Minuten 500 m absolvieren und öffentliche Verkehrsmittel benutzen. So hat der Gutachter auch darauf hingewiesen, dass Probleme schon darin bestehen, dass der Kläger Hindernisse nicht bemerkt, die im öffentlichen Verkehrsraum unverhofft auf dem Boden stehen. Plastisch hat Prof. Dr. R. ausgeführt, dass der Kläger seinen Kopf so weit senken müsse, dass er seine Fußspitzen direkt anschaue, was aber dazu führe, dass er wiederum über dem Boden liegende Hindernisse, wie z.B. Fensterbänke nicht mehr erkenne, sodass es undenkbar sei, dass der Kläger eine Straße sicher überqueren könne. Zur sicheren Teilnahme am Straßenverkehr sei eine Begleitperson erforderlich. Dies überzeugt den Senat. Die dagegen von der Beklagten vorgebrachten Einwände hingegen nicht. Aus den z.B. bei Dr. B. angegebenen Verrichtungen (er komme aus der Weststadt, 15 Minuten zu Fuß, den Haushalt mache er komplett, die Einkäufe zu Fuß, er habe ja auch die Termine seiner Selbsthilfegruppe, er könne auch jetzt an PC-Spielen hängenbleiben) folgt nicht, dass der Kläger ohne besondere Gefahr die rentenrelevanten Normstrecken zurücklegen kann. Dies hat der gerichtliche Sachverständige für den Senat noch einmal in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22. November 2015 eindeutig klargestellt, nachdem er in seinem Gutachten vom 28. Juli 2015 eine andere Beweiswürdigung -die den Senat im Übrigen nicht binden würde- vorgenommen hat. Bestätigt wird die Feststellung auch durch die Zuerkennung der Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und B (Notwendigkeit ständiger Begleitperson) durch das Landratsamt K. Das Gutachten der Dr. S. widerspricht dem nicht, da es sich zu den Normstrecken nicht äußert. Da der Kläger nach den schlüssig und nachvollziehbaren Ausführungen der Gutachter im Verwaltungsverfahren die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Erzieher nicht mehr verrichten kann, konnte auch dahingestellt bleiben, ob es dem Kläger ohne besondere Gefahr möglich ist, seine letzte Arbeitsstelle -das Arbeitsverhältnis ist erst mit Zuerkennung einer Dauerrente beendet (s. Blatt 115 der Verwaltungsakten der Beklagten)- aufzusuchen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 28. August 2002, B 5 RJ 12/02 R, Juris). Eine Besserung ist unwahrscheinlich, eine Rehabilitationsmaßnahme, die den Kläger in die Lage versetzt, einen Arbeitsplatz ohne besondere Gefahr zu erreichen, ist nicht ersichtlich und auch von der Beklagten nicht einmal in Aussicht gestellt (s. hierzu BSG, Urteil vom 21. März 2006, B 5 RJ 51/04 R, Juris).
Der Kläger ist auch vor dem 24. November 2011 erwerbsfähig gewesen. Vor der Augenerkrankung konnte der Kläger die von der Beklagten benannte zumutbare Verweisungstätigkeit als Poststellenmitarbeiter (s. hierzu erkennender Senat, Urteil vom 25. September 2012, L 13 R 4924/09, Juris) vollschichtig verrichten und die rentenrelevante Normstrecken zurücklegen. Dies ergibt sich für den Senat aus den schlüssig und nachvollziehbaren Gutachten der Dres. B., M. und L. Bestätigt wird diese Einschätzung auch durch die Aussagen der behandelnden Ärzte. Dr. F. hat eine leichte Tätigkeit vollschichtig für möglich erachtet. Dr. R.-S. hat darauf hingewiesen, dass der Kläger (erst) die Augenerkrankung psychisch nicht verkraftet hat.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind erfüllt, da der Kläger vor dem Eintritt der Erwerbsminderung 36 Pflichtbeitragsmonate im Fünfjahreszeitraum (§ 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI) aufzuweisen und die allgemeine Wartezeit (§ 50 Abs. 1 SGB VI) erfüllt hat (s. Versicherungsverlauf im Rentenbescheid vom 31. Juli 2014).
Nachdem der Leistungsfall am 24. November 2011 nachgewiesen ist, der Antrag binnen dreier Monate gestellt worden ist, besteht gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI ein Anspruch des Klägers auf volle Erwerbsminderungsrente bereits ab 1. Dezember 2011, da zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren. Demnach ist die unselbständige Anschlussberufung auch begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass der Kläger mit der Rechtsverfolgung Erfolg und die Beklagte Anlass zur Klageerhebung gegeben hat.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.