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Auswahlkriterien bei der Vergabe von Kita-Plätzen

OVG Lüneburg – Az.: 10 ME 174/20 – Beschluss vom 03.09.2020

Das Verfahren wird eingestellt.

Der Antragsteller und der Antragsgegner tragen jeweils die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Nachdem der Antragsteller und der Antragsgegner das Beschwerdeverfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen und über die außergerichtlichen Kosten des nach § 188 VwGO gerichtskostenfreien Verfahrens gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden.

Hier entspricht es der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu teilen. Denn der Antragsteller hätte im Beschwerdeverfahren zwar voraussichtlich nicht die beantragte Zuweisung eines Platzes in einer Krippengruppe einer Tageseinrichtung, aber wahrscheinlich eine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses und die Verpflichtung des Antragsgegners im Wege der einstweiligen Anordnung, über sein Begehren neu zu entscheiden, erreichen können.

Auswahlkriterien bei der Vergabe von Kita-Plätzen
Symbolfoto: Von Andrey_Kuzmin/Shutterstock.com

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ermöglicht das Wunsch- und Wahlrecht gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VIII dem anspruchsberechtigten Kind und seinen Erziehungsberechtigten allerdings nur, innerhalb des tatsächlich vorhandenen Angebots einen Betreuungsplatz auszuwählen (Senatsbeschluss vom 19.12.2018 – 10 ME 395/18 -, juris Rn. 15 m.w.N.). Denn § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII gewährt nur einen Anspruch auf den Nachweis eines bedarfsgerechten Betreuungsplatzes in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege und keinen Anspruch auf Ausweitung der vorhandenen Kapazitäten in der gewünschten Einrichtung (Senatsbeschlüsse vom 13.08.2020 – 10 LA 78/20 -, juris Rn. 11, und vom 19.12.2018 – 10 ME 395/18 -, juris Rn. 15 m.w.N.). Der Anspruch auf Förderung nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII kann sich jedoch mit Rücksicht auf das Wunsch- und Wahlrecht gemäß § 5 SGB VIII auf den Besuch einer bestimmten Einrichtung “verdichten“, wenn dort ein bedarfsgerechter und belegbarer Platz für die gewünschte Betreuung vorhanden ist und atypische Umstände nicht vorliegen (Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.11.2014 – 4 ME 221/14 -, juris Rn. 5). Liegen – wie hier – mehr Aufnahmeanträge vor als Plätze in der gewünschten Tageseinrichtung bzw. den ausgewählten Einrichtungen vorhanden sind, ist ein sachgerecht ausgestaltetes Vergabeverfahren zur Vergabe der Betreuungsplätze durchzuführen (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 28.08.2017 – OVG 6 S 30.17 -, juris Rn. 17).

Dabei sind die für Tageseinrichtungen und die Kindertagespflege geltenden Grundsätze der Förderung gemäß § 22 SGB VIII zu berücksichtigen, da diese auch Hinweise für sachgerechte Auswahlkriterien im Rahmen dieses Vergabeverfahrens geben. Nach § 22 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII soll sich die Förderung am Alter und Entwicklungsstand, den sprachlichen und sonstigen Fähigkeiten, der Lebenssituation sowie den Interessen und Bedürfnissen des einzelnen Kindes orientieren und seine ethnische Herkunft berücksichtigen. Diesen sich am Kind orientierenden Kriterien hat der Antragsgegner bei seinem Vergabeverfahren insoweit entsprochen, als er die vorhandenen Plätze nach dem Alter der Kinder vergeben und dabei älteren Kindern den Vorzug gegeben hat. Die in § 22 Abs. 2 SGB VIII aufgeführten Zielsetzungen für Tageseinrichtungen hat der Antragsgegner bzw. die in seinem Auftrag handelnde Gemeinde jedoch nicht hinreichend berücksichtigt. Denn nach dieser Vorschrift sollen Tageseinrichtungen für Kinder nicht nur die Entwicklung des Kindes fördern (Nr. 1) und die Erziehung und Bildung in der Familie unterstützen (Nr. 2), sondern den Eltern auch dabei helfen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können (Nr. 3). Dementsprechend bestimmt auch § 22a Abs. 3 SGB VIII, dass das Angebot in Tageseinrichtungen sich pädagogisch und organisatorisch an den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Familien orientieren soll (Satz 1) und im Falle der Schließung von Einrichtungen in den Ferienzeiten für Kinder, die nicht von den Erziehungsberechtigten betreut werden können, eine anderweitige Betreuungsmöglichkeit sicherzustellen ist (Satz 2).

Nach allem ist die Erwerbstätigkeit der Eltern ein erheblicher sozialer Belang (vgl. hierzu auch Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 06.08.2013 – 4 ME 179/13 -, nicht veröffentlicht), dessen völlige Nichtberücksichtigung im Vergabeverfahren ermessensfehlerhaft sein dürfte. Dies zeigt gerade auch der vorliegende Fall. Denn nach den ausschließlich auf das Alter des Kindes abstellenden Vergabekriterien des Antragsgegners bzw. des im Auftrag des Antragsgegners handelnden Kindergartenträgers haben jüngere Kinder trotz der Berufstätigkeit ihrer Eltern und einer möglicherweise auch früheren Anmeldung in jedem Fall einen schlechteren Platz auf der Warteliste als ältere Kinder, auch wenn deren Eltern nicht berufstätig sind und sie sich erst später angemeldet haben.

Der Antragsgegner wäre daher im Wege der einstweiligen Anordnung voraussichtlich zu verpflichten gewesen, dass Vergabeverfahren nicht nur nach Maßgabe des – für sich genommen – sachgerechten Kriteriums des Alters der Kinder, sondern auch unter Berücksichtigung der Berufstätigkeit der Eltern des Antragstellers (und der Eltern der anderen Kinder) sowie möglicherweise weiterer sachgerechter Kriterien erneut durchzuführen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 2 VwGO).

 

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