Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Nachbarschaftsstreit: Rechte und Ansprüche bei Setzungsschäden klären
- Der Fall vor Gericht
- Gerichtsentscheid: Bauarbeiten auf Nachbargrundstück verursachen Setzungsschäden – Eigentümerin erhält über 51.000 Euro
- Schadensfall durch Rüttelplatte und Baggerpfähle
- Gravierende Schäden am Windfang
- Technische Ursachen nachgewiesen
- Gesamtschuldnerische Haftung festgestellt
- Bauunternehmen missachtete Sorgfaltspflichten
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Welche Schadensersatzansprüche habe ich als Hauseigentümer bei Bauschäden durch Nachbarn?
- Wie dokumentiere ich Bauschäden an meinem Haus rechtssicher?
- Wer haftet bei Bauschäden: Bauherr, Bauunternehmen oder beide?
- Welche Fristen muss ich bei Bauschäden durch Nachbarn beachten?
- Wie kann ich mich vor Bauschäden durch Nachbarn präventiv schützen?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landgericht Göttingen
- Datum: 10.09.2020
- Aktenzeichen: 8 O 224/14
- Verfahrensart: Zivilprozess wegen Schadensersatzansprüchen nach Baumaßnahmen
- Rechtsbereiche: Nachbarrecht, Schadensersatzrecht, Baurecht
Beteiligte Parteien:
- Klägerin: Eigentümerin eines Hauses, das durch Bautätigkeiten auf dem Nachbargrundstück beschädigt wurde. Sie fordert Schadensersatz für die Bauschäden am Anbau (Windfang).
- Beklagter 1: Grundstückseigentümer des angrenzenden Grundstücks, das Bauarbeiten in Auftrag gegeben hat. Er argumentiert, dass die Durchführung ordnungsgemäß beauftragt und nicht vorhersehbar war, dass diese zu Schäden führen würden.
- Beklagter 2: Bauunternehmer, der die Bauarbeiten durchgeführt hat. Er argumentiert, dass die Arbeiten ordnungsgemäß geplant und durchgeführt wurden, und bestreitet die Schadensursache.
Um was ging es?
- Sachverhalt: Die Klägerin machte geltend, dass Bauarbeiten auf dem benachbarten Grundstück des Beklagten 1, die durch den Beklagten 2 ausgeführt wurden, erhebliche Schäden an ihrem Anbau verursacht hätten, darunter Absenkungen und Risse. Die Klägerin forderte Schadenersatz für die entstandenen Schäden.
- Kern des Rechtsstreits: Die zentrale Frage war, ob die Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück ursächlich für die Schäden am Gebäude der Klägerin waren und ob Schadens- oder Entschädigungsansprüche bestehen.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Beklagten wurden verurteilt, der Klägerin gemeinschaftlich 51.932,06 € als Schadensersatz zu zahlen. Zudem wurde festgestellt, dass beide Beklagten für weitere Schäden, die auf das Schadensereignis zurückzuführen sind, haften.
- Begründung: Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Bauarbeiten des Beklagten 2 auf dem Grundstück des Beklagten 1 ursächlich für die Schäden am Gebäude der Klägerin waren. Dieser Zusammenhang wurde durch mehrere Gutachten gestützt. Auch eine Verschuldensunabhängige Haftung nach § 906 BGB (rechtlich unabhängiger Nachbarentschädigungsanspruch) wurde bejaht. Der Beklagte 1 konnte nicht nachweisen, dass er seine Verkehrssicherungspflichten vollständig delegiert hatte.
- Folgen: Die Entscheidung verpflichtet die Beklagten zur Zahlung des Schadenersatzes und mögliche zukünftige Kosten aus dem Schadensereignis. Die Beklagten haften gesamtschuldnerisch. Die Feststellungsklage sichert der Klägerin mögliche weitere Ansprüche für Folgeschäden ab.
Nachbarschaftsstreit: Rechte und Ansprüche bei Setzungsschäden klären
Aufgrabungsarbeiten und Erdbauarbeiten auf einem Grundstück können nicht nur für den Verursacher, sondern auch für die Nachbarn weitreichende Folgen haben. Insbesondere, wenn durch diese Maßnahmen Bodenbewegungen entstehen, die Setzungsschäden am Nachbargrundstück verursachen, kann ein Nachbarschaftsstreit schnell entflammen. Das Nachbarrecht sieht vor, dass Eigentümer bei der Nutzung ihres Grundstücks Rücksicht auf die Rechte ihrer Nachbarn nehmen müssen, um Schäden zu vermeiden.
In solchen Fällen kann ein Ausgleichsanspruch für die betroffenen Nachbarn entstehen, die durch die Erschütterungen oder Veränderungen ihres Grundstücks in ihrem Eigentumsrecht beeinträchtigt werden. Hier stellt sich oft die Frage der Beweislast und welcher Rechtsanspruch tatsächlich besteht. Ein aktuelles Gerichtsurteil wird im Folgenden die rechtlichen Rahmenbedingungen und die konkreten Ansprüche beleuchten.
Der Fall vor Gericht
Gerichtsentscheid: Bauarbeiten auf Nachbargrundstück verursachen Setzungsschäden – Eigentümerin erhält über 51.000 Euro
Schadensfall durch Rüttelplatte und Baggerpfähle
Das Landgericht Göttingen hat einer Hausbesitzerin Schadensersatz in Höhe von knapp 52.000 Euro für Schäden an ihrem Wohnhaus zugesprochen, die durch Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück entstanden sind. Der Windfang-Anbau an ihrem Wohnhaus hatte sich durch die Erschütterungen von der Hauswand gelöst und in Richtung des Nachbargrundstücks abgesenkt. Als Verursacher wurden sowohl der bauende Nachbar als auch das ausführende Bauunternehmen identifiziert.
Gravierende Schäden am Windfang
Die gerichtlich bestellten Sachverständigen stellten erhebliche Schäden fest: Der Anbau hatte sich um 27 Millimeter abgesenkt und schief gestellt. An der Dachtraufe war ein etwa 60 Millimeter breiter Spalt zwischen Hauswand und Anbau entstanden. Als Ursache ermittelten die Gutachter eine Absenkung des Fundaments, ausgelöst durch Erschütterungen bei den Bauarbeiten im Juli 2011.
Technische Ursachen nachgewiesen
Die Sachverständigen führten die Schäden auf zwei Hauptursachen zurück: Zum einen wurde durch das Einbringen von Baggerpfählen die Tragfähigkeit des Baugrunds unter dem Windfang beeinträchtigt. Zum anderen verursachte eine eingesetzte Rüttelplatte starke Schwingungen, die weit über den zulässigen Grenzwerten der einschlägigen DIN-Norm lagen. Der stark vibrationsanfällige Baugrund verstärkte diese Effekte zusätzlich.
Gesamtschuldnerische Haftung festgestellt
Das Gericht verurteilte sowohl den Grundstückseigentümer als auch das Bauunternehmen als Gesamtschuldner zur Zahlung von 51.932,06 Euro. Der Eigentümer haftet nach dem nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch verschuldensunabhängig für die Schäden. Dem Bauunternehmen wurde eine schuldhafte Verletzung seiner Sorgfaltspflichten nachgewiesen, da es vor Beginn der Arbeiten keine ausreichenden Untersuchungen des Baugrunds durchgeführt und die vorliegende Gründungsempfehlung nicht beachtet hatte.
Bauunternehmen missachtete Sorgfaltspflichten
Nach Überzeugung des Gerichts hätte das Bauunternehmen aufgrund des geringen Abstands zum Nachbargebäude gemäß DIN 4123 zunächst weitere Untersuchungen zur Konstruktion und zu den Bodenverhältnissen im Bereich des Anbaus durchführen müssen. Auch der Einsatz der Rüttelplatte zur Schotterverdichtung war technisch weder zulässig noch möglich, wie sich aus der vorhandenen Gründungsempfehlung ergab.
Das Gericht stellte zusätzlich fest, dass die Geschädigte auch Anspruch auf Ersatz künftiger Schäden hat, soweit diese auf das Schadensereignis vom Juli 2011 zurückgehen. Die Kostenentscheidung wurde zu 34 Prozent der Klägerin und zu 66 Prozent den Beklagten als Gesamtschuldnern auferlegt.
Die Schlüsselerkenntnisse
„Das Urteil stärkt die Position von Hausbesitzern bei Schäden durch Bauarbeiten auf Nachbargrundstücken. Es zeigt, dass sowohl der Bauherr als auch das ausführende Bauunternehmen für Schäden haften können, selbst wenn ein Bodengutachten eingeholt und Fachfirmen beauftragt wurden. Entscheidend ist dabei nicht nur die unmittelbare Schadensverursachung, sondern auch die Missachtung von technischen Normen und Sorgfaltspflichten bei der Bauausführung.“
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Als Hausbesitzer können Sie bei Schäden durch Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück sowohl den Bauherrn als auch die Baufirma auf Schadensersatz verklagen. Sie müssen dabei nicht nachweisen, dass vor den Bauarbeiten keine Schäden vorhanden waren – ein zeitlicher Zusammenhang zwischen den Arbeiten und dem Schadenseintritt reicht als Beweis aus. Die Kosten für die komplette Schadensbehebung können Sie einfordern, ohne Abzüge für eine eventuelle Wertsteigerung durch die Reparatur hinnehmen zu müssen. Wichtig ist eine zeitnahe Dokumentation der Schäden und die Einholung von Sachverständigengutachten zur Beweissicherung.
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Wenn Bauarbeiten in Ihrer Nachbarschaft zu Schäden an Ihrem Eigentum geführt haben, ist eine fundierte rechtliche Einschätzung der erste wichtige Schritt. Wir analysieren Ihre individuelle Situation und prüfen Ihre Ansprüche gegen Bauherren und ausführende Unternehmen. Durch unsere langjährige Erfahrung mit Nachbarschaftsrecht und Baumängeln können wir Ihnen aufzeigen, wie Sie Ihre Rechte effektiv durchsetzen. ✅ Fordern Sie unsere Ersteinschätzung an!
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche Schadensersatzansprüche habe ich als Hauseigentümer bei Bauschäden durch Nachbarn?
Bei Bauschäden durch Arbeiten auf dem Nachbargrundstück stehen Ihnen als Hauseigentümer verschiedene Anspruchsgrundlagen zur Verfügung.
Verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch gegen den Nachbarn
Der wichtigste Anspruch ist der verschuldensunabhängige nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB gegen den bauenden Nachbarn. Dieser greift auch dann, wenn die DIN-Normen für Erschütterungen eingehalten wurden. Der Anspruch besteht, wenn:
- Die Schäden nicht so geringfügig sind, dass Sie sie ohne Entschädigung hinnehmen müssen
- Sie keine Möglichkeit hatten, die Schäden durch rechtliche Schritte zu verhindern
Ansprüche gegen das Bauunternehmen
Gegen das ausführende Bauunternehmen können Sie Schadensersatzansprüche geltend machen, wenn diesem ein schuldhaftes Verhalten nachgewiesen werden kann. Das Bauunternehmen haftet allerdings nicht, wenn:
- Die Arbeiten nach den anerkannten Regeln der Technik durchgeführt wurden
- Die vorgeschriebenen DIN-Normen und Grenzwerte eingehalten wurden
Gesamtschuldnerische Haftung
In vielen Fällen haften Bauherr und Bauunternehmen als Gesamtschuldner. Dies bedeutet, Sie können den vollen Schadensersatz von jedem der Beteiligten verlangen. Der Schadensersatz umfasst:
- Die Beseitigung der entstandenen Schäden
- Eventuell entstehende Mietausfallschäden
- Sonstige durch die Schäden verursachte Kosten
Besonderheiten bei Vorschäden
Selbst wenn Ihr Haus bereits vor den Bauarbeiten Schäden aufwies, schließt dies Ihre Ansprüche nicht aus. In solchen Fällen wird lediglich die Höhe der Ausgleichszahlung entsprechend angepasst. Bei einem Gebäude mit Vorschäden durch Kriegseinwirkungen wurde beispielsweise der Ausgleichsbetrag um 15 Prozent reduziert.
Wie dokumentiere ich Bauschäden an meinem Haus rechtssicher?
Eine rechtssichere Dokumentation von Bauschäden beginnt idealerweise vor dem Start der Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück. Erstellen Sie ein detailliertes Beweissicherungsprotokoll mit Fotos und Beschreibungen des aktuellen Zustands Ihres Hauses.
Dokumentation vor Baubeginn
Fertigen Sie eine umfassende Fotodokumentation aller relevanten Bereiche Ihres Hauses an. Achten Sie besonders auf bereits vorhandene Risse, Setzungen oder andere Auffälligkeiten. Die Aufnahmen müssen mit Datum und Uhrzeit versehen sein.
Ein qualifizierter Sachverständiger sollte den Ist-Zustand Ihres Hauses in einem Gutachten festhalten. Dies ist besonders wichtig bei historischen Gebäuden oder bereits vorhandenen Schäden.
Laufende Dokumentation während der Bauphase
Dokumentieren Sie neue Schäden unverzüglich und detailliert. Erfassen Sie dabei:
- Genaue Position und Ausmaß der Schäden
- Datum und Uhrzeit der Entdeckung
- Zusammenhang mit konkreten Bauarbeiten
- Verformungen an Bauteilen
- Rissverläufe mit Breite und Versatz
Rechtliche Absicherung
Informieren Sie den Bauherrn schriftlich über aufgetretene Schäden. Verlangen Sie die Vorlage der Bauunterlagen wie Grundrisse, Schnitte und das Baugrundgutachten.
Nach § 909 BGB haftet der Bauherr für Schäden durch Abgrabungen oder ähnliche Eingriffe. Dies gilt auch bei größeren Bauvorhaben wie U-Bahn-Tunneln. Die Beweislast für den Zusammenhang zwischen Bauarbeiten und Schäden liegt bei Ihnen als Eigentümer.
Baudokumentation
Eine vollständige Baudokumentation umfasst:
- Bautagebücher und Bautagesberichte
- Korrespondenzen mit Behörden und Bauherren
- Mängellisten
- Abnahmeprotokolle
- Sicherheitsunterlagen
Bewahren Sie alle Unterlagen mindestens fünf Jahre nach Abnahme der Bauleistung auf. Bei möglichen Mangelfolgeschäden ist eine Aufbewahrung von 30 Jahren sinnvoll.
Wer haftet bei Bauschäden: Bauherr, Bauunternehmen oder beide?
Die Haftung bei Bauschäden richtet sich nach dem Zeitpunkt der Schadensentstehung und der Schadensursache. Vor der Bauabnahme trägt grundsätzlich das Bauunternehmen die Verantwortung für Schäden an der Bauleistung und muss diese auf eigene Kosten beseitigen.
Haftung des Bauunternehmens
Das Bauunternehmen haftet für:
- Mangelhafte Ausführung der Bauarbeiten
- Planungsfehler bei übernommener Planungsverantwortung
- Schäden durch unsachgemäße Bauausführung
Die Gewährleistungsfrist für Baumängel beträgt standardmäßig fünf Jahre ab der Bauabnahme. Bei nachgewiesenem Vorsatz oder arglistiger Täuschung verlängert sich diese Frist.
Haftung des Bauherrn
Der Bauherr trägt die Verantwortung für:
- Schäden durch unabwendbare Ereignisse wie Hochwasser oder Sturm
- Vandalismus und Diebstahl nach der Bauabnahme
- Verletzung der Verkehrssicherungspflicht auf der Baustelle
Gesamtschuldnerische Haftung
In bestimmten Fällen haften Bauherr und Bauunternehmen gemeinsam als Gesamtschuldner. Dies gilt besonders bei Schäden an Nachbargrundstücken durch Bauarbeiten. Der Bauherr kann dabei nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB haften, während das Bauunternehmen nach § 823 Abs. 1 BGB zur Verantwortung gezogen wird.
Haftung weiterer Beteiligter
Architekten und Ingenieure haften für Planungsfehler und mangelhafte Bauüberwachung. Materiallieferanten können bei mangelhaften Baustoffen zur Verantwortung gezogen werden.
Bei Bauschäden ist die unverzügliche Dokumentation und Anzeige der Mängel entscheidend. Der Bauunternehmer erhält zunächst die Möglichkeit zur Nachbesserung, bevor weitere rechtliche Schritte eingeleitet werden können.
Welche Fristen muss ich bei Bauschäden durch Nachbarn beachten?
Bei Bauschäden durch Nachbarn gelten verschiedene zeitliche Vorgaben, die für die Durchsetzung von Ansprüchen entscheidend sind.
Dokumentationsfristen
Wenn Sie von geplanten Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück erfahren, haben Sie vier Wochen Zeit, um Einwendungen gegen das Bauvorhaben bei der Gemeinde vorzubringen. Diese Frist beginnt mit der Zustellung der Benachrichtigung durch die Gemeinde.
Anzeigepflichten
Sofortige Anzeigepflicht besteht bei erkennbaren Schäden während laufender Bauarbeiten. Eine unverzügliche Dokumentation und Meldung der Schäden ist für spätere Ansprüche essentiell.
Verjährungsfristen
Die reguläre Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche beträgt fünf Jahre nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Diese Frist beginnt mit der Kenntnis vom Schaden und der Person des Schädigers.
Besondere Fristen
Bei arglistig verschwiegenen Mängeln gelten erweiterte Fristen:
- Drei Jahre ab Kenntnis des Schadens
- Zehn Jahre ab Entstehung des Mangels
- 30 Jahre bei Schäden an Leben, Körper oder Gesundheit
Bei Schäden durch Grenzbebauung müssen die Fundamente des Nachbargebäudes nur abschnittsweise freigelegt werden. Wird diese Vorgabe missachtet und entstehen dadurch Schäden, besteht ein sofortiger Entschädigungsanspruch.
Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nach § 906 BGB greift auch dann, wenn alle technischen Normen eingehalten wurden, aber dennoch Schäden entstanden sind. Eine Haftung des Bauherrn besteht dabei verschuldensunabhängig.
Wie kann ich mich vor Bauschäden durch Nachbarn präventiv schützen?
Eine vorsorgliche Bautechnische Beweissicherung ist die wichtigste präventive Maßnahme zum Schutz vor Bauschäden durch Nachbarn. Diese dokumentiert den Zustand Ihres Gebäudes vor Beginn der Bauarbeiten.
Dokumentation des Ist-Zustands
Sobald Sie von geplanten Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück erfahren, sollten Sie den aktuellen Zustand Ihres Gebäudes umfassend dokumentieren. Dazu gehört die fotografische Erfassung aller relevanten Bereiche mit Datum und Uhrzeit, insbesondere von bereits vorhandenen Rissen oder anderen Schäden.
Beweissicherungsverfahren
Ein professionelles Beweissicherungsverfahren umfasst:
- Die Dokumentation des Baufeldes und angrenzender Gebäude
- Die Beurteilung möglicher Risiken wie Bodensenkungen
- Die Untersuchung von Wasser-, Gas- und Stromleitungen
- Eine sachverständige Beurteilung des Ist-Zustandes
Rechtliche Absicherung
Bestehen Sie darauf, dass die Beweissicherung durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen durchgeführt wird. Der Bauherr ist im Rahmen der gesetzlichen Regelungen haftbar und muss die Bestimmungen des BGB sowie der technischen Regelwerke einhalten.
Kommunikation mit dem Nachbarn
Eine frühzeitige Information über das geplante Bauvorhaben ist essentiell. Bei Grenzbebauung ist eine Sachstandsfeststellung durchzuführen. Die Beweissicherung sollte unabhängig vom Bauunternehmen durch einen Statiker begleitet werden.
Technische Vorsorgemaßnahmen
Bei direkter Grenzbebauung sind besondere Vorsichtsmaßnahmen erforderlich:
- Fundamente nur abschnittsweise freilegen
- Lastabtragung im Erdreich beachten
- Brandschutzwand bei Wand-an-Wand-Bebauung sicherstellen
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Gesamtschuldner
Ein Rechtsverhältnis, bei dem mehrere Schuldner gemeinsam für eine Schuld haften. Jeder Schuldner kann vom Gläubiger für die gesamte Leistung in Anspruch genommen werden. Dies ist in § 421 BGB geregelt. Zahlt ein Schuldner die gesamte Summe, wird auch der andere von seiner Pflicht befreit. Im Innenverhältnis können die Schuldner dann untereinander einen Ausgleich vornehmen. Beispiel: Wenn zwei Personen gemeinsam einen Schaden verursachen, kann das Opfer von jedem die volle Schadenssumme verlangen.
Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch
Ein gesetzlicher Anspruch nach § 906 BGB, der Grundstückseigentümern Ausgleichszahlungen zusichert, wenn sie Einwirkungen vom Nachbargrundstück dulden müssen, die zu Schäden führen. Der Anspruch besteht unabhängig vom Verschulden des Nachbarn. Typische Fälle sind Schäden durch Bauarbeiten, Erschütterungen oder Grundwasserabsenkungen. Wichtig ist, dass die Einwirkungen das ortsübliche Maß überschreiten und nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen verhindert werden können.
Verschuldensunabhängige Haftung
Eine Form der Haftung, bei der jemand auch dann für Schäden aufkommen muss, wenn ihn keine Schuld trifft. Sie ist in verschiedenen Gesetzen geregelt, etwa im Nachbarrecht (§ 906 BGB) oder im Straßenverkehr. Der Gesetzgeber will damit besondere Gefahrenquellen regulieren. Ein klassisches Beispiel ist der Halter eines Autos, der auch dann haftet, wenn er selbst gar nicht gefahren ist und ihn kein Verschulden trifft.
Beweislast
Die rechtliche Pflicht einer Partei im Prozess, bestimmte Tatsachen zu beweisen. Grundsätzlich muss nach § 286 ZPO derjenige die Beweise erbringen, der einen Anspruch geltend macht. Im Schadensersatzrecht bedeutet dies meist, dass der Geschädigte den Schaden und die Ursächlichkeit des schädigenden Ereignisses nachweisen muss. Bei bestimmten Gefährdungshaftungen kann sich die Beweislast auch umkehren.
Sorgfaltspflicht
Die rechtliche Verpflichtung, bei seinem Handeln die erforderliche Sorgfalt walten zu lassen, um Schäden zu vermeiden. Sie ergibt sich aus § 276 BGB und verschiedenen Spezialgesetzen. Im Baurecht bedeutet dies etwa die Pflicht zu angemessenen Voruntersuchungen oder die Einhaltung technischer Normen. Die Verletzung von Sorgfaltspflichten kann zu Schadensersatzansprüchen führen. Ein Beispiel ist die unterlassene Bodenuntersuchung vor Baubeginn.
Sachverständigengutachten
Ein fachliches Gutachten eines vom Gericht bestellten unabhängigen Experten nach § 404 ZPO. Es dient als Beweismittel zur Klärung technischer oder fachlicher Fragen, die das Gericht nicht selbst beurteilen kann. Der Sachverständige muss neutral sein und sein Gutachten nach bestem Wissen und Gewissen erstellen. Im Baurecht werden häufig Gutachten zur Klärung von Schadensursachen oder zur Bemessung von Schäden eingeholt.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 823 BGB (Schadensersatzpflicht): Diese Vorschrift regelt die Schadensersatzansprüche aufgrund von unerlaubten Handlungen. Sie besagt, dass derjenige, der einem anderen vorsätzlich oder fahrlässig einen Schaden zufügt, diesen zu ersetzen hat. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin durch die Bauarbeiten des Beklagten zu 1. und des Beklagten zu 2. Schäden an ihrem Eigentum erlitten, wodurch die Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch gemäß § 823 BGB gegeben ist.
- § 241 BGB (Pflichten aus einem Schuldverhältnis): Dieser Paragraph legt fest, dass aus einem Schuldverhältnis Pflichten entstehen, die die Vertragspartner zu beachten haben. Im Bezug auf den Bauvertrag zwischen dem Beklagten zu 1. und dem Beklagten zu 2. haftet dieser für die ordnungsgemäße Durchführung der Arbeiten, was hier im Streit steht, da die Arbeiten schwerwiegende Schäden an den angrenzenden Grundstück der Klägerin verursacht haben.
- § 910 BGB (Bauwerksschaden): Nach dieser Vorschrift ist der Grundstücksnachbar verpflichtet, bei der Errichtung von Baumaßnahmen auf die Belange seiner Nachbarn Rücksicht zu nehmen. Hierbei kann es sich um abwehrende Maßnahmen gegen Schäden handeln, die durch Bauarbeiten am Nachbargrundstück entstanden. Im vorliegenden Fall könnte der Beklagte zu 1. gegen diese Vorschrift verstoßen haben, indem er unzureichend auf die möglichen Auswirkungen der Bauarbeiten auf die Nachbarliegenschaft geachtet hat.
- § 906 BGB (Zulässigkeit einer Immission): Dieser Paragraph regelt, unter welchen Bedingungen Immissionen (wie Lärm, Erschütterungen) von einem Grundstück auf ein angrenzendes Grundstück zulässig sind. Störende Immissionen sind demnach nur insoweit erlaubt, als sie für den Nachbarn zumutbar sind. Die Klägerin beruft sich darauf, dass die Verdichtungsarbeiten mit der Rüttelplatte nicht zumutbar waren und zu den Schäden an ihrem Anbau führten.
- § 278 BGB (Haftung für Erfüllungsgehilfen): Gemäß dieser Vorschrift haftet der Schuldner (hier der Beklagte zu 1.) auch für die Pflichtverletzungen von Personen, denen er die Ausführung seiner vertraglichen Pflichten überträgt (nicht selbst durchführt). Im vorliegenden Fall wird der Beklagte zu 1. dafür haftbar gemacht, dass der Beklagte zu 2. für die unsachgemäße Durchführung der Bauarbeiten verantwortlich ist, was den schadenersatzpflichtigen Zustand hervorgerufen hat.
Das vorliegende Urteil
Landgericht Göttingen – Az.: 8 O 224/14 – Urteil vom 10.09.2020
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