BFH – Az.: VII S 23/20 – Beschluss vom 09.07.2020
Der Antrag wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller (das Finanzamt – FA -) begehrt einstweilige Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Beschlusses des Finanzgerichts (FG) Münster vom 08.06.2020 – 11 V 1541/20 AO.
Der Antragsgegner betreibt einen Hausmeisterservice. Er unterhält ein als Pfändungsschutzkonto nach § 850k der Zivilprozessordnung (ZPO) geführtes Konto bei der Sparkasse. Betreffend dieses Konto hatte das FA unter dem 17.04.2019 eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung über eine Gesamtforderung in Höhe von 9.075,50 Euro wegen rückständiger Umsatzsteuer und Umsatzsteuer-Vorauszahlungen 2015 und rückständiger Verspätungszuschläge zur Umsatzsteuer 2015 erlassen, die der Sparkasse am 23.04.2019 zugestellt wurde. Mit der Drittschuldnererklärung vom 30.04.2019 erklärte die Sparkasse u.a., dass das Konto kein pfändbares Guthaben ausweise und vorrangige Pfändungen in Höhe von 823,47 Euro vorlägen.
Mit Bescheid (Billigkeitszuschuss) der Bezirksregierung … vom 06.04.2020 wurde dem Antragsgegner auf seinen Antrag vom 06.04.2020 gemäß § 53 der Landeshaushaltsordnung (LHO) i.V.m. dem Programm zur Gewährung von Soforthilfen aus dem Bundesprogramm „Corona-Soforthilfen für Kleinstunternehmer und Selbständige“ und dem ergänzenden Landesprogramm „NRW-Soforthilfe 2020“ eine Soforthilfe in Höhe von 9.000 Euro als einmalige Pauschale bewilligt. In dem Bescheid wird weiter ausgeführt:
„… 2. Zweckbindung: Die Soforthilfe erfolgt ausschließlich zur Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbstständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie als Einmalzahlung für einen Bewilligungszeitraum von drei Monaten ab Antragstellung. Die Soforthilfe dient insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen, die seit dem 1. März 2020 in Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind. Nicht umfasst sind vor dem 1. März 2020 entstandene wirtschaftliche Schwierigkeiten bzw. Liquiditätsengpässe.
3. Aufrechnungsverbot: Für die bewilligte Soforthilfe gilt ein direktes Verrechnungs- bzw. Aufrechnungsverbot mit bereits bestehenden Kreditlinien beim jeweiligen Kreditinstitut. Bei Überweisung der Soforthilfe darf es nicht zu einer zwangsläufigen Bedienung bereits bestehender Kontokorrentforderungen oder sonstiger Zins- und Tilgungsforderungen kommen. Etwas Anderes gilt nur, wenn bereitgestellte Finanzierungslinien ausdrücklich kurzfristig zur Vorfinanzierung der Soforthilfe erhöht wurden. Die bewilligte Soforthilfe muss vollumfänglich zur Kompensation der unmittelbar durch die Corona-Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Engpässe genutzt werden. Ihnen als Empfänger/-in obliegt die Entscheidung, welche Forderungen mit höchster Relevanz für die Existenzsicherung ausgestattet sind (bspw. Mietforderungen, Lieferantenforderungen) und daher vorrangig durch den Zuschuss bedient werden sollen.
II. Nebenbestimmungen: Die Soforthilfe wird unter folgenden Nebenbestimmungen gewährt: … 3. Sollten Sie am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums feststellen, dass diese Finanzhilfe höher ist als Ihr Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderung) und Sie die Mittel nicht (vollständig) zur Sicherung Ihrer wirtschaftlichen Existenz bzw. Ausgleich Ihres Liquiditätsengpasses benötigen, sind die zu viel gezahlten Mittel auf das Konto der Landeskasse … zurückzuzahlen. … 4. Die Finanzhilfe ist zurückzuerstatten, wenn der Bescheid aufgrund falscher oder unvollständiger Angaben erteilt wurde oder Entschädigungsleistungen, Versicherungsleistungen und/oder andere Fördermaßnahmen einzeln und/oder zusammen zu einer Überkompensation führen. … . 5. Ich behalte mir im Einzelfall eine Prüfung der Verwendung der Soforthilfe vor. In diesem Fall ist die Bewilligungsbehörde berechtigt, Bücher, Belege und sonstige Geschäftsunterlagen anzufordern sowie die Verwendung der Soforthilfe durch örtliche Erhebungen zu prüfen oder durch Beauftragte prüfen zu lassen. Sie haben die erforderlichen Unterlagen bereitzuhalten und die notwendigen Auskünfte zu erteilen. Ihr zuständiges Finanzamt, der Landesrechnungshof NRW sowie die nachgeordneten Behörden (vgl. § 91 LHO), der Bundesrechnungshof, das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und die Europäische Kommission sind ebenfalls berechtigt, Prüfungen vorzunehmen. … 8. Der Nachweis der Verwendung der Soforthilfe erfolgt unter Zuhilfenahme des Vordrucks im Internet auf https://soforthilfe-corona.nrw.de bei Ihrem zuständigen Finanzamt und ist der nächsten Steuererklärung beizufügen. ….“
Der Betrag in Höhe von 9.000 Euro wurde mit Wertstellung am 08.04.2020 auf dem Konto des Antragsgegners gutgeschrieben. Nachdem sich die Sparkasse weigerte, ihm den Betrag auszuzahlen, beantragte der Antragsgegner mit Schreiben vom 15.05.2020 beim FA die Freigabe der Corona-Soforthilfe. Er benötige die Freigabeerklärung, um über das Geld, welches zweckgebunden zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen ausgelöst durch die Corona-Krise verwandt werden solle, verfügen zu können.
Das FA lehnte den Antrag auf vollständige Freigabe des sich auf dem Konto derzeit und zukünftig befindlichen Guthabens mit Bescheid vom 20.05.2020 ab. Es bleibe dem Antragsgegner unbenommen, unter Erbringung der erforderlichen Nachweise (Kontoauszüge, Kostenaufstellungen etc.) einen Antrag auf Pfändungsschutz nach § 319 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. §§ 850 ff. ZPO für bestimmte Beträge zu stellen.
Mit Schreiben vom 28.05.2020, eingegangen am 29.05.2020, wandte sich der Antragsgegner an das FG und beantragte die Freigabe der Soforthilfe.
Sein Unternehmen sei drei Jahre alt und vor der Corona-Krise „gesund“ gewesen. Seine Existenz sei definitiv bedroht. Bis auf kleinere Aufträge sei alles weggebrochen. Deshalb habe er die Soforthilfe beantragt. Er könne seinen Lebensunterhalt und den Unterhalt für seine bei der Ehefrau lebende Tochter nicht mehr sicherstellen. Für seine Krankenversicherung fielen 240 Euro monatlich an. Seine Warmmiete liege bei 460 Euro. Hinzu kämen laufende Kosten für Strom, Telefon und Versicherungen. Für seine berufliche Tätigkeit habe er für 100 Euro monatlich zwei Garagen angemietet. Er sei zudem auf einen LKW angewiesen. Für diesen entrichte er eine monatliche Rate von 120 Euro, die er abzahlen müsse. Die Kfz-Versicherung betrage 146,20 Euro pro Monat. Zum Betanken des LKWs fielen ca. 500 Euro pro Monat an, wenn sein Auftragsvolumen stimme. Auch in der Corona-Zeit sei er zur Erledigung kleinerer Aufträge auf seinen LKW angewiesen. Jetzt sei auch noch der Turbolader seines LKWs defekt. Die Kosten für den Einbau des Turboladers betrügen 1.600 Euro. Ohne die Auswirkungen der Corona-Pandemie hätte er die Reparatur aus dem Ergebnis seiner laufenden Aufträge decken können. Aktuell sei dies jedoch nicht möglich. Zudem seien die Steuerschulden, die der Pfändungs- und Einziehungsverfügung zugrunde lägen, solche seiner Ehefrau aus deren damaliger Selbständigkeit. Aus seinem jetzigen Unternehmen bestünden keine Steuerschulden. Er sei dringend auf die Unterstützungsleistung angewiesen. Ihm sei bekannt, dass er Gelder, die er in den drei Monaten seit der Bewilligung nicht benötige, an die Bezirksregierung zurückerstatten müsse. Die Vollstreckung bedrohe seine persönliche und wirtschaftliche Existenz, die er sich mühsam aufgebaut habe.
Das FA vertrat die Ansicht, dass mangels Legaldefinition der „Relevanz für die Existenzsicherung“ die Tilgung von älteren Steueransprüchen nicht einer etwaigen Zweckbindung der Corona-Soforthilfe widerspräche.
Das FG legte das Begehren des Antragsgegners als Antrag auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung nach § 258 AO aus und gab ihm mit Beschluss vom 08.06.2020 – 11 V 1541/20 AO, der Gegenstand des hiesigen Beschwerdeverfahrens VII B 78/20 ist, statt. Der Anordnungsanspruch ergäbe sich aus § 258 AO. Die auch nur teilweise Einziehung der Corona-Soforthilfe durch das FA führe zu einem unangemessenen Nachteil für den Antragsgegner. Die Corona-Soforthilfe sei eine nicht der Pfändung unterworfene Forderung nach § 851 Abs. 1 ZPO, weil sie zweckgebunden sei. Sie werde ausschließlich zur Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie gezahlt. Sie diene insbesondere der Überbrückung von Liquiditätsengpässen, die seit dem 01.03.2020 entstanden seien und nicht der Befriedigung von Gläubigeransprüchen, die vor dem 01.03.2020 entstanden seien. Es komme nicht darauf an, ob der Antragsgegner die Corona-Soforthilfe rechtmäßig erlangt habe. Es liege auch ein Anordnungsanspruch vor, weil die Existenz des Geschäftsbetriebes des Antragsgegners ohne den begehrten Zugriff auf die Corona-Soforthilfe gefährdet sei.
Zur Erreichung des mit der Corona-Soforthilfe verfolgten Zwecks seien die Pfändung und die Einziehungsrechte des FA dahingehend zu modifizieren, dass diese sich nicht auf die gutgeschriebenen 9.000 Euro beziehen. Hierzu sei jedoch nicht die Pfändungs- und Einziehungsverfügung aufzuheben, was zu einem „Rangverlust“ führen würde. Vielmehr sei das FA verpflichtet, die Freigabe zu erklären. Sollte der Betrag bereits (teilweise) an das FA ausgezahlt worden sein, so habe das FA den Betrag auf das Konto des Antragsgegners zurückzuüberweisen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den veröffentlichten Beschluss vom 08.06.2020 – 11 V 1541/20 AO verwiesen.
Am 10.06.2020 ging bei dem FA ein Betrag in Höhe von 5.818,16 Euro aus der dem Antragsgegner bewilligten Corona-Soforthilfe ein.
Gegen den Beschluss vom 08.06.2020 – 11 V 1541/20 AO legte das FA Beschwerde ein, welcher das FG mit Beschluss vom 19.06.2020 nicht abhalf. Das Verfahren wird beim Bundesfinanzhof (BFH) unter dem Az. VII B 78/20 geführt.
Zugleich beantragte das FA, die Vollziehung des genannten Beschlusses vom 08.06.2020 bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Beschwerdeverfahren gemäß § 131 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auszusetzen. Diesen Antrag lehnte das FG mit Beschluss vom 19.06.2020 – 11 V 1720/20 AO ab und ließ hiergegen wiederum die Beschwerde zu. Die Beschwerde gegen den Beschluss vom 08.06.2020 – 11 V 1541/20 AO habe bei der gebotenen summarischen Prüfung keine Aussicht auf Erfolg. Darüber hinaus sei die sofortige Beschränkung der Vollstreckung unmittelbar notwendig, damit der Antragsgegner im Bewilligungszeitraum über die Corona-Soforthilfe verfügen und seine durch die Pandemie entstandenen wirtschaftlichen Engpässe kompensieren könne.
Das FA richtete nunmehr einen Antrag, die Vollziehung des genannten Beschlusses vom 08.06.2020 bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Beschwerdeverfahren auszusetzen, direkt an den BFH und legte hilfsweise Beschwerde gegen den Beschluss des FG vom 19.06.2020 – 11 V 1720/20 AO ein. Gegen die Annahme einer Zweckbindung und damit einer Unpfändbarkeit der Corona-Soforthilfe spreche, dass die Gerichte Förderrichtlinien nicht eigenständig auslegen dürften (BFH-Urteil vom 13.01.2005 – V R 35/03, BFHE 208, 398, BStBl II 2005, 460; Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.11.2008 – 7 B 38/08). Die im Bewilligungsbescheid enthaltene Formulierung betreffe nur die zweckentsprechende Verwendung der Mittel, führe jedoch nicht zu einer Zweckbindung. Das FA zweifelt im Übrigen den Anspruch des Antragsgegners auf die Corona-Soforthilfe an, weil sich dieser ausweislich der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 17.04.2019 bereits vor dem 01.03.2020 in einem Liquiditätsengpass befand. Wenn jedoch kein Anspruch bestehe, könne die Corona-Soforthilfe ihren Zweck auch nicht erfüllen. Ergänzend wies das FA darauf hin, dass das nordrhein-westfälische Soforthilfeprogramm eine Sonderregelung für die Bestreitung von Lebenshaltungskosten bzw. fiktiven Unternehmerlohn vorsehe. Jedenfalls in diesem Umfang könne § 851 ZPO nicht greifen, weil unter den Begriff Lebenshaltungskosten bzw. fiktiver Unternehmerlohn jegliche Ausgaben fielen und damit auch Altverbindlichkeiten.
Das FA habe zur Vermeidung der Vorwegnahme der Hauptsache den Beschluss vom 08.06.2020 -11 V 1541/20 AO bislang nicht befolgt. In Anbetracht der bei dem Antragsgegner verbliebenen 3.181,84 Euro dürfe von einer Gefährdung der Betriebsfortführung nicht auszugehen sein. Überdies sichere bereits das Pfändungsschutzkonto den Lebensunterhalt (FG Nürnberg, Beschluss vom 11.10.2007 – 3 V 1280/2007).
II.
Der Antrag des FA ist gemäß § 131 Abs. 1 Satz 2 FGO i.V.m. § 570 Abs. 3 ZPO zulässig, jedoch unbegründet.
1. Der direkt an den BFH gerichtete Antrag, die Vollziehung des Beschlusses des FG Münster vom 08.06.2020 – 11 V 1541/20 AO auszusetzen, ist statthaft.
Auch wenn nach dem Wortlaut des § 131 Abs. 1 Satz 2 FGO lediglich das FG, der Vorsitzende oder der Berichterstatter, dessen Entscheidung angefochten wird, über die AdV der angefochtenen Entscheidung bestimmen kann, geht das Recht zur Entscheidung über einen solchen Eilantrag nach dem Zweck des Beschwerdeverfahrens in analoger Anwendung des § 570 Abs. 3 ZPO (i.V.m. § 155 FGO) auf den BFH über, sobald das FG diesem die Beschwerde vorlegt (ausführlich hierzu Senatsbeschluss vom 18.12.1984 – VII S 25/84, BFHE 142, 427, BStBl II 1985, 221; zuletzt BFH-Beschluss vom 17.07.2012 – X S 24/12, BFH/NV 2012, 1638; Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler – HHSp -, § 131 FGO Rz 16).
Gegen den Beschluss des FG Münster vom 08.06.2020 – 11 V 1541/20 AO stand dem FA aufgrund der Zulassung des FG die Beschwerde zu, welche mit Schriftsatz vom 18.06.2020 beim FG eingelegt wurde. Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und diese mit dem Nichtabhilfebeschluss vom 19.06.2020 – 11 V 1541/20 AO dem BFH vorgelegt, so dass nunmehr der BFH für die Entscheidung über die AdV des Beschlusses zuständig ist.
2. Der Antrag auf AdV des Beschlusses ist jedoch unbegründet.
a) Die Entscheidung über den Antrag ist aufgrund summarischer Prüfung und Beurteilung der Erfolgsaussichten der Beschwerde und der beiderseitigen Interessen der Beteiligten nach dem jeweiligen Sach- und Rechtsstand zu treffen. Sie ergeht in erster Linie aufgrund einer Rechtmäßigkeitsprüfung, nicht lediglich aufgrund einer Folgenabwägung (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 1638).
Bei summarischer Betrachtung ist der Beschluss des FG vom 08.06.2020 – 11 V 1541/20 AO rechtmäßig, so dass zur AdV kein Anlass besteht.
b) Das FG hat das Begehren des Antragsgegners als Antrag nach § 258 AO ausgelegt und im einstweiligen Rechtsschutz entschieden. Diese Auslegung begegnet keinen Bedenken, denn es geht dem Antragsgegner ausweislich seiner Schriftsätze vom 28.05.2020 an das FG und vom 15.05.2020 an das FA um eine Freigabe der Corona-Soforthilfe, um über das Geld tatsächlich verfügen zu können.
c) Das FG hat zutreffend einen Anordnungsanspruch aus § 258 AO bejaht, weil es sich bei der Corona-Soforthilfe um eine nach § 851 Abs. 1 ZPO nicht pfändbare Forderung handelte und demzufolge der entsprechende Betrag auf dem Konto des Antragsgegners nicht pfändbar war.
Nach § 851 Abs. 1 ZPO ist eine Forderung nur pfändbar, wenn sie übertragbar ist. Damit verweist § 851 Abs. 1 ZPO u.a. auf die Regelung des § 399 Alternative 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB – (Beschlüsse des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 08.11.2017 – VII ZB 9/15, Zeitschrift für das gesamte Insolvenz- und Sanierungsrecht – ZInsO – 2018, 92; vom 30.04.2020 – VII ZB 82/17). Unübertragbar ist eine Forderung, wenn der Gläubigerwechsel den Inhalt der Leistung ändern würde. Darunter fällt auch eine zweckgebundene Forderung, weil der Verwendungszweck einer Forderung zum Inhalt der zu erbringenden Leistung gehört (Zöller/Herget, ZPO, 33. Aufl., § 851 Rz 3). Zu den nur im Rahmen ihrer Zweckbindung pfändbaren Forderungen können auch staatliche Subventionszahlungen gehören (MünchKommZPO/Smid, 5. Aufl. 2016, ZPO § 851 Rz 9; BGH-Urteile vom 19.09.1957 – VII ZR 423/56, BGHZ 25, 211; vom 29.10.1969 – I ZR 72/67, Monatsschrift für Deutsches Recht 1970, 210).
Nach diesen Grundsätzen ist die Corona-Soforthilfe ausweislich der ihr zugrunde liegenden Bestimmungen als zweckgebunden einzustufen (so ausdrücklich BeckOK ZPO/Riedel, 36. Ed. [01.03.2020], ZPO § 851 Rn. 10; FG Münster, Beschluss vom 13.05.2020 – 1 V 1286/20 AO; Amtsgericht Passau, Beschluss vom 07.05.2020 – 4 M 1551/20; Landgericht Köln, Beschluss vom 23.04.2020 – 39 T 57/20, ZInsO 2020, 1028, Rz 18). Den Gerichten ist es nicht verwehrt, zur Beurteilung der Zweckbindung der Corona-Soforthilfe die Programme des Bundes und der Länder oder andere Bestimmungen heranzuziehen. Die vom FA zitierten Entscheidungen des BFH zur Auslegung von Verwaltungsentscheidungen (z.B. BFH-Urteil in BFHE 208, 398, BStBl II 2005, 460) betreffen einen anderen Fall.
Ausweislich des Bescheids und der zugrunde liegenden Programme des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen dient die Corona-Soforthilfe, bei der es sich um eine Billigkeitsleistung als freiwillige Zahlung ohne Rechtsanspruch handelt (1.2 und 1.3 NRW-Soforthilfe 2020, Ministerialblatt – MinBl – Nordrhein-Westfalen 2020, S. 360), der Abmilderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie. Sie soll insbesondere Liquiditätsengpässe, die seit dem 01.03.2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind, überbrücken. Ausdrücklich nicht umfasst sind nach dem Bescheid vor dem 01.03.2020 entstandene wirtschaftliche Schwierigkeiten bzw. Liquiditätsengpässe. Aus den Bestimmungen zur Beihilfegewährung hat das FG zutreffend geschlussfolgert, dass die Corona-Soforthilfe jedenfalls nicht der Befriedigung von Gläubigeransprüchen dient, die – wie im Streitfall – vor dem 01.03.2020 entstanden sind, sondern nur solchen, die seit dem 01.03.2020 entstanden sind. Die Mittel sind zur Finanzierung von Verbindlichkeiten für fortlaufende erwerbsmäßige Sach- und Finanzausgaben vorgesehen, wobei die Entscheidung darüber, welche Ausgaben damit getätigt werden und in welcher Reihenfolge damit Forderungen erfüllt werden, nach den Förderbestimmungen allein dem Empfänger der Soforthilfe obliegt, der eine zweckentsprechende Verwendung später auch zu verantworten hat. Vor diesem Hintergrund ist es jedenfalls bei summarischer Prüfung im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass das FG den Anspruch auf Soforthilfe als i.S. des § 851 Abs. 1 ZPO aufgrund der Zweckbindung nicht übertragbar und damit unpfändbar angesehen und diesen Gedanken auch auf die bereits ausgezahlten Mittel übertragen hat.
Auch soweit der Antragsgegner nach 5.3. Abs. 3 NRW-Soforthilfe 2020 (MinBl Nordrhein-Westfalen 2020, S. 360) für seinen fiktiven Unternehmerlohn 2.000 Euro ansetzen darf, rechtfertigt dies nicht die Annahme, dass es sich bei der Corona-Soforthilfe lediglich um einen pfändbaren Lohnersatz handelt, so dass die Pfändung und Einziehung der Corona-Soforthilfe zugunsten des FA als Altgläubiger keinen rechtlichen Bedenken begegneten.
Die dargestellte Zweckbindung entfiele im Übrigen nicht (rückwirkend), wenn dem Antragsgegner mangels Vorliegens der Beihilfevoraussetzungen diese Beihilfe nicht zustünde und er sie zurückzahlen müsste. Im Übrigen ist es nicht Aufgabe des FG und des beschließenden Senats, diese Voraussetzungen im vorliegenden summarischen Verfahren zu prüfen. Diese Prüfung obliegt im Nachhinein dem Beihilfegeber entsprechend der Nebenbestimmungen nach Einreichung eines Verwendungsnachweises. Dabei kann der Senat auch dahingestellt lassen, ob die im Ergebnis erfolgte Tilgung von Altschulden gegenüber dem FA zu einem Rückforderungsanspruch des Beihilfegebers gegen den Antragsgegner führen könnte.
Eine Forderung kann trotz ihrer Zweckgebundenheit pfändbar sein, wenn sie durch die Vollstreckungsmaßnahme ihrer Zweckbestimmung zugeführt werden soll. Im Streitfall ist das FA jedoch nicht als sog. Anlassgläubiger anzusehen, dem die Vollstreckung gestattet gewesen wäre. Denn wie bereits dargestellt, soll die Corona-Soforthilfe zur Kompensation der unmittelbar durch die Corona-Pandemie ausgelösten Liquiditätsengpässe dienen. Der Pfändungs- und Einziehungsverfügung lagen jedoch Umsatzsteuerforderungen betreffend das Jahr 2015 einschließlich Nebenansprüchen zugrunde. Deshalb besteht kein Zusammenhang zu der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Liquiditätskrise des Antragsgegners.
Da hiernach die Forderung des Antragsgegners auf die Corona-Soforthilfe und – nach deren Überweisung auf das Bankkonto – gegen die kontoführende Bank gemäß § 851 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 399 Alternative 1 BGB im Hinblick auf ihre Zweckbindung nicht pfändbar war bzw. ist (vgl. BGH-Beschluss vom 05.11.2004 – IXa ZB 17/04, Wertpapier-Mitteilungen, Teil IV, 2005, 181), kann der Senat offenlassen, ob durch Ziffer 3. des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 19.03.2020 (BStBl II 2020, 262) das in § 258 AO eingeräumte Ermessen in einer die Verwaltung selbstbindenden Weise dahin gelenkt wird, dass bei nicht nur unerheblich betroffenen Steuerpflichtigen von der Vollstreckung fälliger Steuerforderungen abgesehen werden soll und ob das „Absehen“ von Vollstreckungsmaßnahmen nach Ziffer 3. auch Vollstreckungsmaßnahmen umfasst, die bereits vor Erlass des BMF-Schreibens ausgebracht worden sind, weil anderenfalls – entgegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)… eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung – vorläge (so FG Düsseldorf, Beschluss vom 29.05.2020 – 9 V 754/20 AE (KV); Rothbächer, Der Vollstreckungsaufschub gemäß § 258 AO als Teil des Schutzschilds in der Corona-Krise, Deutsches Steuerrecht 2020, 1014, 1020; Katemann, Stundungsanträge und Vollstreckungsmaßnahmen in Zeiten der Corona-Krise, AO-Steuerberater 2020, 223, 228).
d) Das FG hat zutreffend einen Anordnungsgrund angenommen.
Begehrt ein Vollstreckungsschuldner die Abwehr von Vollstreckungsmaßnahmen und beruft er sich dabei auf § 258 AO, so besteht ein Anordnungsgrund nur bei außergewöhnlichen Umständen, z.B. Existenzvernichtung oder konkreter und unmittelbarer Gesundheitsgefährdung (Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 114 FGO Rz 29; FG Köln, Beschluss vom 01.02.2018 – 11 V 3169/17). Diese Umstände müssen über die Nachteile hinausgehen, die im Regelfall bei einer Vollstreckung zu erwarten sind.
Hierzu hat das FG bei summarischer Prüfung nachvollziehbar ausgeführt, dass der Antragsgegner ohne die Corona-Soforthilfe die laufenden Kosten seines Geschäftsbetriebs nicht befriedigen könne.
e) Die Entscheidung des FG …insbesondere die Anordnung an das FA, den bereits gutgeschriebenen Betrag zurückzuüberweisen – erweist sich bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht als unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache.
Grundsätzlich darf die einstweilige Anordnung zwar die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht vorwegnehmen. Etwas anderes gilt jedoch im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) dann, wenn ohne vorläufigen Rechtsschutz schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 19.10.1977 – 2 BvR 42/76, BVerfGE 46, 166, und vom 25.10.1988 – 2 BvR 745/88, BVerfGE 79, 69; Senatsbeschluss vom 27.01.2016 – VII B 119/15, BFH/NV 2016, 1586, Rz 39).
Dass das FG zum Zeitpunkt seiner Entscheidung am 08.06.2020 einen derartigen Ausnahmefall angenommen hat, ist bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden.
3. Auch unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen ist der Antrag auf AdV abzulehnen. Hierbei berücksichtigt der Senat insbesondere, dass das FA die Corona-Soforthilfe auf den Beschluss des FG nicht unverzüglich zurücküberwiesen hat, obwohl der Bewilligungszeitraum am 06.07.2020 endete und der Antragsgegner auf die Mittel angewiesen war.
4. Bei der Entscheidung über die einstweilige AdV handelt es sich um ein Nebenverfahren zum Beschwerdeverfahren VII B 78/20, in dem keine (zusätzliche) Kostenentscheidung zu treffen ist (BFH-Beschlüsse vom 17.07.2008 – VI S 8/08, und in BFH/NV 2012, 1638).
5. Die hilfsweise erhobene Beschwerde gegen die (vorherige) Ablehnung der AdV durch das FG ist nicht statthaft, weil unmittelbar beim BFH ein Antrag auf AdV gestellt werden konnte und dies im Streitfall auch geschehen ist (vgl. Bergkemper in HHSp, § 131 FGO Rz 20).