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Eintragung Restschuldbefreiung in Datenbanken von Auskunfteien über Löschungsfrist hinaus

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 17 U 15/21 – Urteil vom 02.07.2021

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 12. Februar 2021 dahin abgeändert, dass das Versäumnisurteil vom 17. September 2020 aufgehoben und die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt wird,

a) den in ihrer Datenbank enthaltenen Eintrag über den Kläger mit folgendem Wortlaut:

3. Restschuldbefreiung erteilt

Diese Information stammt aus den Veröffentlichungen der Insolvenzgerichte. Zu diesem Insolvenzverfahren wurde uns die Erteilung der Restschuldbefreiung mitgeteilt.

Aktenzeichen: …

Datum des Ereignisses: …

zu löschen;

b) es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes in Höhe von höchstens 25.000,00 Euro oder für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, ersatzweise Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken gegen eines der Mitglieder des Vorstandes der Beklagten, zu unterlassen, den unter Ziffer 1. des Tenors genannten Eintrag erneut zu speichern;

c) an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 887,03 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. März 2020 zu zahlen.

2. Die Kosten beider Rechtszüge trägt die Beklagte mit Ausnahme der aufgrund der Säumnis des Klägers erstinstanzlich entstandenen Kosten, die dem Kläger zur Last fallen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 150,00 vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Löschung personenbezogener Daten aus der Datenbank der Beklagten.

Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft und betreibt ein Bonitätsinformationssystem, welches auf der Sammlung, Speicherung, Verarbeitung und Weitergabe von Wirtschaftsdaten natürlicher und juristischer Personen aufbaut. Diese Daten sollen insbesondere Kreditgeber vor Verlusten im Kreditgeschäft mit potentiellen Kreditnehmern schützen.

Der Kläger beantragte nach einer gescheiterten Selbstständigkeit im September 2013 die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über sein Privatvermögen. Das Insolvenzverfahren wurde durchgeführt und dem Kläger wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom … die Restschuldbefreiung erteilt. Diese Information wurde auf dem zentralen und länderübergreifenden Internetportal www.insolvenzbekanntmachungen.de veröffentlicht und von dort von der Beklagten erhoben. Die Beklagte speicherte mit Datum vom 10. Oktober 2019 die Information über die Erteilung der Restschuldbefreiung in ihrer Datenbank, um sie im Falle einer Anfrage zum Kläger einem Dritten mitzuteilen.

Der Kläger erlangte von der Beklagten eine Selbstauskunft vom 21. Oktober 2019. Mit Schreiben vom 27. November 2019 (Anlage K4) forderte sein Prozessbevollmächtigter die Beklagte zur Löschung des Eintrags auf. Die Beklagte verweigerte dies mit Schreiben vom 19. Dezember 2019 (Anlage K5).

Auf eine Wohnungsanfrage des Klägers erhielt er von einem Vermieter am 22. Oktober 2020 (Anlage K11, Bl. 421 d.A.) die Antwort, dass man ihm keine Wohnung vermieten könne, da „Ihre Schufa“ gesperrt sei.

Der Kläger hat behauptet, die Speicherung der Restschuldbefreiung im Datenbestand der Beklagten führe bei ihm zu erheblichen wirtschaftlichen und finanziellen Nachteilen. Eine uneingeschränkte Teilhabe am Wirtschaftsleben sei ihm nicht möglich. Der Kläger könne aufgrund des Eintrags kein Darlehen aufnehmen, keinen Mietkauf tätigen und keine Wohnung anmieten. Derzeit könne er nicht einmal ein Bankkonto eröffnen. Der Kläger ist der Auffassung gewesen, der Eintrag sei aufgrund seines Widerspruchs zu löschen

Der Kläger hatte mit seiner Klage zunächst beantragt,

1. Die Beklagte wird verurteilt, den in ihrer Datenbank enthaltenen Negativeintrag über den Kläger mit folgendem Wortlaut:

3. Restschuldbefreiung erteilt

Diese Information stammt aus den Veröffentlichungen der Insolvenzgerichte. Zu diesem Insolvenzverfahren wurde uns die Erteilung der Restschuldbefreiung mitgeteilt.

Aktenzeichen: …

Datum des Ereignisses: …

zur Löschung zu bringen.

2. Die Beklagte wird dazu verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes in Höhe von wenigstens 5,00 € und höchstens 250.000,00 € oder für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken gegen eines der Mitglieder der Geschäftsführung, es zu unterlassen, den im Antrag zu 1) genannten Ertrag erneut zu veranlassen und zu speichern.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger den verbleibenden Rest der entstandenen Geschäftsgebühr gemäß §§ 13, 14 Nr. 2300 VV RVG in Höhe von 787,42 € nebst fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hatte beantragt, die Klage abzuweisen.

In der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht hatte der Kläger zunächst keinen Antrag gestellt, sodass auf Antrag der Beklagten ein klagabweisendes Versäumnisurteil ergangen war. Gegen das Versäumnisurteil legte der Kläger Einspruch ein.

Der Kläger hat beantragt, das Versäumnisurteil aufzuheben und wie mit der Klage angekündigt zu erkennen.

Die Beklagte hat beantragt, das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.

Das Landgericht hat das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Der Kläger habe keinen Anspruch aus §§ 823, 1004 BGB, Art 17 Abs. 1, 6 DSGVO (Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)). Die Speicherung der Daten des Klägers sei nicht rechtswidrig. Die Speicherung der Daten für einen Zeitraum von drei Jahren durch die Beklagte sei auch nicht unverhältnismäßig. Die Speicherung sei zur Wahrung der Interessen der Beklagten und ihrer Mitglieder erforderlich und damit zulässig. Die vom Kläger geltend gemachten überwiegenden Interessen und vorrangigen berechtigten Gründe an einer Löschung habe der Kläger nicht hinreichend darlegt und bewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und der Begründung wird auf das angefochtene Urteil nach § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO verwiesen.

Der Kläger rügt mit der Berufung, das Landgericht habe keine Abwägung zu der Frage vorgenommen, ob überhaupt eine rechtmäßige Datenverarbeitung seitens der Beklagten nach Art. 6 Abs. 1 lit f) DSGVO vorliege. Das habe die Beklagte nachzuweisen und nicht der Kläger. Ein berechtigtes Interesse der Beklagten an der Datenverarbeitung sei auch nicht erkennbar. Es sei zudem zu hinterfragen, ob die Restschuldbefreiung tatsächlich ein wichtiges Merkmal zur Bonitätseinschätzung sei. Das Insolvenzverfahren dauere in Deutschland schließlich sechs Jahre und damit im europäischen Vergleich recht lang. Rechne man dann noch die Löschungsfrist von drei Jahren bei der Beklagten hinzu, ergebe sich eine Beeinträchtigung des Betroffenen bei Bonitätsabfragen über mindestens neun Jahre.

Es gebe auch keine Notwendigkeit nach Art.  Abs. 1 lit a) DSGVO, die Daten über den Betroffenen weiterhin zu speichern. § 2 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet (InsoBekVO) sehe eine Löschung im Internetportal nach sechs Monaten vor. Es sei nicht ersichtlich, warum einer privaten Stelle eine längere Dauer der Speicherung, Verarbeitung und Verbreitung erlaubt sein solle. Auch der Verhaltenskodex der Wirtschaftsauskunfteien entfalte keine Erlaubniswirkung für die Verarbeitung.

Innerhalb der Gesetzgebung werde derzeit eine Verkürzung der Speicherfristen bei Wirtschaftsauskunfteien auf ein Jahr diskutiert. Bei der Diskussion über ein Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens (BT-Drs. 19/21981) sei vom Bundesrat (BT-Drs. 19/22773) eine Empfehlung abgegeben worden, die Speicherfrist bei Auskunfteien auf ein Jahr zu begrenzen.

Das Landgericht hätte einen Löschungsanspruch bei ordnungsgemäßer Abwägung aufgrund der besonderen Situation des Klägers und seines Widerspruchs bejahen müssen.

Der Kläger beantragt:

1. Das Versäumnisurteil des Landgericht Kiel vom .09.2020 – 11 O 21/20 sowie das dieses bestätigende Urteil vom 12.02.2021 werden aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den in ihrer Datenbank enthaltenen Negativeintrag über den Kläger mit folgendem Wortlaut:

3. Restschuldbefreiung erteilt

Diese Information stammt aus den Veröffentlichungen der Insolvenzgerichte. Zu diesem Insolvenzverfahren wurde uns die Erteilung der Restschuldbefreiung mitgeteilt.

Aktenzeichen: …

Datum des Ereignisses: …

zur Löschung zu bringen.

3. Die Beklagte wird dazu verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes in Höhe von wenigstens 5,00 Euro und höchstens 250.000,00 Euro oder für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken gegen eines der Mitglieder der Geschäftsführung, es zu unterlassen, den im Antrag zu 1) genannten Eintrag erneut zu veranlassen und zu speichern.

4. Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger den verbleibenden Rest der entstandenen Geschäftsgebühr gemäß §§ 13, 14 Nr. 2300 VV RVG in Höhe von 890,30 Euro nebst fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens. Mit der Einführung der DSGVO sei kein Paradigmenwechsel in Bezug auf Löschungsverpflichtungen erfolgt. Bei der Frage der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung habe stets eine Interessenabwägung zu erfolgen. Als Rechtsgrundlage für den Kläger komme allenfalls Art.  Abs. 1 DSGVO in Betracht. Dazu müsse der Kläger einen Löschungsgrund vortragen und beweisen. Ein solcher liege nicht vor. Die Beklagte müsse nur ihre berechtigten Interessen an der Verarbeitung darlegen und beweisen. Nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO sei die Verarbeitung rechtmäßig, da die Verarbeitung nicht nur im Interesse der Beklagten, sondern vor allem ihrer Vertragspartner liege. Eine Löschung der Information über die Restschuldbefreiung würde faktisch zu einer Gleichstellung des Klägers mit stets unbescholtenen Personen führen, was sachlich nicht gerechtfertigt sei. Im Übrigen habe der Kläger seine überwiegenden Interessen nicht glaubhaft gemacht und bewiesen.

Derzeit sei es so, dass die Beklagte die Auskunft über den Kläger dergestalt erteile, dass eben nur die Information zur Restschuldbefreiung über den Kläger vorhanden sei. Allerdings habe es seit Eintragung dieser Information in der Datenbank der Beklagten keine Anfragen zum Kläger gegeben.

Die Beklage hat im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 12. Juni 2021 nach der mündlichen Verhandlung vor dem Senat behauptet, die Speicherung sei für drei Jahre erforderlich und erst danach entfalle der Zweck der Verarbeitung, nämlich die Bonitätsbewertung. Die Auswertung des Datenbestandes bei der Beklagten habe gezeigt, dass es bei Schuldnern, denen eine Restschuldbefreiung erteilt worden sei, in den ersten drei Jahren nach Restschuldbefreiung etwa drei bis sechsmal häufiger zu einer ersten Zahlungsstörung komme. Die Beklagte lösche auch Informationen über andere offene Forderungen erst drei Jahre, nachdem diese erledigt worden seien. Daher finde hier eine Gleichbehandlung statt. Der Gesetzgeber habe sich im Rahmen der Verkürzung des Insolvenzverfahrens mit einer Verkürzung der Speicherfristen für Auskunfteien beschäftigt und sich entschlossen, eine solche nicht gesetzlich vorzunehmen. Der Kläger hat das Vorbringen der Beklagten aus dem Schriftsatz vom 12. Juni 2021 als verspätet gerügt.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 4. Juni 2021 (Bl. 552-554 d.A.) verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat weit überwiegend Erfolg und führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils.

1.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Löschung der Information über seine Restschuldbefreiung im Privatinsolvenzverfahren aus Art. 17 Abs. 1 lit d) DSGVO, da die Datenverarbeitung durch die Beklagte nicht rechtmäßig erfolgt.

Die Daten werden von der Beklagten spätestens mit Ablauf von sechs Monaten nach der Rechtskraft der Restschuldbefreiung nicht mehr rechtmäßig verarbeitet, da die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Verarbeitung im Sinne von § 6 DSGVO spätestens ab diesem Zeitpunkt nicht mehr vorliegen. Für die Voraussetzungen des Löschungsanspruchs kommt es auf den Zeitpunkt der Prüfung des Löschungsanspruchs und nicht etwa den Erhebungszeitpunkt an (Auernhammer, DSGVO/BDSG, Art. 17 DSGVO, Rn. 32). Das genaue Datum der Rechtskraft des Restschuldbefreiungsbeschlusses ist dem Senat zwar nicht bekannt. Der Senat ist jedoch davon überzeugt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 11. September 2019 vor der mündlichen Verhandlung des Landgerichts vom 21. Januar 2021 rechtskräftig geworden ist.

Da der Kläger gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg keine sofortige Beschwerde eingelegt hat und Anträge auf Versagung der Restschuldbefreiung ausweislich des Beschlusses nicht gestellt wurden, dürfte die Entscheidung bereits spätestens Ende Oktober 2019 rechtskräftig geworden sein. Da der genaue Tag der Verkündung oder Veröffentlichung dem Senat aber nicht bekannt ist, lässt sich das genaue Datum derzeit nicht feststellen. Die Beklagte teilte in der Auskunft vom 17. Januar 2020 (Anlage K2) jedoch mit, sie habe die Information aus den Veröffentlichungen der Insolvenzgerichte, und damit war die Entscheidung spätestens mit Ablauf des 3. Februar 2020 rechtskräftig. Die Verarbeitung war daher zur Überzeugung des Senats spätestens sechs Monate nach Rechtskraft der Entscheidung, also seit dem 4. August 2020 und damit vor der mündlichen Verhandlung des Landgerichts, nicht mehr rechtmäßig.

Eine Verarbeitung der personenbezogenen Daten des Klägers durch die Beklagte (hierzu unter a.) ist grundsätzlich nur dann im Sinne von Art. 6 DSGVO rechtmäßig, wenn eine gesetzliche Grundlage für die Datenverarbeitung besteht oder der Kläger in die Datenverarbeitung eingewilligt hat. Da der Kläger in die Verarbeitung nicht eingewilligt hat, kommen als Rechtsgrundlage für eine rechtmäßige Verarbeitung durch die Beklagte allenfalls Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit e) DSGVO (hierzu unter b) oder und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit f) DSGVO (hierzu unter c.) in Betracht, deren Voraussetzungen vorliegend jedoch zur Überzeugung des Senats nicht zugunsten der Beklagten erfüllt sind.

a.

Die Erhebung, Speicherung und Weitergabe der Information über den Beschluss der Restschuldbefreiung des Amtsgerichts Hamburg für den Kläger stellt offenkundig eine Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Beklagte im Sinne von Art. 4 DSGVO dar. Die Beklagte ist daher Verantwortliche im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DSGVO.

b.

Die Rechtmäßigkeit einer Verarbeitung ergibt sich zur Überzeugung des Senats nicht bereits aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit e) DSGVO wegen Erforderlichkeit zur Wahrnehmung einer Aufgabe im öffentlichen Interesse oder in Ausübung öffentlicher Gewalt.

Unstreitig wurde der Beklagten nicht die Ausübung öffentlicher Gewalt übertragen (vgl. LG Frankfurt a.M., Urteil vom 20. Dezember 2018 – 2/5 O 151/18 – NZI 2019, 342). Die Verarbeitung ist jedoch auch nicht zur Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich, die im öffentlichen Interesse liegt. Zwar ist der Beklagten noch insoweit zuzustimmen, dass der Schutz vor der Vergabe von Darlehen an Zahlungsunfähige oder -unwillige durchaus ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit darstellen kann (BGH, Urteil vom 7. Juli 1983 – III ZR 159/82 -, NJW 1984, 436; LG Frankfurt a.M. a.a.O; LG Aschaffenburg, Urteil vom 7. Oktober 2020 – 15 O 46/20 – ZD 2021, 214; LG Heilbronn, Urteil vom 11. April 2019 – 13 O 140/18 . ZD 2020, 256)). Auch liegt es sicherlich im Interesse der Kunden der Beklagten, möglichst viele wirtschaftlich relevante Daten über ihre Kunden zu erfahren.

Ein öffentliches Interesse gerade an der Verarbeitung der Information über die Restschuldbefreiung ergibt sich hieraus jedoch nicht. Während es noch – wie erwähnt – sein mag, dass der Geschäftszweck der Beklagten allgemein im öffentlichen Interesse liegt, ist nicht erkennbar, dass das konkrete Datum erforderlich wäre, damit die Beklagte ihre Aufgabe im Wirtschaftsleben überhaupt wahrnehmen kann. Die Beklagte kann weiterhin insbesondere solche Daten verarbeiten, welche sie mit Einwilligung des Betroffenen bei ihren Kunden und Vertragspartnern erhoben hat. Nicht jede personenbezogene Information ist aber auch erforderlich, damit die Beklagte als Wirtschaftsauskunftei weiterhin tätig sein kann. Anderenfalls ließe sich schlicht jede Verarbeitung aller personenbezogenen und wirtschaftlich relevanten Informationen über Art. 6 Abs. 1 lit e) DSGVO damit rechtfertigen, dass eine breit aufgestellte und bestens informierte Wirtschaftsauskunftei stets im öffentlichen Interesse tätig sei.

Die Rechtmäßigkeit einer Verarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 lit e) DSGVO scheitert jedoch insbesondere daran, dass die Verarbeitung nicht durch eine weitere Rechtsgrundlage nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 lit b) DSGVO geregelt und nach einer solchen Rechtsvorschrift zulässig ist. Eine Datenverarbeitung kann nach Art. 6 Abs. 1 lit e) DSGVO nämlich nur dann rechtmäßig sein, wenn eine gesonderte Rechtsgrundlage für die Verarbeitung festgelegt wurde und die Verarbeitung nach dieser Rechtsgrundlage sich als rechtmäßig darstellt (vgl. Kühling/Buchner, DS-GVO-BDSG, 2. Auflage, Art. 6 DSGVO, Rn. 120). Die im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe muss schließlich durch Rechtsvorschrift im Sinne von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 lit b) DSGVO definiert werden (Kühling/Buchner, a.a.O., Rn. 114). Dieses Erfordernis folgt nicht nur aus der DSGVO, sondern im Bereich der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben bereits aus dem Gesetzesvorbehalt aus Art. 20 Abs. 2 GG. Eine besondere gesetzliche Regelung für die Tätigkeit von Wirtschaftsauskunfteien ist in der deutschen Rechtsordnung nach Außerkrafttreten des BDSG in der bis 25. Mai 2018 gültigen Fassung jedoch bisher nicht erfolgt. Daher kommt allenfalls § 3 InsoBekV als eine solche Rechtsgrundlage für die hier vorliegende Datenverarbeitung in Betracht. Nach dieser Vorschrift sind die Informationen über die Restschuldbefreiung jedoch sechs Monate nach Rechtskraft der Entscheidung zu löschen, so dass die weitere Verarbeitung dieser Informationen durch die Beklagte nicht zur Wahrnehmung einer Aufgabe im öffentlichen Interesse im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit e) DSGVO erforderlich sein kann.

c.

Die Datenverarbeitung durch die Beklagte stellt sich auch nicht nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit f)

DSGVO zur Wahrung berechtigter Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten als rechtmäßig dar.

Die Verarbeitung der Informationen über die Restschuldbefreiung durch die Beklagte ist zur Überzeugung des Senats zumindest nach Ablauf der Löschungsfrist in § 3 InsoBekV nicht zur Wahrung von berechtigten Interessen der Beklagten (hierzu unter aa.) oder eines Dritten (hierzu unter bb.) erforderlich. Auch die „Verhaltensregeln für die Prüf- und Löschfristen von personenbezogenen Daten durch die deutschen Wirtschaftsauskunfteien vom 25.05.2018“ (im Folgenden: Verhaltensregeln) des Verbandes „Die Wirtschaftsauskunfteien e.V.“ vermögen das Interesse der Beklagten an der Verarbeitung nicht im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit f) DSGVO legitimieren (hierzu unter cc.).

aa.

Die Beklagte konnte nicht mit Erfolg darlegen, dass die Datenverarbeitung zur Wahrung ihrer eigenen berechtigten Interessen erforderlich ist.

Da eine jede Verarbeitung personenbezogener Daten zunächst unzulässig ist, hat die Beklagte darzulegen und zu beweisen, dass die vom Kläger beanstandete Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten zur Wahrung der berechtigten Interessen der Beklagten erforderlich ist und damit rechtmäßig sein könnte. Das berechtigte Interesse im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit f) DSGVO ist dabei grundsätzlich weit zu fassen. Als Interesse dürfte zunächst ein jedes rechtliches, tatsächliches, wirtschaftliches oder ideelles Interesse des Verantwortlichen ausreichen (vgl. Kühling/Buchner, a.a.O., Rn. 146; Auernhammer, DSGVO/BDSG, 7. Auflage, Art. 6 DSGVO, Rn. 72; BeckOK Datenschutzrecht, Wolff/Brink, 36. Edition, Rn. 49; Schaffland/Holthaus in: Schaffland/Wiltfang, DS-GVO/BDSG, Art. 6 DSGVO, Rn. 119 – juris; Frenzel in: Paal/Pauly, DSGVO, 3. Auflage, Rn. 26 ff.). Es ist in der Literatur allerdings anerkannt, dass es sich um ein berechtigtes Interesse handeln muss, so dass solche Interessen an einer Verarbeitung ausscheiden, welche der Rechtsordnung im weitesten Sinne zuwiderlaufen (vgl. Ehmann/Selmayr-Heberlein, Datenschutz-Grundverordnung, 12. Auflage, Art. 6, Rn. 25; Auernhammer, a.a.O., Rn. 76; Gola, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Auflage, Art. 6, Rn. 57 jeweils mit weiteren Nachweisen; Tavanti, RDV 2016, 295). Zudem ist die Auslegung des Begriffes kontextabhängig, so dass das wirtschaftliche Interesse an einer Vermarktung die Verarbeitung nicht legitimieren kann, wenn die Information nicht zu diesem Zweck erhoben wurde (Paal/Pauly, a.a.O.).

Die Beklagte hat zwar unter Berücksichtigung der vorgenannten Maßstäbe ein eigenes Interesse an einer Datenverarbeitung darlegen können, allerdings handelt es sich nicht um ein berechtigtes Interesse im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit f) DSGVO, da es der grundsätzlichen gesetzgeberischen Wertung in § 3 InsoBekV zuwiderläuft.

Ein grundsätzliches Interesse der Beklagten an der Speicherung der Information der Restschuldbefreiung ist gegeben, da es sich um ein wirtschaftlich relevantes Datum handelt und die Beklagte nach ihrem Geschäftszweck solche Daten verarbeitet. Die Beklagte macht auch nachvollziehbar geltend, dass die Speicherung der Information über die Restschuldbefreiung über den Zeitraum der Veröffentlichung nach § 3 InsoBekV hinaus in ihrem berechtigten Interesse liege, da es sich um eine wirtschaftlich relevante Information handele und es der Geschäftszweck der Beklagten sei, bonitätsrelevante Informationen über Menschen zu sammeln, zu speichern und zu verarbeiten. Die Verarbeitung diene dazu, den Kunden der Beklagten diese Daten im Vorfeld der Aufnahme von Vertragsverhandlungen oder des Abschlusses von Vertragsbeziehungen zur Verfügung stellen zu können, damit diese Kunden einschätzen könnten, ob es bei einem möglichen Vertragspartner zu Zahlungsschwierigkeiten kommen könnte.

Zur Überzeugung des Senats handelt es sich – unabhängig von den Ausführungen der Beklagten im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 12. Juni 2021 – grundsätzlich bei der Information über die Restschuldbefreiung um ein bonitätsrelevantes Datum. Schließlich wird ein möglicher Darlehensgeber des Klägers aus Sicht des Senats nachvollziehbar die Wahrscheinlichkeit der Rückzahlung eines Darlehens durch den Kläger schlechter einschätzen, wenn dieser schon einmal eine Privatinsolvenz durchlaufen hat und ihm am Ende eine Restschuldbefreiung erteilt worden ist. Diese Information ist daher, unabhängig von der Frage wie viele Menschen, denen eine Restschuldbefreiung erteilt worden ist, tatsächlich erneut in Zahlungsschwierigkeiten geraten, grundsätzlich wirtschaftlich interessant. Die Verarbeitung dürfte daher vom Geschäftszweck der Beklagten umfasst sein. Der Geschäftszweck der Beklagten an sich verstößt dabei nicht bereits gegen die Rechtsordnung oder den Grundsatz von Treu und Glauben. Das ergibt sich auch aus der bisherigen Einschätzung in der Rechtsprechung, dass ein Interesse der Allgemeinheit daran besteht, Darlehensgeber grundsätzlich davor zu schützen, Darlehen an zahlungsunwillige oder -unfähige Schuldner zu vergeben (BGH a.a.a.O.).

Allerdings ist schon anzumerken, dass ein zahlungsunfähiger Schuldner die Darlehensmittel in der Regel zuvor, z.B. im Falle einer Betriebsgründung, dem Wirtschaftskreislauf zugeführt haben wird. Zudem entspricht es marktwirtschaftlichen Grundsätzen, dass nicht alle Betriebsgründungen erfolgreich verlaufen können, sondern es laufend zu Marktbereinigungen kommt. Eine soziale Marktwirtschaft baut also auch stets darauf auf, dass Betriebsgründungen wirtschaftlich scheitern. So mussten in den Jahren 2000 bis 2008 durchschnittlich etwa 72.000 junge Unternehmen den Markt verlassen und etwa 15 % dieser Unternehmen stellten einen Insolvenzantrag (vgl. Studie des ZEW Mannheim im Auftrag des BMWi, „Ursachen für das Scheitern junger Unternehmen in den ersten fünf Jahren des Betriebs“, März 2010, S. 76, junglandwirte.de/attachments/123_BMWi_Ursachen-fuer-dasScheitern-jungerUnternehmen_2010.pdf; abgerufen am 21. Juni 2021).

Insbesondere aber stellt sich das Interesse der Beklagten an einer Verarbeitung der streitgegenständlichen Information mit Ablauf der Löschungsfrist in § 3 InsoBekV nicht mehr als berechtigt dar, da eine weitere Verarbeitung die normativen Vorgaben aus der InsoBekV unterlaufen würde (kritisch gegenüber der bisherigen Speicherung in Online-Datenbanken über § 3 InsoBekV hinaus bereits Ehmann in Simitis, Bundesdatenschutzgesetz, 8. Auflage, Rn. 192 zu § 29 BDSG a.F.). Denn es liegt auf der Hand, das das Ziel, einem Schuldner nach Wohlverhaltensperiode und Erteilung der Restschuldbefreiung einen Neustart zu ermöglichen, durch eine weitere Publizität der früheren Insolvenz erschwert wird (vgl. Heyer, ZVI 2019, 45, 46). Die Verarbeitung durch die Beklagte nach Löschung der Informationen aus dem Insolvenzbekanntmachungsportal steht damit im Widerspruch zur Rechtsordnung und ist daher nicht berechtigt im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit f) DSGVO.

Der Normgeber hatte nämlich bei Schaffung der InsoBekV die Vorstellung, dass es mit der Veröffentlichung der Informationen über das Insolvenzverfahren im Insolvenzbekanntmachungsportal im Internet sein Bewenden haben sollte (vgl. Ganter/Bruns in Münchener Kommentar zur InsO, 4. Auflage, § 9, Rn. 8). Etwaige weitere Veröffentlichungen sollten allenfalls den Bundesländern landesrechtlich, etwa aus regionalen Gründen, vorbehalten sein (BT-Drs. 16/3227, S. 14). Damit wird deutlich, dass weitere überregionale Veröffentlichungen zusätzlich zum Internetportal nicht zulässig sein sollten. Die Speicherung und Verarbeitung durch die Beklagte, welche ihre Informationen einer breiten allgemeinen Öffentlichkeit zum Abruf anbietet, kommt zur Überzeugung des Senats aber einer weiteren Veröffentlichung gleich. Schließlich verwendet die Beklagte die Informationen nicht für rein interne Zwecke, weil sie z.B. ein eigenes Vertragsverhältnis als Darlehensgeber mit dem Kläger begründen wollte, sondern gerade mit dem Ziel, diese Informationen einer breiten Öffentlichkeit von potentiellen Vertragspartnern des Klägers – wenn auch kostenpflichtig – zugänglich zu machen.

Daher kann nur eine solche Verarbeitung durch die Beklagte nicht im Widerspruch zu der Regelung in § 3 InsoBekV stehen, welche auch die Löschungsfristen beachtet. Solange die Beklagte ihre Vertragspartner nur darauf hinweist, dass zum Zeitpunkt der Auskunftserteilung durch die Beklagte im Insolvenzbekanntmachungsportal Informationen über den Schuldner verfügbar sind, und sie diese Informationen im gleichen Wortlaut wie auf dem Portal nennt, wird ein berechtigtes Interesse der Beklagten nicht im Widerspruch zu § 3 Abs. 2 InsoBekV stehen. Dann handelt es sich zur Überzeugung des Senats nämlich nicht um eine über die Veröffentlichung im Insolvenzbekanntmachungsportal hinausgehende Verbreitung der Information, die im Widerspruch zum gesetzgeberischen Willen stünde. So liegt es vorliegend aber nicht mehr.

Der Senat verkennt nicht, dass zur Zeit der Geltung der §§ 28, 29, 35 BDSG a.F. eine weitere Speicherung der aus dem Insolvenzbekanntmachungsportal als allgemein zugänglicher Quelle entnommenen Informationen überwiegend für zulässig gehalten wurde (so etwa OLG Frankfurt, Urteil vom 14.12.2015 – 1 U 128/15 -, NZI 2016, 188 f.; KG, Urteil vom 7. Februar 2013 – 10 U 118/12 -, ZD 2013, 189). Begründet wurde dies zumeist mit der Erwägung, dass die Restschuldbefreiung einen Vorteil für den Schuldner, aber einen Nachteil für die Gläubiger bedeute, diese daher ein schützenswertes Interesse an der Einschätzung der Wiederholungsgefahr hätten (KG, a.a.O.) und es „nicht Zweck der Erteilung der Restschuldbefreiung“ sei, „dass der Schuldner wieder am Wirtschaftsleben teilnehmen“ könne, „als ob es das Insolvenzverfahren nicht gegeben habe“ (OLG Frankfurt, a.a.O.). Auch sei die zumeist entgeltliche Auskunftserteilung durch Auskunfteien weniger eingriffsintensiv als die Auskunftserlangung aus dem allgemein zugänglichen Insolvenzbekanntmachungsportal, so dass unterschiedliche Fristen gerechtfertigt seien (OLG Karlsruhe, Urteil vom 1. März 2016 – 12 U 32/16 -, NZI 2016, 375). Und noch nach Ablösung der erwähnten Regelungen des BDSG durch die DSGVO zog das Landgericht Frankfurt a.M. (Urteil vom 20. Dezember 2018 – 2/5 O 151/18 -, NZI 2019, 342) zur Ermöglichung eines Löschungsanspruchs gemäß Art. 17 Abs. 1 lit c) DSGVO den Ausnahme-Widerspruch gemäß Art. 21 Abs. 1 DSGVO heran, obwohl die vom dortigen Kläger angeführten Schwierigkeiten im Geschäftsverkehr überwiegend der typischen Betroffenheit auch vergleichbarer Schuldner entsprochen haben dürften (so Heyer, NZI 2019, 345 in seiner Urteilsanmerkung). Den Stimmen, die diese Sicht verteidigen (etwa Thüsing/Flink/Rombey, NZI 2020, 611 ff.) zum Trotz muss es jedoch fraglich erscheinen, ob diese zum BDSG vertretene Sichtweise noch nach dessen teilweise erfolgter Ablösung durch die DSGVO bzw. der unterbliebenen Übernahme der Vorschriften ins neue BDSG aufrechterhalten werden kann, auch wenn die Beklagte meint, mit der Neuregelung des BDSG im Jahre 2018 habe kein Paradigmenwechsel in Bezug auf die Zulässigkeit der Datenverarbeitung für Auskunfteien stattgefunden.

Eine solche Auffassung verkennt aber, dass der nationale Gesetzgeber es bewusst unterlassen hat, die Regelungen in §§ 28, 29 35 BDSG a.F. in das neue BDSG zu überführen. Diese Tatsache spricht eindeutig dafür, dass der nationale Gesetzgeber es bei den Regelungen in Art. 6 DSGVO zur Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung belassen wollte. Besondere Ausnahmeregelungen für die Verarbeitung von Daten aus öffentlichen Quellen durch Private sehen weder die DSGVO noch das BDSG derzeit vor und daher ist auch die bisherige Literatur und Rechtsprechung insbesondere zu § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG a.F. auf die DSGVO und die heutige Rechtslage in keiner Weise übertragbar. Zudem ist nach der DSGVO die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bereits Rechtmäßigkeitsmaßstab für die Zulässigkeit der Datenverarbeitung, nicht erst für die Löschungsansprüche (so mit Recht Heyer, NZI 2019, 345, 346).

Der nationale Gesetzgeber hätte allenfalls nach Art. 23 Abs. 1 lit i) und j) DSGVO die Möglichkeit, die Speicherfristen für Auskunfteien durch eine gesetzliche Regelung zu verlängern, wovon er bisher keinen Gebrauch gemacht hat. Eine entsprechende Verlängerung der Speicherfrist für Auskunfteien auf ein Jahr wurde in einem ersten Referentenentwurf des BMJV vom 13. Februar 2020 durch eine Neuregelung in § 301 Abs. 5 InsO vorgeschlagen (vgl. Referentenentwurf des BMJV eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens vom 13. Februar 2020, S. 23), aber war bereits im weiteren Referentenentwurf vom 1. Juli 2020 nicht mehr enthalten und wurde auch – soweit ersichtlich – bisher nicht vom nationalen Gesetzgeber umgesetzt (vgl. BR-Drs. 761/20). Solange der Gesetzgeber nicht von einer abweichenden gesetzlichen Regelung Gebrauch macht, verbleibt es daher bei der gesetzlichen Wertung in § 3 Abs. 2 InsoBekV, wonach die Information grundsätzlich auch von Privaten – soweit nicht einer der Gründe für eine rechtmäßige Verarbeitung nach Art. 6 DSGVO eingreift – spätestens sechs Monate nach Rechtskraft der Restschuldbewilligung nicht verarbeitet und insbesondere nicht verbreitet werden darf.

bb.

Die Beklagte kann sich schließlich auch nicht darauf berufen, dass ihre Verarbeitung den berechtigten Interessen eines Dritten im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit f) DSGVO entspricht. Insoweit steht nämlich der Dritte im vorliegenden Fall überhaupt nicht fest.

Die Beklagte selbst hat ausgeführt, dass es seit Eintragung der streitgegenständlichen Information in ihrer Datenbank keine einzige Anfrage zum Kläger gegeben habe. Ein Dritter im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit f) DSGVO muss aber bereits bekannt sein, damit eine Interessenabwägung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit f) DSGVO überhaupt möglich ist. Bloße Allgemeininteressen sind offenkundig nicht ausreichend (Kühling/Buchner, a.a.O., Rn. 146). Solange kein Dritter mit einer konkreten vertraglichen oder vorvertraglichen Beziehung zum Kläger und dessen Interessen an einer etwaigen Verarbeitung bekannt sind, ist demnach auch die Prüfung nicht möglich, ob diesem Dritten ein berechtigtes Interesses an der Verarbeitung durch die Beklagte zustehen könnte. Allein die abstrakte Möglichkeit, dass sich in der Zukunft jemand finden könnte, für den die Information der Restschuldbefreiung von Interesse sein könnte, kann ohnehin im konkreten Fall nicht zur Annahme eines berechtigten Interesses an der Speicherung der Daten durch die Beklagte führen, da die heutige anlasslose Speicherung stets im Widerspruch zu der Löschungsfrist in § 3 InsoBekVO stünde.

Soweit das Landgericht Hamburg einem Urteil (Urteil vom 23. Juli 2020 – 344 O 161/19 -, ZD 2021, 216) ausgeführt hat, dass die Beklagte eine „Gemeinschaftseinrichtung der kreditgebenden Wirtschaft“ sei und daher ein eigenes Interesse an der Verarbeitung habe, überzeugt das den Senat nicht. Es ist nicht erkennbar, dass es sich bei der Beklagten als Aktiengesellschaft um eine Gemeinschaftseinrichtung im Sinne eines Vereins handeln könnte. Auch ist nicht erkennbar, welches Mitglied einer solchen Gemeinschaft in vertraglichen oder vorvertraglichen Beziehungen zum Kläger stehen könnte.

cc.

Das Interesse der Beklagten an einer Verarbeitung wird auch nicht dadurch zu einem berechtigten Interesse im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit f) DSGVO, dass in den „Verhaltensregeln für die Prüf- und Löschfristen von personenbezogenen Daten durch die deutschen Wirtschaftsauskunfteien vom 25.05.2018“ des Verbandes „Die Wirtschaftsauskunfteien e.V.“ unter Punkt II.2. erwähnt wird, dass Daten über die Restschuldbefreiung „taggenau drei Jahre“ nach Erteilung der Restschuldbefreiung gelöscht werden. Die Beklagte zählt zwar zu den Mitgliedern des Verbandes. Die Verhaltensregeln selbst enthalten jedoch schon den folgenden Hinweis:

„Diese Verhaltensregeln enthalten keine Regelungen zur materiellen Berechtigung der Speicherung der personenbezogenen Daten. Die Regelung von Speicher- und Löschfristen indiziert auch nicht die Rechtmäßigkeit von deren Speicherung.

Die nachfolgenden Lösch- und Speicherfristen gelten unabhängig davon, ob die zugrunde liegenden Daten auf gesetzlicher Grundlage oder aufgrund von Einwilligungen erhoben und gespeichert wurden.“

Die Verhaltensregeln sind daher allenfalls eine Selbstverpflichtung des Verbandes und ggf. seiner Mitglieder sowie der genehmigenden Aufsichtsbehörde (vgl. Heyer, Anmerkung zu LG Frankfurt a.M NZI 2019, 342). Die Tatsache, dass die Landesbeauftragte für Datenschutz in Nordrhein-Westfalen die Verhaltensregeln nach Art. 40 Abs. 5 DSGVO genehmigt hat (ausweislich der Einschätzung von Thüsing/Flink/Rombey NZI 2020, 611, 616 „ein Kompromiss“), bedeutet ebenfalls nicht, dass eine jede Datenverarbeitung im Sinne der Verhaltensregeln rechtmäßig wäre. Allenfalls dürfte die Verhängung eines Bußgeldes nach Art. 83 DSGVO, § 41 BDSG bei Einhaltung genehmigter Verhaltensregeln nur schwer zu begründen sein (Auernhammer, a.a.O., Art 40 DSGVO, Rn. 6). Schließlich dürfte dann davon auszugehen sein, dass ein etwaiger Verstoß durch ein Mitglied des Verbandes in der Regel weder vorsätzlich noch fahrlässig im Sinne von Art. 83 Abs. 2 b) DSGVO erfolgt ist.

Nach Auffassung des Senats stehen vielmehr die Prüf- und Löschfristen unter Ziffer II.2.b) der Verhaltensregeln bezüglich der Restschuldbefreiung im Widerspruch zu den Regelungen in §§ 9 InsO, 3 InsoBekVO und daher können Betroffene auch bei Einhaltung der Verhaltensregeln Löschungsansprüche gegen Verantwortliche nach Art. 17 Abs. 1 lit d) DSGVO geltend machen.

2.

Der Kläger hat gegen die Beklagte über den Löschungsanspruch hinaus einen Anspruch auf Unterlassung der erneuten Speicherung und Verarbeitung der streitgegenständlichen Informationen in entsprechender Anwendung von § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB. Bei Auskunfteien ist grundsätzlich eine Wiederholungsgefahr anzunehmen (vgl. Raff in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage, § 1004, Rn. 303). Da schon eine bevorstehende erste Beeinträchtigung für die Annahme einer Wiederholungsgefahr ausreichend sein kann, dürfte eine Wiederholungsgefahr unzweifelhaft vorliegen.

3.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der von ihm geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 887,03 aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO, § 249 BGB, wobei der Klägervertreter allenfalls eine 1,3-fache Geschäftsgebühr geltend machen kann, da er sich – wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mitgeteilt hat – intensiv mit der Rechtsmaterie beschäftigt und zahlreiche Verfahren führt, so dass es sich für ihn um ein durchschnittliches Massengeschäft und keine besonders umfangreiche oder schwierige Angelegenheit handelt. Daher kann der Kläger an vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zwar nicht die geltend gemachten € 890,30 €, wohl aber € 887,03 – € 725,40 Geschäftsgebühr, € 20,00 Auslagen und € 141,63 Umsatzsteuer – ersetzt verlangen.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 2, 344 ZPO.

5.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO. Die Summe der Sicherheitsleistung soll eine Sicherung in Höhe eines möglichen Ersatzanspruchs nach § 717 ZPO erhalten (Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage, § 709, Rn. 8. Die Beklagte hat im Schriftsatz vom 23. Oktober 2020 ausgeführt, dass die Löschung und Ermittlung von Vertragspartnern, an welche die Information ggf. mitgeteilt wurde, mit erheblichem Aufwand verbunden und daher eine Sicherheitsleistung festzusetzen sei. Da nach Auskunft der Beklagten die Daten noch niemandem mitgeteilt wurden, dürfte sich der Kostenaufwand auf die Löschung der Information und ggf. das Wiedereinstellen derselben beschränken, welche der Senat großzügig auf nicht mehr als € 150,00 schätzt.

6.

Gegen das Urteil war die Revision nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen. Die Rechtssache ist von grundsätzlicher Bedeutung, da die Verarbeitung von Daten durch die Beklagte allgemein große Teile der Bevölkerung und im Besonderen sämtliche Schuldner eines Privatinsolvenzverfahrens mit erteilter Restschuldbefreiung betrifft, aufgrund der Neufassung des BDSG die bis zum 25. Mai 2018 geltenden Regelungen in §§ 27 bis 38a BDSG, die sich teilweise ausdrücklich auf Auskunfteien bezogen, weggefallen sind und diese gesetzlichen Regelungen und die dazu ergangene Rechtsprechung daher offenkundig nicht mehr auf die Regelungen der DSGVO angewendet werden können.

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