Oberlandesgerichts Nürnberg
Az. 3 U 2441/00
Urteil vom 28.11.2000
Zusammenfassung des Urteils:
Wissen aufsichtspflichtige Eltern, dass ihr minderjähriges Kind zum Zündeln neigt, so sind an ihre Aufsichts- und Belehrungspflicht erhöhte Anforderungen zu stellen. Sie müssen dafür Sorge tragen und bei Anlass kontrollieren, dass ihr zum Zündeln neigendes Kind nicht für längere Zeit unkontrolliert in den Besitz eines Feuerzeuges gelangt. Kommt es infolge einer schuldhaften Verletzung der Aufsichtspflicht zu einem Schaden, bei dem ein Dritter geschädigt wird (im konkreten Fall eine Grundschule, auf deren Toilette der 8-jährige Schüler einen Schwelbrand verursachte), so hat der Aufsichtspflichtige (bzw. die hinter ihm stehende Haftpflicht-Versicherung) den Fremd-Schaden zu ersetzen.
Auszug aus den Urteilsgründen:
I.
Gemäß § 543 Abs. 1 ZPO wird von der Darstellung des Tatbestandes abgesehen. Es wird daher insoweit auf die Gründe des angefochtenen Ersturteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Wegen schuldhafter Verletzung ihrer Aufsichtspflicht haftet die Beklagte gemäß § 832 Abs. 1 BGB für die Folgen des Schwelbrandes, den ihr Sohn XY, der Beklagte zu 1), am Mittwoch, den 5. 11. 1997, in der Mädchentoilette der Grundschule Steinach verursacht hat. Die Klägerinnen, die als Versicherer der Stadt Steinach, dem Träger der Schule, den Gebäude- und Inventarschaden in der unstreitigen Höhe von DM 29.122,– und DM 1.075,48 ersetzt haben, können deshalb aus übergegangenem Recht gemäß § 67 VVG die Schadensersatzansprüche der Stadt Steinach wegen Beschädigung ihres Eigentums geltend machen.
a) Die Beklagte war als alleinerziehungsberechtigte Mutter Inhaberin des Personensorgerechts und gegenüber ihrem damals noch nicht ganz 9-jährigen Sohn XY zur Aufsicht verpflichtet. Unstreitig war ihr bekannt, dass er gern mit dem Feuer spielte und schon zweimal vor … 1997 in der Schule „gezündelt“ hatte. Für die Pflicht zur Aufsicht über Kinder sowohl hinsichtlich der Belehrung über die Gefahren des Feuers als auch der Überwachung eines möglichen Umgangs mit Zündmitteln, an die schon im Normalfall strenge Anforderungen zu stellen ist (vgl. BGH NJW 1993, 1003), gelten besonders gesteigerte Anforderungen, wenn dem Aufsichtspflichtigen die Zündelneigung des Kindes bekannt ist. Der Umfang der gebotenen Aufsicht richtet sich grundsätzlich nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes. Der Aufsichtspflichtige muss es nicht nur eindringlich über die Gefährlichkeit des Spiels mit dem Feuer belehren, sondern auch streng darauf achten, dass das Kind nicht unerlaubt in den Besitz von Streichhölzern oder anderen Zündmitteln gelangt (BGH NJW 1993, 1003). Im Fall von Zündelneigung darf ein knapp 10-jähriges Kind in der Regel auch nicht mehrere Stunden unbeaufsichtigt im Freien gelassen werden (BGH NJW 1996, 1404). Der Aufsichtspflichtige hat gemäß § 832 Abs. 1 Satz 2 BGB darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, welche Maßnahmen er ergriffen hat, um seiner Aufsichtspflicht nachzukommen (BGH NJW 1990, 2354).
b) Die Beklagte hat vorgetragen, dass die in ihrem Haushalt verwendeten Feuerzeuge in dem verschlossenen Wohnzimmer aufbewahrt worden seien, dass sie regelmäßig Taschenkontrollen bei ihrem Sohn durchgeführt und ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit über die Gefahren des Feuers belehrt habe.
Der Beklagte zu 1) hat bei seiner ersten Befragung dem ermittelnden Polizeibeamten erklärt, er habe das von ihm benutzte Feuerzeug am Montag vor dem Vorfall vom Küchentisch zu Hause weggenommen, wo es herumgelegen sei. Bei seiner zweiten Befragung hat er dann aber angegeben, dass er seinem im Haushalt lebenden Großvater in einem unbeobachteten Augenblick den Schlüssel für die Wohnzimmertür aus der Hosentasche genommen, damit die Wohnzimmertür aufgesperrt und das auf dem Wohnzimmertisch liegende Feuerzeug mitgenommen habe.
Der Großvater des Beklagten zu 1) hat angegeben, er könne sich nur vorstellen, dass sein Enkel in der Nacht den Wohnzimmerschlüssel aus seiner Hosentasche genommen habe und so an ein Feuerzeug im versperrten Wohnzimmer gelangt sei. Die Beklagte … habe beim Beklagten zu 1) einige Male Taschenkontrollen gemacht, dabei aber kein Feuerzeug gefunden.
Auch wenn man davon ausgeht, dass die vom Beklagten zu 1) geschilderte zweite Version, wie er an das für den von ihm verursachten Schwelbrand benutzte Feuerzeug gelangt ist, richtig ist, hat sich die Beklagte nicht ausreichend entlastet. Da ihr Sohn bereits am Montag, also zwei Tage vor dem Vorfall, sich in den Besitz des Feuerzeugs gesetzt hatte, hätte es ihr in der Zeit bis zum Tattag auffallen müssen, dass eines ihrer drei Feuerzeuge, die nach ihrer Behauptung in dem versperrten Wohnzimmer aufbewahrt wurden, fehlte. Dies gilt umso mehr, als ja das fragliche Feuerzeug nach den Angaben des Beklagten zu 1) auf dem Wohnzimmertisch lag. Spätestens im Laufe des Dienstages hätte sie das Fehlen dieses Feuerzeuges bemerken müssen. Dies hätte sie dazu veranlassen müssen, intensiv nach dem Verbleib des Feuerzeuges zu forschen und spätestens eine Taschenkontrolle bei ihrem Sohn durchzuführen, bevor er am Mittwoch zur Schule geht. Dass sie dies getan hat, hat sie nicht vorgetragen. Der Zeuge hat im übrigen nicht bestätigt, dass die Beklagte … regelmäßig und damit auch am Tattag die Taschen ihres Sohnes auf Zündmittel untersucht hat.
c) Die Verletzung der hier im konkreten Fall erforderlichen Aufsichtspflichten erfolgte auch schuldhaft in Form von leichter Fahrlässigkeit. Die Beklagte kannte die Zündelneigung ihres Sohnes und war sich auch bewusst, dass sie ihn besonders überwachen mußte. Auch wenn es zutreffen sollte, dass die im Haushalt verwendeten drei Feuerzeuge normalerweise im Wohnzimmer weggesperrt sind, hätte sie erkennen können und müssen, dass das bloße Versperren des Wohnzimmers nicht genügt, wenn nicht gleichzeitig sichergestellt ist, dass sich die Feuerzeuge tatsächlich dort befinden, da ja jederzeit mit der Möglichkeit zu rechnen ist, dass sie oder ihr im Haushalt lebender Vater, der ebenfalls Raucher ist, eines der Feuerzeuge aus Gedankenlosigkeit mitnimmt und ausserhalb des Wohnzimmers liegen lässt oder es ihrem Sohn gelingt, sich in den Besitz eines Wohnzimmerschlüssels zu setzen. Ohne eine regelmäßige Kontrolle, ob die Feuerzeuge tatsächlich im Wohnzimmer weggesperrt sind, ist das Versperren des Wohnzimmers selbst sinnlos. Dies hätte die Beklagte erkennen können. Deshalb hätte es ihr auch wenigstens im Laufe des 04.XX.1997 auffallen müssen, dass eines der Feuerzeuge fehlt. Eine Nachforschung über den Verbleib dieses Feuerzeuges und eine Taschenkontrolle bei ihrem Sohn XY vor dem Gang zur Schule hätte mit Wahrscheinlichkeit den Vorfall verhindert. Jedenfalls ist nicht dargetan worden, dass auch bei gehöriger Aufsichtsführung die Eigentumsbeschädigung der Stadt X gleichfalls eingetreten wäre (§ 832 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
d) Die Beklagte hat daher die Schadensersatzansprüche der Stadt X in der unstreitigen Höhe von DM 29.122,– und DM 1.075,48 zu begleichen.