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Fahrverbot – absehen von der Verhängung durch Richter

OLG Hamm

Az: 4 Ss OWi 502/03

Beschluss vom: 22.07.2003


Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Arnsberg gegen das Urteil des Amtsgerichts Meschede vom 07. April 2003 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 22. 07. 2003 beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

In diesem Umfang wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Meschede zurückverwiesen.

Gründe:

I.
Das Amtsgericht Meschede hat den Betroffenen durch Urteil vom 06. November 2002 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer – erhöhten – Geldbuße von 150,00 € verurteilt, jedoch von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen. Auf die gegen dieses Urteil eingelegte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Arnsberg hat der Senat mit Beschluss vom 06. Februar 2003 das Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Meschede zurückverwiesen.

Mit Urteil vom 07. April 2003 hat das Amtsgericht Meschede den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer erhöhten Geldbuße von 180,00 € verurteilt, von der Verhängung des Regelfahrverbotes jedoch erneut abgesehen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die statthafte sowie form- und fristgerechte eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Arnsberg, der die Generalstaatsanwaltschaft mit ergänzendem Bemerken beigetreten ist.

II.
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Meschede.

Die Begründung, mit der das Amtsgericht von der Verhängung des Regelfahrverbots abgesehen hat, ist lückenhaft.

Insoweit heißt es im angefochtenen Urteil:
„Gem. § 4 Abs. 4 BKatV kann von einem Fahrverbot ausnahmsweise abgesehen werden und das für den betreffenden Tatbestand als Regelsatz vorgesehene Bußgeld angemessen erhöht werden. Ein Absehen kommt dann in Betracht, wenn erhebliche Härten oder eine Vielzahl gewöhnlicher Umstände vorliegen, die es unangemessen erscheinen lassen, den Betroffenen trotz des groben bzw. beharrlichen Verstoßes mit einem Fahrverbot zu belegen.

Eine solche erhebliche Härte liegt zur Überzeugung der Richterin nach der durchgeführten Beweisaufnahme vor.

Der Zeuge W. hat das Arbeitsgebiet des Betroffenen beschrieben. Er hat ferner ausgesagt, dass der Betroffene rund um die Uhr flexibel einsatzbereit sein müsse und dass, falls er dies aufgrund eines Fahrverbotes nicht mehr sei, der Betrieb aufgrund seiner Unternehmensstruktur gezwungen sei, sich von dem Betroffenen zu trennen, da der Betrieb einen vierwöchigen Ausfall des Betroffenen aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht abfangen könne. Das Fahrverbot hätte also den Verlust des Arbeitsplatzes für den Betroffenen zur Folge. Der Betroffene ist 53 Jahre alt. Bei der derzeitigen Situation auf dem Arbeitsmarkt ist es für den Betroffenen äußerst schwer, eine neue Stelle zu bekommen. Er ist aber zwei Kindern gegenüber unterhaltspflichtig. Der Verlust seines Arbeitsplatzes hätte für den Betroffenen und seine Familie existentielle Folgen.

Der Betroffene ist als Service-Techniker „Vielfahrer“. Er fährt im Jahr rd. 80.000 km. Bislang ist er aber „nur“ einmal verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten. Dies zeigt nach Auffassung der Richterin, dass es sich „normalerweise“ bei dem Betroffenen um einen Fahrer handelt, der die Verkehrsregeln beachtet.

Sinn und Zweck des Fahrverbotes ist es, als Denkzettel und Besinnungsmaßnahme zur Hebung der Verkehrssicherheit beizutragen, erfüllt also in erster Linie spezialpräventive Aufgaben. Sinn ist es nicht, dem Betroffenen und seiner Familie die wirtschaftliche Grundlage zu entziehen.

Die Richterin ist davon überzeugt, dass die spezialpräventive Aufgabe der „Denkzettel-Funktion“ mit der Verhängung einer Geldbuße, die die Regelgeldbuße um mehr als 200 % übersteigt, sowie mit der Erkenntnis des Betroffenen, dass er bei einem weiteren Verkehrsverstoß Gefahr läuft, endgültig mit einem Fahrverbot belegt zu werden, sowie mit der Ermahnung, dass er, wenn er auf seinen Führerschein angewiesen sei, sein Fahrverhalten auch danach auszurichten habe, ausreichend erfüllt wird.“

Diese Ausführungen lassen wesentliche Gesichtspunkte unerörtert.

Zwar kann von der Verhängung eines gem. § 4 Abs. 1 BKatV indizierten Regelfahrverbotes ausnahmsweise – unter Erhöhung der Regelgeldbuße – abgesehen werden, wenn erhebliche Härten oder eine Vielzahl gewöhnlicher Umstände vorliegen, die es unangemessen erscheinen lassen, den Betroffenen trotz des groben bzw. beharrlichen Pflichtverstoßes mit einem Fahrverbot zu belegen (vgl. BGHSt 38, 125, 134; ständige Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 25 StVG, Rdnr. 24 m. w. N.). Die Tatrichterin hat versucht, für diese ihre Überzeugung vom Vorliegen eines Ausnahmefalles eine auf Tatsachen gestützte Begründung zu geben und die Einlassung des Betroffenen durch Zeugenvernehmung überprüft.

Dabei hat sie die Zeugenaussage jedoch völlig unkritisch hingenommen und nicht hinterfragt.

Ob der Betroffene im vorliegenden Fall tatsächlich mit schwerwiegenden beruflichen bzw. wirtschaftlichen Nachteilen zu rechnen hat, ist sehr fraglich. Zwar hat der vom Amtsgericht vernommene Mitarbeiter der Arbeitgeberin des Betroffenen dessen Kündigung für den Fall der Verhängung eines Fahrverbots als unausweichlich dargestellt. Das Amtsgericht hat es jedoch unterlassen, die arbeitsrechtliche Durchsetzbarkeit einer solchen Kündigung kritisch zu erörtern. Selbst wenn der Betroffene, der nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils tagtäglich rund um die Uhr im Einsatz und damit unersetzlich ist, für die Dauer des Fahrverbots nicht in der Lage wäre, seine Arbeitsstellen eigenhändig anzusteuern, wären die naheliegenden anderen Möglichkeiten, den Betroffenen dorthin zu verbringen, vor dem Hintergrund der Angemessenheit einer Kündigung zu prüfen gewesen. Es ist kaum nachvollziehbar, warum es für eine mittelständische Firma, die nach den amtsgerichtlichen Feststellungen über zwei weitere Techniker und wahrscheinlich über weitere Angestellte verfügt, nicht möglich und zumutbar sein sollte, einen derart wertvollen und unersetzlichen Mitarbeiter wie den Betroffenen über einen begrenzten Zeitraum, der sich durch die Inanspruchnahme der durch § 25 Abs. 2 a StVG eröffneten Möglichkeit noch verkürzen ließe, zu seinen jeweiligen Einsatzorten mit einem Fahrer bringen zu lassen. Ausführungen dazu lässt das Amtsgericht vermissen.

Ferner hat die Amtsrichterin, worauf die Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweisen, die erschreckend hohe Rückfallgeschwindigkeit des Betroffenen unberücksichtigt gelassen. Dieser ist erst mit Bußgeldbescheid vom 12. März 2002, rechtskräftig seit dem 28. März 2002, wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung mit einer Geldbuße belegt worden. Die Geschwindigkeitsüberschreitung hier ist nur einige Tage später, am 25. April 2002, begangen worden. Ferner wird dem Betroffenen im Verfahren 9 OWi 110 Js 865/02 AG Arnsberg eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung am 19. April 2002 zur Last gelegt. Insoweit hat der Senat mit Beschluss vom 04. März 2003 auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Arnsberg das Urteil des Amtsgerichts Arnsberg vom 29. Oktober 2002, das ebenfalls von der Verhängung des Regelfahrverbots abgesehen hatte, im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben. Unter diesen Umständen hätte es nahegelegen, die Verhängung eines Fahrverbots selbst bei Annahme schwerwiegender beruflicher Nachteile in Erwägung zu ziehen, wenn nur damit der offenbar dringend erforderliche Besinnungs- und Denkzetteleffekt erzielt werden kann (vgl. zur Frage der Verhängung eines Fahrverbots gegen Berufskraftfahrer – dort Taxifahrer – die Beschlüsse des hiesigen 2. Senats vom 21. Februar 1997 – 2 Ss OWi 1545/96 – in ZAP EN-Nr. 288/97 und 18. Juli 1995 – 2 Ss OWi 386/95 – in NZV 1995, 498).

Wegen der aufgezeigten Begründungsmängel unterliegt das angefochtene Urteil der Aufhebung im tenorierten Umfange. Die Sache war daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Meschede zurückzuverweisen.

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